Weil ein behinderter Mann in einer Pflegegruppe in Hofheim auf Mitbewohner einschlug und auf einen mit dem Messer los ging, wurde er nun am Landgericht Bamberg vorläufig zu einer Unterbringung in einer Bezirksklinik verurteilt.
peter Groscurth
Es ist ein schwieriger Fall, den das Landgericht in Bamberg um den Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt zu verhandeln hatte. Dabei ging es an zwei Prozesstagen um die Frage, wie man einen Menschen verurteilen muss, der infolge eines schweren Unfalls behindert ist und dadurch immer mehr die Kontrolle über sich und seine Aggressivität verliert.
Angeklagt war Werner F. (
Name geändert). Der gebürtige Bamberger lebte viele Jahre in einer betreuten Wohngruppe in Hofheim (Landkreis Haßberge). Der frühere Metzger konnte sich immer schwerer beherrschen, konterte Störungen durch Aggressionen. Innerhalb eines Jahres ging er vier Mal auf Mitbewohner los, schlug sie und verletzte sie dabei leicht.
Der gefährlichste Vorfall ereignete sich im Juli 2015: F. versetzte laut Anklage einem Mann, der ebenfalls in der Wohngruppe lebte, einen Faustschlag ins Gesicht. Doch das Opfer wehrte sich und F. soll laut Aussagen von Beteiligten ein 15 Zentimeter langes, spitz zulaufendes Messer aus seinem Zimmer geholt haben. Eine Zeugin erklärte gestern vor Gericht: "Nur weil meine Kollegin dazwischenging, konnte Schlimmeres verhindert werden. Ich denke, er hätte zugestochen. Er zeigte in letzter Zeit eine höhere Aggressivität. Seine Gewaltausbrüche haben sich gehäuft. Andere Bewohner hatten deshalb Angst vor ihm."
Eine Entwicklung, die auch ein Psychiater in seinem Gutachten feststellte. Der Experte sagte dazu: "Das ist relativ gut zu erklären. Der Angeklagte hatte den schweren Motorradunfall mit Ende 30. Bei Menschen mit solch massiven Verletzungen beginnt der geistige Abbau viel schneller. Somit setzt auch rascher die Leistungsverminderung ein und man verliert nach und nach die Kontrolle über sich." Am 12. Juni 2000 verunglückte der Arbeiter auf dem Berliner Ring schwer mit seinem Motorrad, lag danach im Koma und ist seitdem auf Hilfe angewiesen. Wegen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas leidet er unter den Folgen eines sogenannten Psychosyndroms - also der schweren Schädigung seines Hirns.
Gefahr für Allgemeinheit
Eine Alltagssituation reichte aus, dass der Angeklagte gewaltsam wurde, wie Staatsanwalt Stephan Jäger im Prozess darstellte. Er wertet die Attacken als vorsätzliche und versuchte gefährliche Körperverletzung. Der Staatsanwalt über den Angeklagten: "Von ihm sind infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. Er ist deshalb für die Allgemeinheit gefährlich."
Doch wie soll mit Werner F. umgegangen werden? Erwartet ihn eine Strafe hinter Gittern?
Sein Anwalt Thomas Gärtner hoffte während der Verhandlung auf eine Bewährungsstrafe und eine bessere Unterbringung seines Mandanten in einer Pflegeeinrichtung, in der er rund um die Uhr betreut und so auch besser überwacht werden kann.
Vor Gericht kann sich der Angeklagte nur schwer verständlich äußern. Seine Sätze sind kaum zu verstehen. Er leidet zudem unter großen Schmerzen - seine Hüfte ist kaputt. Doch Mediziner würden ihm eine künstliche Hüfte verweigern. "Dafür ist er nach Auffassung der Mediziner zu jung, muss noch etwa drei bis vier Jahre auf die OP warten", meinte sein Anwalt dazu.
Doch F. steht zu den Tatvorwürfen. Er gibt die Schläge zu. Seine Betreuerin fordert daher auch eine "Betreuung rund um die Uhr". "Ich weiß, dass er leicht aggressiv werden kann und er häufig unter starken Kopfschmerzen leidet", fügt sie an.
Laut Prognose des psychiatrischen Experten wird die Störung von Werner F. nie besser werden. Zudem geht der Psychiater wegen der reduzierten Impulskontrolle von einer hohen Gefährlichkeit des Angeklagten aus. Komme es bei ihm zu kleinen Provokationen oder Streitereien, könne er sich nicht beherrschen und werde rasch aggressiv. "Das sind faktische Gegebenheiten. Es ist keine kausale Behandlung dagegen möglich."
Und wie sieht dann eine Lösung für Werner F. aus? Wie dessen Verteidiger schlug auch der Psychiater eine Unterbringung in einer geschlossenen, betreuten Pflegeeinrichtung vor.
Auf Warteliste von Pflegeheim
Problem: Ein geeignetes Heim nahe Bad Brückenau sei derzeit voll belegt und F. stehe dort auf der Warteliste auf Platz eins. Es könnten laut Schätzung seines Anwalts aber bis zu drei Monate vergehen, bis er einen Platz erhalte.
Und bis dahin? In seinem Plädoyer forderte Staatsanwalt Jäger wegen verminderter Schuldfähigkeit ein Jahr und sechs Monate Haft sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Erhält F. aber einen Platz in einer geeigneten Betreuungseinrichtung, könne diese Strafe dann zur Bewährung ausgesetzt werden.
Eine Forderung, der sich auch der Anwalt von F. anschloss. Nach einer kurzen Pause verkündete der Vorsitzende Richter das Urteil seiner Kammer. Ein Jahr Freiheitsstrafe sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Allerdings könne diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Platz in der Betreuungseinrichtung frei werden würde. Dann wären entsprechende Anträge auf Bewährung möglich.
Richter Schmidt: "Der Angeklagte muss schnellstmöglich in ein neues Heim. In Hofheim kann er nicht bleiben." Sowohl Staatsanwalt als auch Verteidiger Gärtner kündigten noch im Verhandlungssaal an, auf Rechtsmittel zu verzichten.