Über 55 Jahre lebte Claudia Fleischmann aus Forchheim als Mann. Nun beginnt endlich ihr Leben als Frau.
Das Epilier-Gerät piept und Claudia Fleischmann zuckt ein wenig vor Schmerz. Alle zwei Sekunden ein Piep und ein Zucken - jedes Mal verschwindet für immer ein Barthaar aus ihrem Gesicht. Ihr Bartwuchs ist ein Überbleibsel aus ihrem früheren Leben: Die Forchheimerin hat 55 Jahre als Mann gelebt, bevor sie sich 2015 als Transfrau outete. Ihr Geburtsname war Klaus. "Nach meinem Outing war die Bartentfernung der allererste Schritt zur Geschlechtsangleichung", erklärt Fleischmann.
Schmerzhafte Behandlung
Die Nadelepilation ist eine langwierige und schmerzhafte Behandlung. Seit einem Jahr besucht sie einmal wöchentlich ihre Elektrologin Janette Beyer in Nürnberg. Fleischmann muss jeweils eine Stunde auf der Liege ausharren. Janette Beyer führt eine feine, flexible Sonde in den Haarkanal ein. Über ein Pedal wird die Nadel mit Strom erhitzt. So verödet sie die Haarwurzel und zieht anschließend das Haar heraus. Durch die Mikroverbrennung wird es dauerhaft zerstört.
"Es ist schmerzhaft. Man spürt die Hitze und es fühlt sich wie eine Verbrennung an", erläutert Claudia Fleischmann. Für Transfrauen ist die Nadelepilation die einzige Möglichkeit, die Barthaare nachhaltig loszuwerden. Janette Beyer muss jedes Haar einzeln entfernen. Am Anfang schafft sie pro Sitzung eine Fläche in der Größe einer Zwei-Euro-Münze. Nach und nach werden die Haare lichter. Fleischmann hat noch ein Jahr Nadelepilation vor sich.
Schwerer Weg ins neue Leben
Solange der Bart sichtbar ist, könnten Transfrauen kein normales Leben führen, betont sie. Die Haarentfernung sei einer der wichtigsten Schritte in die Öffentlichkeit. Am 2. September 2015 outete sich Fleischmann gegenüber ihrer Ehefrau.
Der Weg in ihr neues Leben ist nicht leicht. In Deutschland gilt Transsexualität beziehungsweise Transidentität als psychische Erkrankung. "Wenn sie heute eine Geschlechtsangleichung wollen, müssen sie normalerweise eineinhalb Jahre vorher zur Therapie", erklärt sie. Transmenschen benötigen zwei psychiatrische Gutachten, um neue Dokumente und medizinische Behandlungen zu erhalten. "Glücklicherweise hatte ich einen tollen Therapeuten und den Verein ,TransPeople', dadurch war ich schnell an der Epilation dran", sagt Fleischmann.
Die Haarentfernung begann im Juli 2016. Seit dem 18. Oktober heißt sie offiziell Claudia Judith Fleischmann. Anfang des Jahres bekam sie Expander in die Brust eingesetzt und Ende Juli die Implantate. Sie nimmt zudem Hormonpräparate. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Viele Transfrauen kämpften jedoch jahrelang, um die benötigten Gutachten zu bekommen, bestätigt Janette Beyer. Ein Gutachten kann für die Betroffenen zwischen 1000 und 3000 Euro kosten.
Angriffe in Forchheim
Auch im Alltag hat Fleischmann als Transfrau mit Problemen zu kämpfen: Sie sei schon auf der Straße in
Forchheim angegangen worden. "Die Leute gehen förmlich auf mich los. Ich schätze mich glücklich, dass ich noch keinen Backstein auf den Kopf bekommen habe", sagt sie. Oftmals seien die Täter Menschen mit Migrationshintergrund. "Dabei müssten sie es doch besser wissen. Sie haben ja selbst Erfahrungen mit Anfeindungen", fügt sie hinzu.
Brüste für den Mann - Geschäft in Nürnberg hat sich auf Transsexuelle spezialisiert
Einschüchtern lässt sich die Forchheimerin nicht und geht weiterhin in Frauenkleidern auf die Straße. "Ich versuche schon als Frau herumzulaufen, allerdings würde ich viel lieber öfters mal, einen Minirock anziehen", gesteht sie.
Das Geschlecht beginnt im Kopf
Unter dem gesellschaftlichen Druck, ihre Transidentität verstecken zu müssen, litt sie früher enorm. "Ich bin heute Frührentnerin; das liegt hauptsächlich daran, weil ich mich lange Zeit verbiegen musste", meint Fleischmann. Sie wünscht sich, dass es Transmenschen in der Zukunft nicht so schwer haben. "Ich hoffe, dass die jetzige Generation merkt: Da müssen wir etwas anders machen", betont sie. "Das Geschlecht beginnt im Kopf und nicht zwischen den Beinen."
Fleischmann hat eine sehr progressive Vision: Die Gesellschaft solle Kindern bis 14 Jahren am besten gar kein Geschlecht "aufdrücken". Ab 14 solle dann jeder Mensch selbst über sein Geschlecht und den eigenen Namen entscheiden dürfen.
Nicht entmutigen lassen
Nach einer Stunde hat Fleischmann die Nadelepilation überstanden. "Die Frauen leisten Unglaubliches", betont Janette Beyer. Nach der Behandlung ist Fleischmanns Gesicht noch gerötet. Doch sie ist glücklich, dass wieder viele Barthaare für immer verschwunden sind.
Trotz der Schmerzen, Anfeindungen und Probleme lässt sich Fleischmann nicht entmutigen. "Ich bereue meinen Schritt nicht, weil ich weiß: Ich habe mich mein Leben lang kaputt gemacht", sagt Fleischmann über ihr Leben vor dem Outing. Jetzt könne sie endlich als Frau leben, so wie sie sich schon immer gefühlt habe. Am 17. Oktober findet die angleichende Mann-zu-Frau-Operation an ihrem Geschlechtsteil statt. Claudia Fleischmann freut sich bereits auf den Eingriff.
Selbsthilfegruppe
Der Verein "TransPeople" in Erlangen berät und hilft bei Fragen zu Transsexualität und ist die älteste Selbsthilfeorganisation für Transsexuelle in Bayern. Infos finden Sie unter
www.transpeople.org.