Ein Freund für ihr Leben

4 Min
Ein tolles Team: Buddy und Frauchen Maria Hohenhausen.
Ein tolles Team: Buddy und Frauchen Maria Hohenhausen.
Buddy passt auf, dass von hinten niemand kommt und gibt Maria Hohenhausen damit Sicherheit.
Buddy passt auf, dass von hinten niemand kommt und gibt Maria Hohenhausen damit Sicherheit.
Jana Tetzlaff

Schicksal  Maria Hohenhausen bildet jetzt einen PTBS-Assistenzhund aus. Wie er ihr helfen soll, ihre Angst zu überwinden. Von Christiane Lehmann

Maria Hohenhausen steht an der Supermarktkasse. Vor ihr sind vier Menschen, die in aller Ruhe ihre Ware aufs Kassenband legen. "Ich ertrage diesen Moment gerade nicht. Ich bin mir sicher, in diesem Moment hier im Supermarkt zu sterben, wenn ich nicht sofort flüchte", sagt sie. Gleichzeitig mache ihr der Gedanke daran, hier alles stehen und liegen zu lassen, so einen Druck, dass es die Symptome um ein Vielfaches verstärkt. Sie denkt: "Ganz sicher erleide ich in diesem Moment einen Herzinfarkt."

Sie lässt den Wagen samt Inhalt stehen und rettet sich auf wackligen Beinen nach draußen. Innerhalb der nächsten 30 Minuten flauen die Symptome ab. Manchmal dauert es aber auch Stunden.

Sie hat eine weitere Panikattacke überstanden.

Die 35-Jährige leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer generalisierten Angststörung. Für sie sind die einfachsten Dinge wie einkaufen, in den Urlaub fahren oder schnell einen Kaffee mit der Freundin trinken, oftmals ein Kraftakt. An manchen Tagen sogar schier unmöglich.

"Ich habe Angst. Und wenn ich keine Angst habe, dann habe ich Angst vor der Angst. Und das hindert mich schlichtweg am Leben. Ich gehe nicht mal eben so in den Supermarkt und hole schnell die fehlende Milch. Ich habe Angst, dass ich auf dem Weg dort hin versterbe oder einen Flashback erleide. Dass Menschen mich komisch finden, wenn ich eine Panikattacke habe oder dissoziiere", beschreibt sie ihre Situation.

Raus aus der Komfortzone

Ihre Krankheit entstand nach mehreren Fehl- und Totgeburten. In ihrer Schublade daheim stapeln sich Mutterpässe und Ultraschallbilder. Doch ihre Kinder sind alle verstorben (wir berichteten).

"Ich habe mich über die Jahre zurecht gefunden in meiner Welt. Lieferdienste, Onlinehandel und Co. - all das macht es vermeintlich einfach, sein Leben in einem Bierdeckel-Radius zu führen. Schnell ist man dabei, sich einzureden, alles sei gar nicht so schlimm. Dabei ist es das nur nicht, weil mich niemand aus meiner Komfortzone bewegt - meinen eigenen vier Wänden."

Doch das ändert sich gerade. Maria Hohenhausen bildet ihren neuen Familienzuwachs Buddy, einen 10 Monate alten Labradorrüden, zum PTBS-Assistenzhund aus. Ein Assistenzhund muss viele charakterliche Eigenschaften mitbringen um diese Tätigkeit ausführen zu können. Gelassenheit, Aggressionslosigkeit und die Freude an der Zusammenarbeit mit dem Menschen sind ein paar der Wichtigsten. Buddy hat den Eignungstest des deutschen Assistenzhundezentrums, der aus über fünfzig Aufgaben besteht, bestanden und wird nun bei Maria in Selbstausbildung zum Assistenzhund. Einmal in der Woche treffen sich die beiden mit ihrer Trainerin des deutschen Assistenzhundzentrums, um das Gelernte zu überprüfen und neue Ausbildungsziele festzulegen.

Jeder PTBS-Assistenzhund wird individuell für den Erkrankten ausgebildet, bei dem er dann lebt. Er ist in der Lage, dissoziative Zustände zu erkennen und zu unterbrechen und im Notfall Hilfe zu holen. Außerdem lernen die Hunde, Sicherheit beim Öffnen von Türen zu geben, indem sie sich mit dem Blick nach hinten setzen, Distanz zu Fremden zu schaffen, auf Kommando zu bellen als Abschreckung, Licht in dunklen Räumen anzuschalten, Räume auf Einbrecher zu durchsuchen, an die Medikamente zu erinnern und zur Einnahme aufzufordern. Außerdem kann der Assistenzhund lernen, das Handy zu bringen, um in einer Krise Unterstützung anrufen zu können.

Hund als Hilfsmittel

"Buddy macht das schon prima. Seine Ausbildung läuft erst seit vier Monaten und wir üben jeden Tag mehrmals, jedoch nicht länger als 20 Minuten am Stück. Buddy ist mit zehn Monaten noch ein heranwachsender Hund und seine Aufmerksamkeit dementsprechend. Trotzdem gibt er mir schon jetzt so viel. Er grenzt mich gegenüber anderen ab und gibt mir Sicherheit, wenn wir draußen sind", erzählt Maria Hohenhausen stolz. Die Ausbildung dauert aber noch lange - bis zu zwei Jahren. "Und sie ist teuer. Zwischen 10000 und 30 000 Euro kommen da zusammen. Die Krankenkasse zahlt nichts dazu!"

Natürlich ist Maria Hohenhausen in psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Für die Teilhabe am Leben genüge dies aber leider nicht. Oftmals sorge die Angst sogar dafür, dass sie die dringend notwendigen Termine, wie Beispielsweise Arzttermine, nicht einmal wahrnehmen kann.

Ein Spaziergang im Rosengarten, der Einkauf in den Supermarkt um die Ecke, der Gang zum Bankschalter sind mit ihm an der Seite möglich.

Bei der Ausbildung wird das natürliche Verhalten des Hundes genutzt und gefördert. Ein Beispiel hierfür ist der Realitätscheck, in dem der Hund anzeigt, ob sich wirklich jemand im Raum befindet, wenn der Betroffene davor Angst hat: Ist dort niemand, wird der Hund ruhig bleiben. Ist dort jemand, wird der Hund dies melden.

Ebenfalls zu den Aufgaben zählt das regulierende Verhalten des Hundes. Das nutzt der Hund, um seinen Menschen mit einem Kommando auf ein bestimmtes Verhalten aufmerksam zu machen. Der Betroffene handelt daraufhin mit den in der Psychotherapie erlernten Techniken. Zeigt der Hund durch sein Verhalten einen Flashback an, kann der Erkrankte die Methoden gegen Flashbacks anwenden, die er zuvor in der Psychotherapie erlernt hat.

"Bis Buddy seine Aufgaben in jeder Situation abrufen kann, wird es noch dauern. Er ist ja noch nicht einmal ein Jahr alt", sagt die Hundebesitzerin. "Daheim ist Buddy einfach nur unser Familienhund, draußen wird er Tag für Tag mehr zu meinen Assistenzhund. Sobald er seine Kenndecke trägt, weiß er: Jetzt wird gearbeitet. Dann konzentriert er sich nur noch auf mich, schnüffeln, markieren und andere Hunde sind dann tabu."

Um die damit verbundenen Kosten aufbringen zu können, hat Maria Hohenhausen ein Crowdfunding-Projekt gegründet. Fast 2500 Euro sind da schon eingegangen. Die Neu-Coburgerin kritisiert, dass in Deutschland von den Krankenkassen lediglich der Blindenhund als Hilfsmittel anerkannt und finanziert wird. Dabei sei die Not, wie in ihrem Fall und aller, die von einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen sind, groß.

Ein für dieses Krankheitsbild ausgebildeter Assistenzhund kann bei Panikattacken und Dissoziationen im Geschäft zum Ausgang führen oder zu einer sicheren Sitzgelegenheit. Sicherheit, die ein Erkrankter dringend braucht, um am Leben teilzuhaben. Er kann lernen, Verkäufern oder medizinischem Personal bei Dissoziation auf Kommando zu folgen, durch Menschenmengen zu führen und an Ecken vorzugehen.

Mit Hilfe von Buddy werden dann solche Panikmomente - wie an der Supermarktkasse - einiges von ihrem Schrecken verlieren.