Psychisch Kranke nicht vergessen

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Kontaktpflege auf Abstand: Sabine Doerenkamp-Steiner, Leiterin der Kontaktstelle Selbsthilfe, und Marcus Schmutzer von der Selbsthilfegruppe "freitags - Depression" Fotos: Christiane Lehmann
Kontaktpflege auf Abstand: Sabine Doerenkamp-Steiner, Leiterin der Kontaktstelle Selbsthilfe, und Marcus Schmutzer von der Selbsthilfegruppe "freitags - Depression" Fotos: Christiane Lehmann
 
 

Wenn die Gruppenstunde der einzige soziale Kontakt ist - und dann auch noch wegfällt. Für psychisch kranke Menschen bedeuten die Einschränkungen durch Corona eine noch stärkere Belastung. Ein Weckruf!

Depression ist die Angst, der man die Hoffnung entzogen hat. Marcus Schmutzer weiß seine Krankheit zu definieren. Und er steht dazu. Auf Bitten von Sabine Doerenkamp-Steiner kommt er zum Pressegespräch ins Landratsamt. Zusammen mit Manuela Rauch, Fallmanagerin im Jobcenter, schildert die Leiterin der Kontaktstelle Selbsthilfe die Auswirkungen der Corona-Beschränkungen auf psychisch Kranke. Und wer, wenn nicht ein Betroffener, könnte die Situation besser beschreiben. Marcus Schmutzer sagt: "Mir haben unsere Gruppenstunden irgendwann sehr gefehlt. Vor allem der Austausch mit Gleichgesinnten, den es so dringend braucht."

Der 49-Jährige ist kein Härtefall. "Für andere in der Gruppe war die Isolation einschneidend. Die Depression hat sich verstärkt. Zwei denken wieder öfters an Suizid", erzählt er.

Auch der Sozialpädagoge Manuel Schneider vom sozialpsychiatrischen Dienst, der etwa 60 psychisch kranke Menschen in ambulant begleitetem Wohnen betreut, bestätigt die Problematik.

Keine Hausbesuche mehr

Mit dem Lockdown fielen die Hausbesuche weg. Es mussten neue Formen der Kommunikation gefunden werden. Videokonferenzen waren nicht möglich. "Da fehlt es oft an der materiellen Ausstattung", sagt Schneider und Manuela Rauch bestätigt das. Bei den meisten handle es sich um Langzeitarbeitslose, die schon lange nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Dennoch: Telefonieren war eine Alternative zum Hausbesuch. Die Betroffenen seien sehr verantwortungsbewusst mit der Herausforderung Corona umgegangen. Mit den Lockerungen wurden auch wieder Spaziergänge möglich. Doch gravierende Einschränkungen sind geblieben: Die regelmäßigen Treffen finden nur noch in kleinen Gruppen statt, es gibt keine Kaffee- und keine Teerunden. Auch gemeinsames Kochen ist untersagt.

"Man muss sich vorstellen, dass die zwei Stunden in der Selbsthilfegruppe für viele der einzige soziale Kontakt sind. Und wenn der wegfällt, bleibt nichts", sagt Manuel Schneider.

Angst vor der zweiten Welle

Jetzt macht die Angst vor der zweiten Welle die Runde. "Die Menschen sind sehr besorgt, weil sie wissen, was das bedeutet. Termine beim Psychotherapeuten gibt es keine. Eine Klinikeinweisung sei nur noch im Akutfall möglich, und dann auch nur in die geschlossene Abteilung. "Viele haben da traumatische Erfahrungen gemacht", berichtet Schneider. Um eben das zu vermeiden, versuchen die Menschen möglichst lange daheim auszuhalten - das Krankheitsbild verschlechtere sich.

"Corona ist für unsere Arbeit mehr als contra-produktiv. Wir arbeiten daran, die Menschen aus der Isolation zu holen, sie aktiv am Leben teilhaben zu lassen, sie zu mobilisieren. Mit dem Lockdown wurde die Isolation regelrecht verordnet", resümiert Schneider. Suizidfälle wegen Corona habe es Gott sei Dank nicht gegeben, sagt der Sozialpädagoge, aber der Gesprächsbedarf bei den Kranken sei so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Zahl der angesammelten Überstunden seiner Mitarbeiter belege dies.

Lockerungen erwünscht

Schneider würde sich wünschen, dass die Politik bei all den notwendigen Beschränkungen die psychisch Kranken nicht vergisst. Er wünscht sich Lockerungen im Hinblick auf das soziale Miteinander. Gemeinsames Kochen oder Kaffeetrinken würde vielen helfen. In der Gastronomie funktioniere es ja auch.

"Außerdem fehlen uns entsprechend große Räumlichkeiten, die wir bezahlen können", pflichtet ihm Sabine Doerenkamp-Steiner bei. Es sei schwierig, die einzelnen Gruppen mit bis zu zwölf Personen zu teilen. Es werde zwar derzeit gemacht, aber es kommt immer wieder zu Koordinationsproblemen und Frust unter den Teilnehmern. Sieben verschiedene Selbsthilfegruppen für psychisch Kranke gibt es derzeit in Coburg. In jeder sind etwa acht bis zehn Betroffene.

Petition: SHG systemrelevant

"Für die Teilnehmer von Selbsthilfegruppen sind die Treffen nicht nur ein vertrauter, regelmäßiger Termin im Kalender, für viele sind die Treffen häufig lebensnotwendig, wenn es sich um eine Suchtproblematik oder eine psychische Labilität handelt. Die Gruppen geben sich gegenseitig Halt und Unterstützung, nehmen den persönlichen Druck und entlasten im oft schwierigen Alltagsgeschäft", heißt es in der Begründung zur Petition "Selbsthilfegruppen sind systemrelevant". Knapp 4000 Unterschriften wurden dafür bereits gesammelt.

Selbsthilfegruppen seien eine wichtige Ergänzung des professionellen Sozial- und Gesundheitssystem, das schon in ganz normalen Zeiten oft nicht in der Lage sei, die nötige Unterstützung, Behandlungen und Therapien anzubieten. In der aktuellen Krisenzeit wachse der Druck umso mehr - jetzt seien Unterstützung und Entlastung durch die Selbsthilfegruppen umso wichtiger und notwendiger.

Marcus Schmutzer sieht das genauso: "Wir waren alle erleichtert, als wir uns freitags wieder sehen, endlich wieder austauschen konnten. Wir haben Pläne geschmiedet, und man hat es an den Gesichtern gesehen, wie gut die Gruppe tut."