Beim 1. Erzählcafé des Juliusspitals zu Beginn der Herbst-/Wintersaison sprang Otmar Lutz (Oerlenbach) kurzfristig als Erzähler ein, weil die vorgesehene Erzählerin Rita Lord, geb. Hanft absagen musst...
Beim 1. Erzählcafé des Juliusspitals zu Beginn der Herbst-/Wintersaison sprang Otmar Lutz (Oerlenbach) kurzfristig als Erzähler ein, weil die vorgesehene Erzählerin Rita Lord, geb. Hanft absagen musste. Otmar Lutz war zum zweiten Mal da, nachdem er bei seinem ersten Besuch im Januar nach einer Stunde noch genügend Erzählstoff besaß. Damals hatte er aus seinem Leben als Spielbankdirektor in Bad Kissingen erzählt. Die Fortsetzung beinhaltete sein Privatleben als Musikant und Wallfahrtsführer.
Er ist ein typisches Oerlenbacher Gewächs und eng mit seinem Heimatort verbunden. Seit 1868, also 150 Jahre, gibt es die Wallfahrt der Oerlenbacher nach Retzbach zur Wallfahrtskirche "Maria im Grünen Tal". Mit dem humorvollen Gedicht "S'Walle is schüe" in fränkischem Dialekt stimmte Otmar Lutz die Zuhörer auf seinen Vortrag ein. Obwohl den christlichen Kirchen immer mehr Gläubige davon laufen, nehmen die Anhänger von Wallfahrten zu. Bei der Oerlenbacher Wallfahrt nehmen im Durchschnitt 250 bis 300 Leute teil, auch aus den umgebenden Dörfern. Otmar Lutz war das 45. Mal dabei.
Retzbach, das Ziel der Wallfahrt ist seit 1240 ein Marienwallfahrtsort. Seit 1924 wurden die Wallfahrer von Musikanten begleitet, teilweise nur von dreien. Nach 1945 haben Kriegsheimkehrer die Wallfahrt neu aufleben lassen. Es war der Beginn der reinen Fußwallfahrt, die aber von einem "Marodiwagen" für Fußkranke begleitet war.
Einmal kam überraschend unterwegs der Musikverein Ebenhausen mit 23 Musikern dazu, sie schlossen sich der Wallfahrt an als diese um 3 Uhr in der Nacht durch den Ort lief und begleiten sie bis heute. Otmar Lutz wurde der Dirigent, der mit einem lauten "und" den Einsatz für alle Musikanten gab.
Eindrucksvoller Einzug
Besonders beeindruckend sei stets der Einzug mit Musikbegleitung in die Wallfahrtskirche in Retzbach, erzählt Lutz. 1978 war eine der größten Wallfahrten. An ihr nahmen 300 Fußwallfahrer und sieben Busse mit je 50 Personen teil. Unterwegs wurden früher nur Rosenkränze gebetet, die von Liedern unterbrochen wurden. Lutz' Frau schlug vor, auch andere Gebete auszusuchen und von den acht Vorbeterinnen vortragen zu lassen. Der Text der Gebete ist meditativ und entspringt der Lebenswirklichkeit der Wallfahrer. Bisweilen steuert Otmar Lutz auch besinnliche oder erheiternde Geschichten bei. Es wurde auch ein eigenes Liederheft für die Wallfahrer gemacht.
Auf dem Rückweg sind oft weniger dabei, da sich viele abholen lassen. Die Oerlenbacher Wallfahrt ist inzwischen eine Institution. Obwohl 50 Kilometer an zwei Tagen zu gehen eine große körperliche Anstrengung ist, kann das Wallfahren auch "süchtig" machen, sagt Otmar Lutz. Wallfahren bedeutet "Beten mit den Füßen". Der Gedanke einer Wallfahrt wird in den Dörfern vor allem durch Familien weitergetragen. Vom Vater zum Sohn ging es auch bei Otmar Lutz.
Durch seine kurzweilige Erzählweise ging eine Stunde wie im Flug vorbei. Er bot an, noch einmal zu kommen, um über seine Erlebnisse als Dorfmusikant zu erzählen. Der Moderator des Erzählcafés Eugen Albert bedankte sich bei Otmar Lutz für seine Bereitschaft, kurzfristig einzuspringen, und meinte, an ihm sei ein Pfarrer verloren gegangen. Eugen Albert, der als kleiner Junge selbst Pfarrer werden wollte, bot an, beim Erzählcafé am Mittwoch, 7. November aus seiner Zeit als Klosterschüler der Augustiner von 1958 bis 1964 zu erzählen.