Rudolf Görtler Der Unkenrufe gibt es viele, gerade zur Buchmessenzeit. Die Menschen läsen immer weniger, Autoren, Verlage und Buchhandel kämpften mit sinken...
Rudolf Görtler
Der Unkenrufe gibt es viele, gerade zur Buchmessenzeit. Die Menschen läsen immer weniger, Autoren, Verlage und Buchhandel kämpften mit sinkenden Erlösen. Internet und Medienkonkurrenz setzten dem klassischen Buch stark zu.
Daran mag etwas sein, allein: Es gibt Einzelkämpfer, für die Buchkultur mehr ist als das, was sich auf der Spiegel-Bestsellerliste spiegelt. Ein solcher war in der Höchstadter Bücherstube auf Einladung Elke Reitmayers und ihres Teams zu Gast. Christian Döring, Herausgeber der "Anderen Bibliothek", sprach über Idee und Wirklichkeit dieser Buchreihe, die als schönste der ganzen Welt bezeichnet worden ist.
Begründet worden ist die "Andere Bibliothek" vom Hersteller Franz Greno. Der fanatische Büchermacher und Drucker wollte nicht tatenlos zusehen, wie Mitte der 80er Jahre im Zuge der Umstellung auf elektronische Satzsysteme die Regeln der klassischen Buchgestaltung in Vergessenheit gerieten. Ein Buch ist ja nicht nur ein Datenträger, es bietet ein haptisches Erlebnis, Schriftart, Druckbild, (Vorsatz-)Papier, Bindung und Einband werden von Buchgestaltern ("Herstellern") im gelungenen Fall harmonisch aufeinander und auf den Inhalt abgestimmt.
Fast 400 Bände
Greno besaß in seiner Nördlinger Druckerei schon 1985 veraltete Setzmaschinen (für Bleilettern), Schriften und Druckmaschinen. Er gewann den weltläufigen Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger als Herausgeber einer neu zu schaffenden Buchreihe, Motto: Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten.
Am 18. Januar 1985 erschien der erste Band, eine Auswahl von Schriften des antiken Spötters Lukian in der Übersetzung des deutschen Klassikers Christoph Martin Wieland. Jeden Monat folgte ein weiterer, bis heute sind es fast 400 geworden. Zunächst im Bleisatz und Buchdruck, heute, da ästhetische elektronische Schriften zur Verfügung stehen, im Fotosatz und Offsetdruck. Klassiker sind darunter, literarische Reisereportagen, Märchen, im Lauf der Jahre entwickelten sich Formate wie Folio-Prachtbände oder Paperbacks ("Kometen"), "Großes Buch im kleinen Format", preiswerte Extradrucke mit bescheidenerer Ausstattung.
Vom Aufstieg zur Insolvenz
Und die Idee schlug ein, einzelne Bände erreichten in den Anfangsjahren Auflagen, von denen Verlage heute nur träumen können. Allein, nicht nur Bücher haben ihre Schicksale, sondern auch Buchreihen. Die Geschichte der "Anderen Bibliothek" ist auch eine Geschichte des deutschen Verlagswesens, erzählte Insider Döring, der unter anderem zehn Jahre als Lektor beim renommierten Suhrkamp Verlag gearbeitet hat. Nach dem kometenhaften Aufstieg musste Grenos Verlag Insolvenz anmelden. Das Renommierprojekt "Andere Bibliothek" schlüpfte beim Frankfurter Eichborn Verlag unter, einem Exoten in der Verlagsszene.
Es folgten Querelen in der Herausgeberschaft, die mehrfach wechselte, und schließlich ereilte das Schicksal der Insolvenz auch den Eichborn Verlag; die "Andere Bibliothek" war unbehaust. Sie fand Asyl unter dem Dach des Berliner Aufbau Verlags als eigenständiger Verlag, den seit 2011 Christian Döring leitet. Ein echter Homme de lettres, der bedächtig, aber mit zähem Elan Monat für Monat einen edel gestalteten Band ediert. Fasziniert folgten ihm die Zuhörer in der Bücherstube und bekamen auch eine Kostprobe vorgelesen: aus Viktor Schklowskijs "Sentimentaler Reise", einem Buch über die Wirren nach der Oktoberrevolution, wiederentdeckt, neu und erstmals vollständig übersetzt. Gebunden in russisches Leinen, wie sollte es anders sein, "Andere Bibliothek" eben.