"Wir sind beschleunigungskrank"

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Fritz Reheis
Fritz Reheis

Einen Rekordbesuch gab es bei der jüngsten Veranstaltung der Initiative für ein Gemeinwohl. Professor Fritz Reheis erläuterte seine Vision einer Entschleuni...

Einen Rekordbesuch gab es bei der jüngsten Veranstaltung der Initiative für ein Gemeinwohl. Professor Fritz Reheis erläuterte seine Vision einer Entschleunigung als breite zivilgesellschaftliche Bewegung. Voraussetzungen seien, mit dem Verdrängen aufzuhören und achtsam mit sich, seinen Mitmenschen und der Natur umzugehen. "Eure Initiative könnte so eine Widerstandszelle werden", betonte er.


Zeithetze pur

Was er heute in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Kindergärten beobachte, sei Zeithetze pur. Der Staat müsste hier für Abhilfe sorgen und dies aus den gigantischen Erträgen der Finanzindustrie bezahlen. Jeder Fahrdienstleiter und Schulbusfahrer trage eine immense Verantwortung und dennoch werde in der Finanzwelt hundertfach mehr verdient, sagte er im Hinblick auf das Bahnunglück bei Bad Aibling.
Sowohl der Kommunismus als auch der Sozialismus und der Kapitalismus verfolgten ein Gemeinwohlprinzip. Doch all diese Prinzipien hätten einen blinden Fleck: Die Interessen der nachfolgenden Generationen werden nicht berücksichtigt. "Die zukünftigen Generationen brauchen auch eine Lebensgrundlage", forderte Reheis. Er entwickelte einen Ansatz, der sich um eine umfassende Gerechtigkeit im Ausgleich von Gemein- und Einzelwohl im Einklang mit der Natur bemüht. "Wenn wir uns allein am Geld orientierten, führt das in die Katastrophe. Klüger wäre es, sich an der Zeit zu orientieren." In der heutigen Gesellschaft gehe alles immer schneller. "Wir sind beschleunigungskrank." Der Referent propagierte eine dringend nötige Entschleunigung. Dies müsse die Gesellschaft lernen. Wer Geld für sich arbeiten lasse, habe die Möglichkeit, sein Einkommen beschleunigt zu vermehren. Wer von seiner eigenen Hände Arbeit leben müsse, müsse immer mehr aus sich herausholen, um mithalten zu können, und sei irgendwann ausgebrannt.
Einzelne Menschen, Generationen, ja ganze Völker hätten heute das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, so der Professor weiter. Gleichzeitig sei niemand da, wenn sie Hilfe suchten. Da liege es nahe, "dass sie zu Verhaltensweisen greifen, die wir als Terrorismus bezeichnen." Doch der Mensch habe die Fähigkeit, sein Eingreifen auch zu begreifen und zu reflektieren. "Deshalb müssen wir nicht verzagt sein, auch wenn es derzeit auf der Welt beängstigend zugeht. Wir können daraus Konsequenzen ziehen."
Der Einzelne sollte sein Leben so gestalten, dass er es als etwas sinnvolles Ganzes begreift. Dazu gehöre es, zurückzublicken und zu entscheiden, ob etwas richtig war oder nicht.


Sozial und ökologisch

Die Basis des Reheis-Konzepts wäre eine sozialökologische Marktwirtschaft, die durch die Politik gesteuert wird und der Natur und dem Menschen angepasst ist. Durch verkürzte Wochen- und Lebensarbeitszeit könnte viel gewonnen werden. Die Zeitersparnisse durch die Technik müssten den Menschen zugutekommen und nicht in neuer Arbeit und neuen Bedürfnissen aufgehen. "Weg vom Geldwohlstand - hin zum Zeitwohlstand", so der Redner.
Ziel müsse eine an Bedürfnissen statt an Nachfrage orientierte Wirtschaft sein. Ergebnis wäre eine frei verfügbare Zeit, Zeitwohlstand als neues Leitbild. rg