Mit Nils im Hier und Jetzt

4 Min
Jens Neugebauer mit seinem Sohn Jens
Jens Neugebauer mit seinem Sohn Jens
privat

Welt-Down-Syndrom-Tag  Gerade in Zeiten, die nicht rosig sind, genießen wir das Glück, das uns begegnet, um so mehr. Jens Neugebauer erzählt vom Glück, einen Sohn mit diesem Syndrom zu haben. Aufgezeichnet von Christiane Lehmann

"Nils hat sich durch alle Voruntersuchungen durchgemogelt. Wir haben die Nackenfalte messen lassen und uns für die Feindiagnostik entschieden. Alles schien in Ordnung. Trotzdem hatten wir in dieser Zeit der Ungewissheit auch Diskussionen darüber, was denn wäre, wenn Nils behindert zur Welt kommt. Für meine Frau war das von Anfang an kein Problem, ich dagegen wusste nicht, ob ich damit leben kann und will. Für mich war es, weil ich keine Erfahrungen und Kenntnisse hatte, unvorstellbar, mit einem behinderten Kind zu leben.

Dann kam Nils am 2. Januar 2009 zur Welt. Da ich schon bei der Geburt meiner Tochter Luna dabei war, wunderte ich mich etwas, dass er anders aussah. Sein Gesichtchen schien geschwollen. Die Ärzte fanden jedoch keine eindeutige Hinweise auf eine Behinderung. So trank Nils gleich von der Brust und hatte auch sonst keine Auffälligkeiten. Nichts von einer Vierfinger-Furche, die typisch für Kinder mit Down Syndrom ist.

Rotz und Wasser geheult

Trotzdem wollten sie sichergehen und er wurde auf die Intensivstation verlegt. Ich erinnere mich noch, wie schrecklich diese Tage der Ungewissheit waren. Meine Frau lag im Krankenhaus, und ich war daheim bei Luna. Ich konnte nicht zum Baby und ein ruhiges Gespräch mit meiner Frau war auch nicht möglich. Nach drei Tagen hatten wir dann Gewissheit: Nils hatte das Down-Syndrom. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hab Rotz und Wasser geheult. Da ich nicht wusste, ob ich ihn behalten will, sagte Rita zu mir: ,Wenn du das nicht kannst, musst du gehen.' Heute bin ich froh für diese krasse Auseinandersetzung mit der Situation. Um Nils voll und ganz annehmen zu können, musste ich mich der Realität stellen. Und das bedeutet in erster Linie, alle Erwartungen fallen zu lassen. Dann werde ich eben niemals mit meinem Sohn Fußball spielen, dachte ich. Mittlerweile sehe ich das natürlich anders. Aber der Reihe nach.

Mich haben selbst die Glückwünsche unserer Freunde und aus der Familie genervt. Alle wünschten uns alles Liebe - ohne zu wissen, was bei uns los war.

Dann kam der Moment, wo ich es meinen Eltern sagen musste. Mutti und Vati waren zusammen am Telefon. Ich sagte: Nils ist behindert und hat das Down Syndrom. Da meinte meine Mutti: Das macht doch nix, wir haben ihn trotzdem lieb. In dem Moment wusste ich, dass die Familie hinter uns steht. Das gab mir Sicherheit und ich begann offensiver mit der Situation umzugehen. Wir erzählten es unseren Freunden, verabredeten uns zu Spaziergängen. Und ich kann sagen - bis heute: Wir haben überwiegend nur positive Erfahrungen mit Nils gemacht. Keiner hat sich abgewandt. Wir sind von tollen Menschen umgeben. Das hat uns den Start leicht gemacht.

Startschuss für eine Erfolgsgeschichte

Eigentlich war es sogar der Startschuss für eine Erfolgsgeschichte, wenn ich recht bedenke. Wir haben uns Hilfe gesucht und gute Ratschläge bekommen. Der Beste war wohl der von einer Kommilitonin von mir, die mit Menschen mit Down-Syndrom gearbeitet hatte: Wenn du Spaß mit deinem Sohn haben möchtest, gib ihm klare Regeln und feste Rituale. Das habe ich beherzigt - und ich muss sagen: Die Rituale ziehen sich wie ein roter Faden durch unser Leben. Nils kann sich daran orientieren, sie geben ihm Sicherheit. Er entwickelt sich prächtig.

Nils besuchte einen integrativen Kindergarten, eine integrative Grundschule und ist das erste Kind mit einer geistigen Behinderung, das auf eine weiterführende Schule geht. Natürlich war das alles oft ein Kampf mit Verwaltungen und viel Bürokratie. Aber es hat sich gelohnt. In der Mittelschule ihn Lautertal ist er super angenommen. Ich werde nie vergessen, wie er sich im letzten Jahr beim Homeschooling gemeldet hat und er vor der Klasse (am Bildschirm) die richtige Antwort wusste. Als alle geklatscht haben, war auch ich total stolz.

Der Herzenfänger

Was es heißt, mit Nils zu leben und mit ihm zu sein, welch tatsächliches Glück es ist, ihn bei mir zu haben, möchte ich an einem ganz besonderen Beispiel erzählen.

Ich spiele in der Band The Real BBC Connection. Eigene Lieder habe ich aber bis vor einigen Jahren nicht geschrieben. Dann hörte ich das Lied ,Fliegen‘ von Matthias Schweighöfer. Und dachte mir, das passt so gut auf meine Situation, dass ich es zum Welt-Down-Syndrom-Tag eingesungen habe. Beim Ostermusical in Meeder habe ich es dann zum ersten Mal live gesungen. Ich habe Nils mit auf die Bühne gebeten und dann ging es los. Die Kirche war ausverkauft, die Menschen standen auf drei Emporen und schauten auf uns. Da fing Nils an, den Song zu performen, wir nahmen uns an den Händen, gingen in die Knie und flogen los. Im Nu schlugen ihm die Herzen entgegen. Die Menschen haben ihm zugewinkt und geklatscht. Ich war zu Tränen gerührt und unendlich glücklich, diesen Jungen an meiner Seite zu haben.

Von da an habe ich angefangen, eigene Lieder über Nils und das Leben mit einem Down-Syndrom-Kind zu schreiben. Der aktuelle Hit, der heuer zum Welt-Down-Syndrom-Tag veröffentlicht wird, heißt ,Born to rock‘ und handelt von Nils' Alltag: He is born to rock, born to rock. Er hüpft und tanzt. Er lacht und singt; bis die gute Laune überspringt. Born to rock. He is born to rock.

Ich bin so dankbar und glücklich, dass Nils ein Teil unserer Familie ist. Er hat unser Leben um 180 Grad gedreht. Wir haben erkannt, was zählt. Durch ihn haben wir gelernt, im Hier und Jetzt zu leben, nicht in die Zukunft zu träumen oder der Vergangenheit nachzutrauern. Nils hat uns Mut gemacht und uns gezeigt, wie schön Familie gelingen kann.

Drei Jahre nach Nils Geburt haben wir noch unseren Sohn Lino bekommen (bei ihm haben wir gar keine Voruntersuchungen machen lassen). Und weil alles so gut funktioniert, sind 2020 auch noch zwei Pflegekinder zu uns gekommen."