Die Augen vor strukturellen Benachteiligungen verschließt sie trotz ihres Appells an die weibliche Selbstermächtigung nicht: "Beruf, Familie, Politik. Das ist vielen zu viel." Derzeit versucht sie, Mitglieder von einer Kandidatur bei der Kommunalwahl zu überzeugen. Bei Frauen stoße sie auf viele Vorbehalte. Aures findet das "sehr schade".
"Frustriert"
(Johanna Bamberg-Reinwand, Zeil, 37 Jahre)
Als "absoluten Tiefpunkt" bezeichnet Johanna Bamberg-Reinwand die jüngsten Vorgänge innerhalb der SPD: "Das sage ich als Sozialdemokratin und das sage ich als Frau." Seit 2003 ist sie Parteimitglied, seit gut zwei Wochen führt sie den Kreisverband Haßberge. Nicht jeder von Nahles' Auftritten gefiel ihr, an deren Arbeitsmoral und politischem Kompass aber hatte sie keine Zweifel. Über die Gründe des Rückzugs kann Bamberg-Reinwand nur mutmaßen, für politisch geboten hielt sie ihn nicht. "Sicher ist, dass es um Andrea Nahles auch als Person und Frau ging."
Ihr Unbehagen an den Geschlechterverhältnissen illustriert sie mit einer Anekdote aus dem Unterbau der Partei. Als Vorsitzende des Ortsverbands Zeil habe sie vor Jahren der Vorsitzende eines benachbarten Ortsvereins mit "ach, wie süß" begrüßt. Sie sei nicht süß, sondern Vorsitzende, entgegnete sie dem Mann. "Der verschwand dann sofort auf dem WC." Heute kann die 37-Jährige darüber zwar lachen, witzig aber findet sie es immer noch nicht.
Menschen, diese Erfahrung hat Johanna Bamberg-Reinwand nicht nur in der SPD gewonnen, förderten vor allem Menschen, die ihnen selbst ähnelten. Und weil in der Politik die Männer dominierten, hätten es Frauen schwerer: "Noch immer."
Grünen-Chefin Baerbock für Neuwahlen bei Scheitern der GroKo
"Feministisch" (Anna Tanzer, Bayreuth, 21 Jahre)
Zum Selbstverständnis der Jusos zählt, es besser zu machen als die mutmaßlich von Macht und Karrierismus korrumpierte Mutterpartei. Diesen Anspruch erheben die bayerischen Jusos auch in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit: "Wir verstehen uns als eine feministische Organisation", sagt Anna Tanzer.
Seit April führt die 21-Jährige aus Bayreuth die bayerischen Jusos an. Durchgesetzt hat sie sich gegen einen männlichen Konkurrenten: "Das Geschlecht hat keine Rolle gespielt. Es ging um Inhalte."
Weil Sachfragen aber selbst bei den Jusos nicht immer derart vorbildlich dominieren, haben sie sich eine Frauenquote verordnet: 40 Prozent der Vorstandsposten müssen von Frauen besetzt sein. Juso-Frauen können ihre rhetorischen Fähigkeiten zudem in alleine ihnen offen stehenden Kursen schulen und sich bei Verstößen gegen den feministischen Kodex an Sexismusbeauftragte wenden. "Es wäre schöner, wenn das alles nicht nötig wäre", sagt Tanzer. Die Realität aber sehe anders aus. " Männer in Führungspositionen sind immer noch der gesellschaftliche Normalfall."
Andrea Nahles brach mit dieser Konvention: "Mir tut es leid um die erste Vorsitzende, die die SPD in ihrer Geschichte hatte", sagt Tanzer.
"Kämpferisch" (Christine Kayser, Nürnberg, 62 Jahre)
Zurückzutreten war der einzig machbare Schritt für Andrea Nahles. Sagt Christine Kayser, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Nürnberg-Altstadt. Denn Nahles hätte ihre "schwierige Situation geerbt". Ein "Schade" kommt Kayser nicht über die Lippen, ein Bedauern aber ist herauszuhören. Schließlich hätten die Bundesgenossen in der Regierung wichtige Dinge bewegt, wie etwa Mindestlohn und Klimaschutzgesetz. "Sowohl medial als auch innerparteilich wird das aber nicht gedankt", so Kayser. Das sei ein generelles Problem in der Politik, vor allem aber bei den Sozialdemokraten. "Der Anspruch an die SPD ist höher als der an alle anderen Parteien." Das sei kaum aufzufangen. Jeder wollte emotionale, offene, machtbewusste, intelligente und medienwirksame Politiker haben. "Ist jemand dann emotional und offen, bekommt er eins auf die Mütze." Wie Andrea Nahles.
Dass sie gehen musste, nur weil sie eine Frau ist, glaubt die 62-jährige Nürnberger Stadträtin nicht. "Gegen Frauen wird härter vorgegangen. Das stimmt schon. In Spitzenpositionen müssen aber alle einstecken." Kayser wünscht sich einen besseren Umgang miteinander. Man sei "nicht mehr fair zueinander". Aber sie kämpft weiter: "Ein Sozialdemokrat bleibt ein Sozialdemokrat, egal, wie es um die Partei bestellt ist."