Grenzgeschichte Das Zweiländermuseum in Streufdorf erinnert an die Zwangsumsiedlung von Tausenden von Familien in der DDR. Manche trieb das zu der schrecklichsten Tat ...
Der 5. Juni 1952 war ein schöner Sommertag kurz nach Pfingsten. Daran erinnert sich Christa Schleevoigt (geborene Walther) gut. Sie war damals Schülerin der Oberschule in Sonneberg. Um 6 Uhr wollte sie sich dorthin auf den Weg machen. Doch ihre Eltern sagten: "Du musst heute nicht. Wir müssen weg." An diesem Tag wurde das Leben dieser Familie aus Heubisch ruiniert. Sie war Teil der "Aktion Ungeziefer", der Zwangsumsiedlung von Menschen, die nahe der Demarkationslinie zur amerikanisch oder britisch besetzten Zone lebten. Menschen, die im Ruf standen, nicht zuverlässig hinter der Politik der Regierung zu stehen.
Am 6. Juni musste die Familie Walther, Eltern und zwei Töchter, ihr Leben ganz neu aufbauen - in einer Baracke bei Jena-Lobeda, in der zuvor Kriegsgefangene gelebt hatten. Christa Schleevoigt schrieb ihre Erinnerungen nieder. Sie sind als Weblink auf der Wikipedia-Seite zur "Aktion Ungeziefer" zu finden. Dass Walthers 24 Stunden Zeit bekommen hatten, ihr Anwesen mit Gastwirtschaft in Heubisch zu verlassen, war mehr, als anderen Betroffenen zugestanden wurde. In Streufdorf sollten Familien in zwei Stunden gepackt haben.
Dort allerdings regte sich Widerstand. Wie die Bürger im Ort den Tag erlebten und sich in großer Mehrheit hinter ihre Nachbarn stellten, die abtransportiert werden sollten, für sie kämpften und dafür selbst teilweise im Zuchthaus landeten, das dokumentiert das Zweiländermuseum in Streufdorf. Dort liegt eine von Andrea Herz gestaltete Broschüre aus. Unter dem Titel "Sperrgebiet und die Barrikaden von Streufdorf" wird die Geschichte von Widerstand und Solidarität erzählt, die sich vor 70 Jahren in dem Ort ereignete. Was unter dem Namen "Aktion Grenze" begann, bekam seinen menschenverachtenden Namen nach der Broschüre offenbar durch eine handschriftliche Notiz des Thüringer Landesinnenministers Willy Gebhardt an den Zweiten Landessekretär Otto Funke, in der er die umzusiedelnden Menschen als "Ungeziefer" bezeichnete.
Widerstand der Bürger
Als Volkspolizisten in den Ort kamen, um die Anweisungen der Regierung umzusetzen und ihre Mitbürger zu deportieren, stellten sich ihnen die Streufdorfer entschlossen entgegen. Das NS-Regime lag gerade sieben Jahre in Trümmern, als staatliche Willkür schon wieder möglich war auf deutschem Boden. Der Widerstand wurde gewaltsam gebrochen. Nirgends entlang der Grenze von der Ostseeküste bis an das tschechische Staatsgebiet gelang es, die Umsiedlungen zu verhindern.
In einigen Fällen aber kamen die Volkspolizisten zu spät. So etwa in Billmuthausen. Sieben Familien, 34 Menschen, hatten dort ebenfalls ihre Heimat aufgegeben. Doch sie entschieden selbst, wo ihr Leben weitergehen sollte - in der Bundesrepublik. Dorthin hatten sie sich abgesetzt, als auch sie umgesiedelt werden sollten. Ein besserer Start in ein neues Leben.