Gerade einmal 45 Einwohner zählt das beschauliche Örtchen Fierst nahe der Stadt Ebern. Wer jetzt glaubt, dass man hier nichts erleben kann, der irrt.
Zugegeben: Groß ist die Hoffnung nicht, als Fotograf und Redakteur an einem lauen Sommertag die Hauptstraße von Fierst hinunter schlendern. Hier ein Brunnen, dort einige gepflegte Vorgärten. Wo sind die Menschen? Über den Dächern des Örtchens zeichnet sich die Stadt
Ebern ab. Und man hört sich instinktiv sagen: "Dort ist sicher etwas mehr los."
Bei der Suche nach einer Lösung hofft man entweder auf ein Wunder - oder klingelt bei Familie Musik. Mutter Brigitte öffnet uns und staunt nicht schlecht: "Als ich Sie eben gesehen habe, dachte ich: Die wird es doch nicht nach Fierst verschlagen haben." Doch, hat es. Und in diesem Moment sind Fotograf und Schreiberling zum ersten Mal froh, dass der Pfeil genau diesen Ort getroffen hat. Es wird nicht das letzte Mal sein ...
Ein Anruf beim Jäger
Brigitte Musik ist in Fierst aufgewachsen. Als Kind half sie den Bauern in der Scheune, die Eltern wohnen nur ein paar Meter die Straße rauf. Schön sei das Örtchen mit knapp 45 Einwohnern. "Wir leben gerne hier", sagt die Unterfränkin und ruft ihren Ehemann Klaus und Hündin Paula nach draußen.
Paula ist zehn, Rasse Land-seer, eine stattliche Hündin. Das Laufen fällt ihr schon etwas schwer, trotzdem beschnuppert sie uns freundlich. Nachdem auch Klaus Musik die Gäste beschnuppert hat, ist er nicht mehr zu bremsen. Flink wird das Telefon gezückt. Die Leute von der Zeitung müssen unbedingt ins Feuerwehrhaus! "Da drin hatten früher die Dorfbewohner ihre Gefriertruhen stehen." Jetzt gibt es eine Laser-Schießanlage im Obergeschoss. "Die müssen Sie unbedingt sehen!" Ein Anruf bei Jäger Roland Langguth aus Ebern genügt. "In zehn Minuten ist er da."
Bleibt also noch Zeit, über den ungewöhnlichen Familiennamen zu sprechen. Der Vater von Klaus Musik stammt aus Breslau. "Da muss der Name herstammen." Die Familie werde regelmäßig darauf angesprochen. "Das stört uns aber nicht. Ist doch ein schöner Name", findet das Ehepaar, das im Übrigen nicht übermäßig musikalisch ist. "Wir hören aber gerne Musik", lächelt der Familienvater, der zwischen 1983 und 1992 eine Kneipe in Ebern betrieben hatte. "Da sind viele Freundschaften entstanden."
Und urplötzlich brummt einer dieser Freunde mit dem Auto heran. Roland Langguth parkt neben uns, der Jäger hat extra seine Waffe dabei. Im Feuerwehrhaus zeigt er uns, wie man per Laser auf Wildschweine und Enten schießt. "Es geht um die Trefferquote, nicht ums Ballern!" Die Jäger aus dem Umkreis würden hier regelmäßig üben. "Draußen im Wald sieht die Realität aber natürlich etwas anders aus", betont er.
Bulldogs und Obstbrände
Während der Redakteur ein paar wackelige Schießübungen absolviert, klopft es an der Tür. Auch Helmut Reuter ist dem Ruf seines Nachbarn gefolgt und lädt uns auf sein Grundstück ein. Eine seiner Leidenschaften sind Bulldogs. Mehrere Modelle füllen die Garagen, ein Schlepper prachtvoller als der andere. Ein ganz besonderer ist der mächtige Lanz-Bulldog, Baujahr 1951. Bis zu 30 Minuten dauert es, bis der Motor ins Rollen kommt. Das Vorglühen der Lötlampe: eine Kunst für sich.
Doch das Warten lohnt sich. Urplötzlich knattert und kracht es in Fierst, was das Zeug hält. Reuter lädt den Redakteur zu einer Probefahrt ein. Eine wackelige Angelegenheit, das Schalten und Rangieren bedeutet für den Fahrer viel Arbeit. "Der ist anstrengend", sagt Reuter und deutet auf den Bulldog. Trotzdem sind die Fahrten für der Fierster etwas ganz Besonderes. "Ist doch schön, wenn man durch die Gegend tuckert. Da bekommt man noch was von der Natur mit."
Mit seiner Leidenschaft ist er nicht allein. Tochter Janina und ihr Freund Friedrich sind ebenfalls von Bulldogs fasziniert. "Das wurde mir wohl in die Wiege gelegt", erzählt die 24-Jährige, die auch jedes Jahr im Juli das große Bulldog-Treffen in Fierst mitorganisiert.
Brennbuch auf dem Dachboden
In der Wiege war zudem noch Platz für die Kunst der Brennerei. Ein Brennbuch des Ur-Ur-Opas hat Janina Reuter letztes Jahr auf dem Dachboden entdeckt. Vorbildlich gepflegt, bis 1892 kann genau zurückverfolgt werden, wann vor Ort was gebrannt wurde.
Als sich 2010 der Zoll meldet, ist für die 24-Jährige klar: "Wir müssen weitermachen, sonst ist das Brennrecht weg." Kurzerhand wird der Vater überredet, der Brennraum überholt und zu einer stilvollen Brennerei aufgemöbelt. "Ich hätte es schade gefunden, wenn diese Tradition nicht mehr aufrechterhalten worden wäre."
Und so pflegen Tochter und Vater heute eine Kunst, die zum lieb gewonnenen Hobby geworden ist. Gebrannt wird immer, wenn es draußen kälter wird, und das alles ganz ohne künstliche Aromastoffe. "Wir produzieren reine Obstbrände aus eingemaischten Früchten. Das macht viel Arbeit. Aber für die Mühe wird man mit fruchtigen, aromareichen Destillaten belohnt", erklärt die Expertin und schenkt dem (Beifahrer-)Reporter ein edles Tröpfchen ein. Sehr lecker!
Er wird unvergessen bleiben, unser Tag in Fierst!
Im 13. Teil berichtet Günter Flegel über seinen Besuch in Grattstadt (Landkreis Coburg).