Am Ende wird's hart(z)

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Die Angst geht um, dass immer mehr Menschen nach dem Arbeitsleben in Armut fallen.
Die Angst geht um, dass immer mehr Menschen nach dem Arbeitsleben in Armut fallen.
CT-Archiv
 

Rente  Der frühere Sozialsekretär der evangelischen Kirche, Leonhard Fehn, sorgt sich um die Zukunft im Alter all derer, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind.

Mehr als zwei Jahrzehnte war es Leonhard Fehns Aufgabe, als Sozialsekretär der evangelischen Kirche Menschen in sozialen Fragen zu beraten. Rente, Hartz IV oder Versorgung von Hinterbliebenen waren Themen seiner zahllosen Vorträge. Blickt er heute in die Zukunft, wird ihm bange für eine immer größere Zahl von Betroffenen - aus verschiedenen Gründen.

Vor allem die Altersrente wird für immer mehr Menschen nicht mehr reichen, um ohne weitere Unterstützung leben zu können, ist er überzeugt. "In Deutschland sinken, seit Helmut Kohl die Verteilungsmechanismen außer Kraft gesetzt hat, die realen Nettolöhne und Renten", sagt er. Tatsächlich lag das Rentenniveau noch zu Beginn der 70er Jahre bei etwa 70 Prozent. Heute sind es 48 und 2030 sollen es nur noch 43 Prozent sein.

Dazu muss erklärt werden, dass unter Rentenniveau nicht etwa der Prozentsatz des Brutto- oder Nettogehalts zu verstehen ist, der als Rente gezahlt wird. Es ist eine Rechengröße, die das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittseinkommen aller Versicherten beschreibt. Die Standardrente ist dabei die Rente, die jemand bekäme, der über alle Beitragsjahre genau im Durchschnitt aller Einzahler verdient und 45 Jahre Beiträge geleistet hat.

Schon jetzt werden laut Magazin Focus weit mehr als eine halbe Million unter den knapp 18 Millionen Rentnern als bedürftig eingestuft. Ein Anteil, der nach den Erwartungen von Leonhard Fehn in den kommenden zehn Jahren deutlich steigen dürfte. Dass dies keine neue Entwicklung ist, bestätigt ein Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zur Lohnentwicklung und Kaufkraft: "Aufgrund relativ hoher Inflationsrate und nur geringer Lohnsteigerung haben die Deutschen heute weniger Geld in der Tasche als im Jahr 2000."

Entnahmen für Kriegsfolgelasten

Dazu kommt, dass die Rentenversicherung nicht nur für die Altersrente der Versicherten aufkommt. Sogenannte versicherungsfremde Leistungen schmälern den Kuchen, von dem nur die Versicherten - je nach Höhe der Einzahlungen - ihre Stücke abbekommen sollten. Doch wird hier auch Geld entnommen für Aufgaben, die eigentlich aus Steuergeldern gedeckt werden müssten. Dazu gehören Kriegsfolgelasten, Anrechnungszeiten, etwa für Ausbildung, wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Krankheit, Kindererziehungszeiten, Rentenberechnung nach Mindesteinkommen, Bestandsschutz für Renten in den neuen Bundesländern, Renten für Aussiedler und Ausgleich von NS-Unrechtstaten. Der in der Agenda 2010 der Schröder-Regierung ausgebaute Niedriglohnsektor wird nach Fehns Erwartung durchschlagen, wenn immer mehr Betroffene dieser Regelungen in Rente gehen. Ihnen droht Altersarmut ebenso wie (laut einer Medienauflistung) vielen Selbstständigen, die nie in die Rentenkasse eingezahlt haben, Langzeitarbeitslosen, die länger als fünf Jahre ohne Job waren, Beziehern von Erwerbsminderungsrente oder geschiedenen Frauen, die selbst nie oder nur gering eingezahlt haben. In diesem Zusammenhang erinnert Leonhard Fehn daran, dass Beschäftigte, die jünger sind als 50 Jahre, nur zwölf Monate, Ältere 24 Monate Arbeitslosengeld erhalten, auch wenn sie jahrzehntelang eingezahlt haben. "Danach gibt es Hartz IV mit entsprechenden Verlusten an der späteren Rente."

Um Auszahlungen zu sparen und mehr Beiträge einzunehmen, wurde daher das Regeleintrittsalter in die Rente von 65 schrittweise auf 67 Jahre erhöht. Das reale Eintrittsalter weicht aber schon immer von dieser Grenze ab. So lag es etwa in den 60er Jahren bei Männern regelmäßig über 65. In den 70ern sank es ab auf Werte zwischen 62 und 63 Jahre, die in den 80er Jahren galten, und stieg dann seit Mitte der 90er auf heute über 64 Jahre an. Gingen Frauen in den 60ern noch mit rund 64 Jahren in Rente, waren es 1980 nur noch 61,5 im Durchschnitt. Seit Mitte der 90er liegt das Eintrittsalter bei Frauen etwa auf dem Niveau der Männer. Würden Gruppen, die bisher nicht in die Rentenversicherung einzahlen, wie Beamte, Selbstständige oder Politiker sich ebenfalls mit einbringen, stünden die Rentenkassen nach Fehns Einschätzung erheblich besser da.

Weitere Einschnitte

Doch Leonhard Fehn erinnert an weitere Einschnitte bei der Rentenberechnung. So werde eine Ausbildungszeit etwa an Fach- oder Hochschulen heute erst ab einem Alter von 17 Jahren (davor 16) anerkannt und dann nur noch für drei statt für fünf Jahre. Bei Fachschulausbildung gibt es nur noch 75 Prozent der Entgeltpunkte statt 90. Nur auf die erforderlichen 35 Jahre Wartezeit werden noch acht Jahre Ausbildung angerechnet. "Im Vergleich zu 1991 kann das für Studierende später einen monatlichen Rentenverlust von 235 Euro bedeuten", rechnet Leonhard Fehn vor. Bei Hinterbliebenenrente wird das Einkommen stärker berücksichtigt als früher und der Rentenversicherungsbeitrag wurde 2001 auf elf Prozent begrenzt. "Vor allem wer für Mindestlohn arbeitet, wird am Ende mit seiner Rente nicht auskommen", steht für Fehn fest. Dabei stehen Geringverdiener in zunehmender Zahl noch vor einem anderen Problem, wenn es um ihre Vorsorge für das Alter geht. Während Besserverdienende privat in eine zusätzliche Versorgung im Alter investieren können und oft Wohneigentum geschaffen haben, reicht Mindestlohnempfängern das Geld gerade so zum Leben. Zusätzliche Altersvorsorge können sie sich schlicht nicht leisten.

Politik ist gefragt

Für Fehn ist daher klar, dass die Politik gegensteuern muss. Denn die wirtschaftliche Leistung des Landes ist in seinen Augen deutlich mehr angestiegen als Löhne und Renten. "Wer heute 1500 Euro netto verdient, müsste längst 3400 Euro netto verdienen. Der europäische und globale Lohndumpingwettbewerb hat aber leider die normale Lohnentwicklung verhindert." In seinen Augen ist daher Deutschland längst zum Billiglohnland geworden.

Auf Basis der Zahlen von 2019 heißt es in einem Artikel des Stern: "Deutschland liegt mit einem mittleren Jahreseinkommen von 43 000 Euro auf Platz 10 unter den 28 EU-Staaten und damit leicht oberhalb des EU-weiten Schnitts von 38 400 Euro."

Dabei zieht vor allem der erheblich ausgebaute Niedriglohnsektor neben einem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten den Wert nach unten.