Vorher lebte die Familie in Sjewjerodonezk im Westen des schon seit 2014 umkämpften Verwaltungsbezirks Luhansk. Von Beginn der russischen Invasion an war die Großstadt Raketenangriffen ausgesetzt und ist inzwischen Kriegsschauplatz. Eine dieser Raketen hätte Anfang März fast Andrej, seine Frau und die zwei Kinder getroffen, die - mit vielen anderen - in einem Keller hockten. "Das war die letzte Entscheidung, dass wir nicht bleiben können", sagt er, vor Anspannung zitternd.
Ungewöhnliche Flucht aus Sjewjerodonezk
Eigentlich hatte Andrej den Rest der Familie schon einmal auf die Flucht nach Westen geschickt, wollte allein zurückbleiben. Doch in den völlig überfüllten Zügen fand seine Frau keinen Platz für sich und die Kinder - und kehrte um.
Fortan vegetierte die Familie im Keller. Anfang verfügte sie in ihrer eigenen Wohnung noch über Wasser und Strom, wagte sich ab und zu dorthin, wenn es nicht zu gefährlich erschien. Das war irgendwann nicht mehr möglich. Teilweise lebten in einem Keller 100 Menschen, teilten sich zu sechst eine zwei mal zwei Meter große Matratze.
Bald ging der Strom aus - und damit die Möglichkeit, das Handy zu laden. In einer Zeit mit etwas Saft nahm Andrej Kontakt zu Fluchthelfern auf."Da gibt es Freiwillige, die machen es für umsonst. Und dann andere, die dafür Geld nehmen", berichtet er.
Die Familie geriet an erstere Kategorie. Die Helfer lotsten sie durch sogenannte graue Zonen, in denen sich keine Russen aufhielten - aber auch keine Ukrainer. Der Weg führte nicht etwa Richtung Polen, sondern ins prorussisch besetzte Gebiet und schließlich nach Russland selbst.
Über die weitere Reise berichtet Andrej nicht mehr so viel. Ihm und der Familie gelang es nach seinen Worten, mit Reisedokumenten nach Belaruss und schließlich nach Polen durchzudringen. Die Route hatten die Ostukrainer noch selbst geplant, festgelegt, über welche Städte es gehen sollte. Am Ende war sogar die Katze mit dabei.
"Zwei Wochen hat die Reise gedauert", erzählt Andrej. Jetzt wohnen er und seine Lieben in der Rhön bei Verwandten, die sie früher schon einmal besucht hatten. Ihre Heimat Sjewjerodonezk, haben sie erfahren, ist zum größten Teil zerstört.
Nicht ganz so dramatisch verlief der Weg nach Deutschland für Pavel Reznichenko. Um sein Leben musste der 17-Jährige aus Kiew in seiner unmittelbaren Umgebung nicht fürchten; dort wurde nicht geschossen, berichtet er. Aber dass etwas weiter entfernt gekämpft wurde, hörte Pavel schon.
Per Zug in Sicherheit gebracht
In den Tagen vor dem 13. März beschlossen seine Eltern, ihren Sohn in Sicherheit zu bringen. Gemeinsam fuhr die Familie mit dem Zug nach Lwiw, das frühere Lemberg. Von dort aus gelangte der 17-Jährige ebenfalls per Eisenbahn ins polnische Przemysl, wo ihn die Bad Brückenauer Helfer auflasen. Pavels Eltern kehrten derweil nach Kiew zurück.
In der Rhön am Sonntag, 13. März, angekommen, wohnte Reznichenko erst ein paar Tage bei einer Familie in Mitgenfeld, ehe sich das landkreiseigene Jugendamt seiner annahm. Jetzt lebt der 17-Jährige in Bad Kissingen, in einem "Jugendwohn-Campus", wie es die Dolmetscherin übersetzt. Dort seinen mehrere Jugendliche ohne Eltern untergekommen.
Kontakt zu seinen Eltern in Kiew hält er; er gestaltet sich aber überschaubar. "Aus Sicherheitsgründen bleibt das Handy meist aus; aber manchmal schreiben sie." In der ukrainischen Hauptstadt sei es jetzt, da die Russen sich von dort zurückgezogen haben, "ein bisschen ruhiger geworden".
Obwohl Pavel selbst keine Kriegsgreuel erleben musste, berichtet er von Bekannten, denen russische Panzer begegnet sind. Und manche hätten auch Kriegsverbrechen gesehen.
Entspannung in den Gesichtern
Zurück zum Nachmittag im Stützpunkt des Bayerischen Roten Kreuzes: Viele Ukrainer nutzten die Möglichkeit, sich in Netzwerk-Listen einzutragen, und auch die Tombola war gut besucht. Des weiteren informierte die örtliche Sprachschule über kostenlose Deutsch-Kurse.
Stadtrat Dirk Stumpe hat die meisten der inzwischen fünf Hilfstransporte an die polnisch-ukrainische Grenze begleitet. Er schreibt auch in den sozialen Netzwerken regelmäßig darüber. "Heute sind viele Menschen hier, die wir in unserem Bus gehabt haben", erzählt er am Rande der Veranstaltung. Am schlimmsten habe er das Leid am Bahnhof in Przemysl wahrgenommen. Dort seien Leute mit versteinerten Gesichtern zugestiegen. Während die Mütter meist noch wach geblieben seien, seien die Kinder gleich nach Beginn der Fahrt nach Deutschland erschöpft eingeschlafen.
Sowohl Stumpe als auch "Bad Brückenau hilft!"-Vorsitzender Ulrich Wildenauer freuen sich, dass es den Flüchtlingen jetzt besser geht. "Die Menschen sind jetzt gelöster, fühlen sich in Sicherheit", sagt Wildenauer.
Der Hilfsverein bringt weiterhin Flüchtlinge mit, aber nicht direkt nach Bad Brückenau. Wer zusteigt, hat meist einen anderen Anlaufpunkt, steigt zwischendrin aus oder um, oder reist nach Ankunft in der Rhön weiter.
Indessen tut sich offensichtlich in der Struktur von "Bad Brückenau hilft!" einiges. Vorsitzender Ulrich Wildenauer informierte seine Vorstandskollegen, dass er sein Amt zur Verfügung stellt und den Weg für Neuwahlen freigeben möchte (für die er nicht zur Verfügung steht). Grund sei unter anderem die offensichtlich "unterschiedliche Auffassung zwischen den Schwerpunkten unserer Arbeit an der Grenze und hier vor Ort".
Für Wildenauer sei "Bad Brückenau hilft!" ein Verein für die Stadt selbst; so stehe es auch in der Satzung. Andere würden die Hauptaufgabe in den Hilfslieferungen sehen.