Nils darf in die Regelschule

4 Min
Foto: Privat
Foto: Privat

Der Elfjährige mit Down- Syndrom besucht im kommenden Jahr die Mittelschule in Lautertal - der Weg dahin war mit bürokratischen Hürden gepflastert ... bis das Schulamt schließlich über seinen Schatten sprang und eine Zuweisung erteilte.

Nils sitzt am Küchentisch. Homeschooling ist angesagt, und er ist fast fertig. Mathe muss er noch machen. Er hat ein paar Fragen. "Ich helfe Dir gleich", sagt seine 14-jährige Schwester Luna. Jetzt soll er erst mal ein bisschen spielen. Der geistig behinderte Junge wird der erste sein, der im kommenden Schuljahr eine Mittelschule in einer Klasse mit 29 nicht behinderten Kindern besucht. Der Weg, die richtige Schule zu finden, war steinig. Doch im September wird Nils, der das Down-Syndrom hat, in die 5. Klasse der Mittelschule am Lauterberg in Lautertal gehen - bloß, wie er da hin kommt, und wer die Fahrtkosten übernimmt, war bis Dienstagabend ein Problem.

Übertritt steht an

Der Elfjährige geht zur Zeit in die vierte Klasse der Mauritiusschule in Ahorn. Zusammen mit nicht behinderten Kindern aus der Johann-Gemmer-Schule.

Die Eltern legen Wert darauf, dass Nils weiter mit nicht behinderten Kindern unterrichtet wird. "Uns ist das soziale Miteinander wichtig", sagt Vater Jens im Gespräch. Es habe Nils und auch seinen Klassenkameraden gut getan. Sie hätten viel voneinander gelernt. "Da es im weiterführenden Bereich keine Partnerklassen gibt, möchten wir unseren Sohn auf einer Mittelschule einzelinkludieren", schreibt Jens Neugebauer in seinem Gastschulantrag ans Amt für Schule, Kultur und Bildung.

Keine Profilschule

Die Familie hat mit in Frage kommenden Schulen im Stadt und Landkreisgebiet Gespräche geführt. "Vordergründig war für uns wichtig, dass diese Schulen inklusive Beschulung vorhalten und anbieten. Erschwerend ist dabei aber die Inklusion eines geistig behinderten Kindes in den Fokus zu nehmen. Für diese Art der Beschulung gibt es im Stadt und Landkreisgebiet keine Schule, die ein ausgereiftes Konzept der Inklusion anbietet," heißt es weiter.

Blutige Nase geholt

Die Neugebauers wurden zusammen mit der Inklusionsbeauftragten Christine Heider auch an Gymnasien und an der Realschule CO II vorstellig. "Bei den Gymnasien haben wir uns eine blutige Nase geholt", erzählt der Vater. Entweder sie wurden gar nicht erst empfangen oder von oben herab behandelt. "Dabei stand bei uns der Inklusionsgedanke an oberster Stelle. Bei Nils geht es nicht darum, die geforderten Leistungen zu erbringen", erläutert Jens Neugebauer. Allerdings hätte sich schnell gezeigt, dass Gymnasien wegen ihres wenig praktischen Unterrichts ungeeignet für Nils seien.

Positiv überrascht war er dagegen von der Realschule. Der Rektor habe sich ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt und schlüssig argumentiert.

Rückertschule ist keine Option

Als Stadtkind wäre für Nils die Rückertschule die erste Adresse. Doch die kommt für Familie Neugebauer nicht infrage. Der Vater begründet, warum: "Nach vielen Gesprächen möchten wir unseren Sohn nun in die Mittelschule Lautertal geben, da es hier Kooperationsstrukturen zur Schule am Hofgarten gibt. Ähnliche Strukturen gibt es an der Rückertschule nicht. Weiterhin gilt die Rückertschule als Brennpunktschule, welche auf die Bedürfnisse eines Kindes mit einer geistigen Behinderung, und einem Pflegegrad 4 nicht vollumfänglich eingehen kann." Das Amt für Schule erkannte dies als zwingenden Grund an und genehmigte die Aufnahme in Lautertal. Soweit der Stand.

Wie kommt Nils zur Schule?

Doch es stellte sich die Frage, wie Nils, der in Rögen wohnt, täglich in die Schule nach Lautertal kommt. Fahrtkosten werden bei Gastschülern nicht erstattet. Und da die Mittelschule in Lautertal nicht als Profilschule (Inklusion) anerkannt ist, werden die Kosten auch im Fall von Nils nicht übernommen. So der Fakt nach Aktenlage.

Im Gespräch mit dem Tageblatt erörtert Schulrat Uwe Dörfer Szenarien, wie das Schulamt Nils entgegenkommen könnte. "Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um dem Kind zu helfen", sagt Dörfer. Dies bekräftigt auf Nachfrage auch die Pressesprecherin der Regierung von Oberfranken: "Nach unseren Informationen ist das Schulamt Coburg bereits in einer konstruktiven Weise mit dem Fall befasst und sucht intensiv nach Lösungen."

Konkret will Dörfer mit Wochenstunden für die Einzelinklusion durch eine Lehrkraft helfen. Sobald er sein Stundenkontingent von der Regierung zugewiesen bekommen hat, will er Nils berücksichtigen. Für eine Zuweisung sieht er am Montag keine Chance.

Jens Neugebauer wollte das allerdings nicht gelten lassen. Beim staatlichen Schulamt hat er die Zuweisung an die Schule beantragt.

In seiner Begründung heißt es unter anderem: "Nils hat einen Grad der Behinderung von 100 Prozent und einen Pflegegrad 4. Daher ist er zurzeit nicht in der Lage, eigenständig die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Nils wurde bisher täglich mit dem Fahrdienst des ASB zur Grundschule befördert."

Zuweisung geht nicht

Aus bürokratischer Sicht musste Schulrat Uwe Dörfer die Zuweisung am Montag ablehnen - zum einen, weil Lautertal keine Profilschule ist, zum anderen, weil der Gastschulantrag von Seiten der Stadt bereits genehmigt wurde. Damit fallen für die Kommunen und den Bezirk erst einmal keine Kosten an. Die Eltern sind für die Transportkosten zuständig.

Kopfschütteln bei Jens Neugebauer: "Der Tipp, einen Gastschulantrag zu stellen, kam von Schulrätin Dr. Karina Kräußlein-Leib." Er suchte am Dienstagnachmittag erneut das Gespräch mit dem Schulamt. Sein Ärger war so groß, dass er mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde drohte. "Es handelt sich hierbei um wissentliche Irreführung und daraus resultierende Benachteiligung eines behinderten Kindes. Wir haben den Fall bereits an unseren Anwalt weitergeleitet. Stichwort: AGG- und EU-Behindertenrechtskonvention. Ich bin echt fassungslos über diese Dreistigkeit."

Nochmal reflektiert

"Nach nochmaliger, eingehender Reflexion über den Schüler Nils Neugebauer wird eine Zuweisung durch das Schulamt ausgesprochen, so dass ein Beförderungsanspruch besteht", heißt es dann am Dienstagabend. Schulamtsdirektor Uwe Dörfer nennt folgende pädagogische und schulische Gründe, die den Ausschlag für das Umdenken gaben:

? "Die Mittelschule (MS) Am Lauterberg in Lautertal hat bereits mehrjährige Erfahrung mit Inklusion gesammelt. Die jetzige Schulleitung setzt sich seit Jahren mit Fragen der Inklusion auseinander. Der Schüler Nils Neugebauer kommt weiterhin, wie bisher auch, mit inklusiven Schülern, aber auch mit Regelschülern, in Kontakt. Demzufolge wird er besser auf das spätere Leben in der Gesellschaft vorbereitet, was an einer reinen Förderschule nicht der Fall wäre. Das wäre zwar auch an der Sprengelschule (Rückertschule) der Fall gewesen, doch diese Schule erscheint als Stadtschule zu groß und auch unübersichtlicher als die in Lautertal.

Die Mittelschule Lautertal wird energetisch saniert und auch behindertengerecht umgestaltet. Obwohl die MS Lautertal keine Profilschule für Inklusion darstellt, wird an ihr Inklusion gelebt und nunmehr durch einen G-Schüler erweitert (geistig behindert).

Das Schulamt will die Inklusion weiter vorantreiben und unterstützt die MS in ihrer Weiterentwicklung. Zu hoffen wäre, dass die MS Lautertal eines Tages Profilschule für Inklusion wird, da es dieses Profil weder in der Stadt noch im Landkreis im MS-Bereich gibt."