Tierrettung Ein kleiner Storch purzelt aus dem Nest der Eltern. Weil es dort eng zugeht, entschließen sich seine Retter zu einem ungewöhnlichen Versuch: Er soll bei Pflegeeltern in Trübenbach aufwachsen.
Es ist kein gutes Jahr für die Störche in der Region. Durch Gewitter und Starkregen kamen einige Jungtiere um. Andere wurden tot unter dem Horst der Eltern gefunden, aus dem sie gefallen waren. Als nun Anfang Juni ein junger Storch in Melkendorf (Landkreis Kulmbach) abstürzte, war die Sorge unter den Tierfreunden entsprechend groß. Der kleine Storch wurde in die Tierarztpraxis von Joachim Lessing in Coburg gebracht und untersucht. Er hatte zwar den Sturz gut überstanden, doch die Frage war, ob es einen Sinn hätte, ihn wieder in das Nest zurückzubringen.
Hans Schönecker, Storchenbeauftragter der Kreisgruppe Coburg im Landesbund für Vogelschutz (LBV), weiß aus Erzählungen, dass der Horst in Melkendorf sehr klein ist und in den vergangenen Jahren immer wieder Jungstörche aus dem Nest gefallen sind. "Auf meinen Vorschlag hin sollte es das Ziel sein, den Storch baldmöglichst wieder in die Freiheit zu entlassen", sagt Schönecker. Bei einer Aufzucht durch den Menschen werde das Tier zu stark auf den Menschen geprägt. Er suche dann später immer die Nähe von Menschen, weil er von ihnen gefüttert wurde. Manche könnten so eine Annäherung aber als bedrohlich empfinden.
Als Lösung schlug Hans Schönecker etwas vor, das er selbst nicht lange zuvor beim Besuch einer Vogelschutzwarte kennengelernt hatte: eine Adoption. Es ist ein Verfahren, das der Kuckuck schon lange zu nutzen weiß. Fremde Eltern sollen das eigene Küken großziehen. Was den Vogelfreunden in die Hände spielt: Störche können nicht zählen. Auch nicht bis drei. So staunten die Elterntiere zwar, als sie von der Futtersuche zu ihrem Horst in Trübenbach (Gemeinde Weidhausen) zurückkehrten: Irgendwas schien wohl anders zu sein als sonst. Aber sie fütterten von jetzt an eben drei Vogelkinder anstatt wie bisher zwei.
Hans Schönecker führte genau Buch über das Projekt Storchenadoption, das eine Genehmigung durch die Untere Naturschutzbehörde benötigte, die unbürokratisch erteilt wurde. Da er ständig auf dem Laufenden ist, wo Störche brüten und wie es um den Nachwuchs in jedem der Horste bestellt ist, konnte er rasch beurteilen, welche Eltern für die Pflege des kleinen Storches infrage kämen. So fiel die Wahl auf das Paar in Trübenbach. Ihre Jungtiere sind nämlich ziemlich genau im Alter des Melkendorfer Jungstorchs. Der war inzwischen von Joachim Lessing gut gefüttert worden.
Noch etwas sprach für Trübenbach. Dort steht Andreas Giese als Vorortbeobachter für den LBV zur Verfügung. Es würde also schnell auffallen, wenn es in der Pflegefamilie Probleme geben würde. Außerdem kennt Andreas Giese Bernd Herold, der einen Teleskoplader besitzt. Mit dem konnte der junge Storch zu seinen künftigen Pflegegeschwistern in den Horst gebracht werden, als die Eltern gerade auf Futtersuche unterwegs waren. Nun warteten die Tierfreunde mit Spannung auf die Reaktionen in der Pflegefamilie. Schon nach kurzer Zeit pflegte eines der Jungtiere das Gefieder des Neuankömmlings. Von Aggression war nichts zu spüren. Hans Schönecker notiert: "Zufrieden verlassen wir nach drei Stunden der Beobachtung den Ort." Schon am folgenden Tag schickte ihm Andreas Giese dann ein Foto, das zeigt, wie alle drei Jungen von dem fressen, was der Storchenvater mitgebracht hat.
Nach Tagen, an denen alles gut zu laufen schien, dann ein Rückschlag: Andreas Giese meldet, dass der Jungstorch sehr passiv ist, kaum aufsteht, sein Gefieder nicht pflegt und sich offenbar nicht ans Fressen herantraut.
Doch auch das geht vorbei. Der Pflegestorch hat auch schon einen Namen bekommen, wie aus einer Mail von Andreas Giese an Hans Schönecker hervorgeht: "Hallo Hans, es wird immer besser, Emil ist richtig aktiv, putzt sich, macht kräftige Flügelschläge und versucht, Zweige zu sortieren." Am vergangenen Sonntag schließlich ist Hans Schönecker überzeugt, dass er das Projekt Storchenadoption als Erfolg einstufen kann. Ein Erfolg, den er gern veröffentlicht.
Wenn auch das Wetter dem Nachwuchs in den Storchennestern heuer übel mitgespielt hat, so ist doch festzustellen, dass die Population der großen Vögel auf einem hohen Niveau stabil einzuschätzen ist. So viele Störche wie jetzt gab es bisher nie in der Geschichte des Coburger Landes - so weit über solche Dinge Aufzeichnungen geführt werden. Ihre Nähe zum Menschen, auf dessen Bauten sie oft ihre Nester bauen, beschert den Störchen von jeher mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung als anderen Tieren.