Markus Häggberg Es gibt Dinge, die ändern sich. Es gibt Dinge, die bleiben, wie sie sind. Mein Unikum ist diesbezüglich orthodox unorthodox. Vor einigen Wochen brach ich mein Schweigen und ließ tief b...
Markus Häggberg
Es gibt Dinge, die ändern sich. Es gibt Dinge, die bleiben, wie sie sind. Mein Unikum ist diesbezüglich orthodox unorthodox.
Vor einigen Wochen brach ich mein Schweigen und ließ tief blicken. Nicht zu mir natürlich, sondern zu einem mir liebgewordenen Menschen, den ich "mein Unikum" nannte. Mein Unikum gibt es immer noch und es hat eine enorme Entwicklung durchgemacht. Zur Erinnerung: Unikum lebt im Coburgischen, dort, wo hiesige Menschen ihnen nachsagen, anders zu sein und entweder kein Auto fahren zu können oder sonstwie an der Seele Schaden genommen zu haben. Was genau bei meinem Unikum so schiefgelaufen ist, kann ich nicht sagen. Niemand kann das. Aber so viel sei gesagt: Dieses Wesen ist ein Mann und verhält sich auch ziemlich schräg.
Vor allem hat es sehr merkwürdige Interessen entwickelt und neuerdings zu seiner ohnehin schon merkwürdigen Neigung eine zweite hinzubekommen. Die ist nicht nur merkwürdig, die grenzt schon ans Groteske. Und während ich mein Unikum "Unikum" nenne, hat es für mich auch einen Namen übrig: "Depp."
Rückblende: Vor Monaten kamen mein Unikum und ich darauf zu sprechen, welche Entspannungsmethoden es auf der Welt so gibt. Ich war auf Stichworte wie "Angeln", "Lesen" oder "Schaumbaden" gefasst, aber weil mein Unikum ein belesener und kultivierter Mensch ist, muss man bei ihm auch auf Weltliteratur und Klassische Musik gefasst sein. Ich sage nur Dostojewski, Puschkin, Tschaikowsky und Schostakowitsch.
Dann aber rückte mein Original heraus und ich bin versucht, den Wortlaut einer Passage aus der Vorgängergeschichte wiederzugeben: "Weißt du, wobei ich immer entspanne? Ich schaue mir im Internet immer so Filme an." Das entsetzte mich, denn mit einer solch schmuddeligen Wendung hatte ich nicht gerechnet.
"Was für Filme denn?", fragte ich mit dem Geschmacklosesten rechnend und mich über so viel Offenheit meines Unikums wundernd. Doch was mein Unikum mir über die Filme erzählte, die es da so von Zeit zu Zeit im Internet betrachtete, war so unglaublich abartig, dass es sämtliche meiner Erwartungen übertraf.
"Manchmal", so fuhr mein Unikum fort, "manchmal schaue ich mir die Militärparaden der Roten Armee auf dem Roten Platz an." Jetzt war ich verstört, aber ich dachte auch, dass dieser Mensch Hilfe braucht und so frug ich mein Unikum, wie es nur soweit kommen konnte. "Es begann damit, dass ich das das erste Mal vor vielen Jahren sah. Dann musste ich es immer wieder sehen. Infanterie kann sehr beruhigen."
So sprachen wir damals und so notierte ich es im ersten Teil der Geschichte. Dass es zu einem zweiten kommen würde, war nicht zu rechnen. Doch nun überschlugen sich die Ereignisse, auch weil dem Roten Platz ein bisschen die Militärparaden ausgingen und meinem Unikum schon alle gefilmten bekannt sind. Zeit also, sich mit neuen Filmen vertraut zu machen. Und so sprach mein Unikum abermals zu mir und erwähnte so Filmchen. Solche von der Sorte, wie man sie auf eigens dafür eingerichteten Seiten im Internet findet. Sie wissen schon, solche Seiten eben. "Jetzt schaue ich mir andere Filme an", teilt mir mein Unikum mit. Dabei druckste es etwas herum und so stieg ein Verdacht in mir auf. Ein schlimmer Verdacht. "Du also auch", dachte ich bei mir und fragte mich, wie es bei diesem im Grunde gutkatholischen Menschen mit einstiger Ministrantenlaufbahn soweit kommen konnte. Aber so ist es ja oft und im Grunde erwartet man schon beinahe solche Zusammenhänge. Ich sprach meinem Unikum gut zu und erklärte ihm, dass es mir alles anvertrauen könne, wenn es ihm nur hilft.
Dann, nach langer Zeit, fasste es Vertrauen und nach und nach rückte es mit allem heraus, was diese Filmchen so anging.
"Weißt du, ich schaue mir im Internet gerne russische Verkehrsunfälle an - die haben was, die sind so ganz speziell. Auch die Art, wie die Leute sich dann aufregen, ist ganz besonders. Die Russen haben einfach Tiefe."
Ich hatte genug gehört. Einmal mehr hatte ich mich in diesem Menschen gründlich getäuscht. Manche Dinge bleiben eben immer gleich. Er hat seltsame Vorlieben - und mich nennt er nach wie vor "Depp".