Sinnlich, sündig, schräg

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Erotische Szenen in Verbindung mit kunstvollem Gesang, mitreißender Akrobatik und erfrischenden Arrangements sorgten am Samstag für Leben im altehrwürdigen Kurtheater. Foto: M&G Showcompany
Erotische Szenen in Verbindung mit kunstvollem Gesang, mitreißender Akrobatik und erfrischenden Arrangements sorgten am Samstag für Leben im altehrwürdigen Kurtheater. Foto: M&G Showcompany

Die ausgelassene Revue "Let's Burlesque" bringt Großstadtfeeling ins Kurtheater. Das hochmusikalische Ensemble rund um Evi Niessner interpretiert singend und tanzend ein freies Lebensgefühl.

Glamour und Eleganz, mitreißende Musik, ein gerüttelt Maß an Verruchtheit, Tänze und Akrobatik, durchgehend garniert mit prickelnder Erotik. Heiße Sinnlichkeit hier und erfrischende Clownerie da. In den Spielhöllen von Las Vegas darf man so etwas erwarten, am Pariser Montmartre auch, in den Amüsiervierteln der großen Städte vielleicht. Und jetzt - kaum zu glauben -, kam so eine frech-frivole Revue auch nach Bad Kissingen.


Glamouröser Musik-Salon

Wer, angeregt vom Ambiente fränkischen Barocks im Kurtheater, "Burlesque" im Sinne der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts als eine Art Varieté mit leicht erotischen Anklängen interpretierte, der glaubte sich am Samstag womöglich im falschen Film. Denn "Evi & das Tier" interpretieren den Begriff zusammen mit dem Orchester "The Glanz" neu und anders. Ganz anders. "Let's Burlesque" ist eine Musikshow mit umwerfend guten Musikern, die ein aberwitziges Tempo anschlagen. Es ist wild, es ist heiß, es ist ausgelassen und doch mehr als eine aufreizende Travestie-Nummer.
Die Revue ist ein furioser Mix aus ganz viel guter Musik, Tanz, Artistik und auch ein Feuerwerk sinnlicher Erotik. Dagegen verblasst eine Rocky Horror Picture Show zum Kindergeburtstag.
Die Mischung ist gewagt, aber ungeheuer gekonnt. Die Truppe nimmt den Zuschauer mit in eine glamourös, erotische Scheinwelt, jedoch weit weg vom Ambiente verruchter Bars und Hinterhofcabarets. Die Kostüme sind ein Farbenrausch, jeder Auftritt in anderer Garderobe. Nach der Pause haben die Musiker gar gefaltete Papiermasken auf dem Kopf. Fuchs, Hase, Widder und Wildschwein begleiten Miss Evi, die temperamentvolle First Lady of Burlesque. Die kesse Berlinerin Evi Niessner glänzt nicht nur als witzige Moderatorin, sie hat auch eine große Stimme.


Lebensfreude pur

Chansons, Blues, aber auch Jazz und Rock & Roll präsentiert die ausgebildete Opernsängerin, mal im gewagten Fummel mit Federn, Strass und Pailletten, dann in Schwarz mit Zylinder, eine Liza Minelli aus "Cabaret". Das kommt so ungeheuer schräg rüber, ist aber stimmlich jederzeit überzeugend und gerade deshalb ungemein wirkungs-voll.
Mr. Leu ist ihr kongenialer Partner am Flügel. Im richtigen - oder besser im anderen - Leben ihr Mann, sind sie auf der Bühne das Duo "Evi und das Tier" und überzeugende Grenzgänger zwischen Jazzmusik, Varieté und Zirkus. Der grandiose Blues- und Boogie-Pianist ist künstlerischer Leiter und Bandleader. Hier aber eleganter Beau im Frack und Zylinder, Sänger und Entertainer. Er gibt den Backgroundsänger für nahezu jeden Song und hämmert dabei mit traumwandlerischer Sicherheit Jazzrhythmen in die Tasten, sitzt keine Sekunde still, seine Mimik macht jedes Lied zum Erlebnis. Gänsehaut, wenn er als Solist mit "Waltzing Matilda" in australische Weiten entführt. Rod Steward hat das nicht eindrucksvoller gesungen.


Eine neue Kunstform?

Livemusik reißt einfach mit. Und wie, wenn sie "The Glanz" heißt und herausragende Musiker der Berliner Musikszene in ihren Reihen hat. Jeder einzelne ein Könner mit dem Hang zu exzentrischen Comedy-Einlagen. So als Ben "King" Perkhoff sein Saxophon packt und ins Publikum steigt, mit dem Piano in sinnlichen Dialog mit Tönen einer heißen Nacht tritt, um später mit raumfüllendem Tuten eines Schiffshorns den Liebesrausch zu beenden.
Jede einzelne Nummer ist theatralisch angelegt. Da machen die Striptease-Tänzerinnen keine Ausnahme. Und wenn sich dann die Geisha Erochica Bamboo aus ihrem meterlangen Kimono wickelt und immer noch ein weiteres Teil Unterwäsche fällt bis am Ende nur noch ein Hauch von Stoff unten und Disko-Pasties mit Quasten die nackte Haut oben verdecken, dann läuft dazu kein schwüles Band. Dann singt Miss Evi auf dem Flügel liegend japanischen Rock. Stilvoll, unnahbar und geheimnisvoll entledigt sich Miss Sophia St. Villier ihrer Kleider, auch dazu wird nicht "Je t'aime" gehaucht, sondern kapriziöse Ballroom-Musik gemacht.


Augenweide für Besucherinnen

Aber auch die zuschauenden Damen kamen im vollbesetzten Kurtheater noch zum Ausflippen und Kreischen. Robert Choinka jongliert mit Autoreifen, die zeichnen schon mal das Profil auf seinen Athletikbody. Er verbiegt seinen Körper mit einer Hand auf dem Reifenstapel balancierend zu grotesken Figuren und zieht dann mit den Zehen seine angeschmutzten Automechanikerjeans aus und wieder an. Ganz cool, ohne eine Miene zu verziehen. Der Saal tobt.


Abwechslungsreicher Mix

Und noch zum Abschied der gut zweistündigen Show zündet die Truppe ein musikalisch überzeugendes Feuerwerk. Zu "Puttin on the Ritz" stürmt jeder Künstler an die Rampe und bringt mit überbordenden Show Acts die Zuschauer nochmals zum Jubeln. Die Champagnerdusche dazu ist gratis.
Von wegen Kleinstadt: Die Staatsbad GmbH bringt innerhalb von acht Tagen ein klassisches Konzert, einen Kabarettabend, die Egerländer Musikanten und eine Großstadtrevue. Deshalb: Runter vom Sofa, auf nach Bad Kissingen!