Auf heutige Schüler kann die Stenografie den Eindruck einer undurchschaubaren Geheimschrift machen. Es ist aber noch gar nicht so lange her, da galt sie als Grundvoraussetzung für viele Berufe.
Das Wort "ist" wird zu einem Punkt, das "und" sieht aus wie ein Bindestrich und das altdeutsche "ß" heißt "Wirtschaft". Was auf den ersten Blick wie ein Geheimcode wirkt, war jahrzehntelang eine Grundvoraussetzung für viele Berufe. Die Kurzschrift, die auch den Namen "Stenografie" bekannt war, wurde an den Schulen gelehrt. Heute dagegen ist sie vom Aussterben bedroht.
"Ich bin froh, dass ich das nicht mehr brauche", sagt Konrad Obholz. Um im Mittleren Dienst anfangen zu können, war die Stenografie Pflicht. 150 Silben pro Minute mussten es mindestens sein. "1974 wurde das auf 120 Silben pro Minute reduziert. So habe ich es geschafft", erinnert sich der Beamte beim Amtsgericht Forchheim.
Das Stenografieren war schlichtweg ein Muss beim Amtsgericht, wurde doch bei jeder Strafgerichtsverhandlung ein Inhaltsprotokoll mitgeschrieben. So schnell wie die Leute sprechen, kann man aber meist nicht langschriftlich mitschreiben.
Außerdem sprachen die Angeklagten selten Schriftdeutsch.
Nur bedingt lustig "Ich habe auf die Goschn gehaun", so oder so ähnlich haben die Angeklagten vor Gericht bisweilen gesprochen. Das musste der Justizassistent dann auf der Schreibmaschine in sinnvolle Sätze verwandeln. Und das, ohne den Inhalt zu verzerren.
Aber wenn es bei einer Verhandlung besondere Vorkommnisse gab und es hieß "nach Diktat", musste ebenso Wort für Wort stenografiert werden wie bei den Beweisanträgen des Rechtsanwalts. Früher wurden auch die Scheidungen am Landgericht verhandelt.
Seitenweise stenografierte der 57-Jährige dann, wer welches Besteck behalten darf. "Das war weniger lustig", sagt Obholz - und meint dabei beides: die Scheidungen und die Kurzschrift. Denn die gesprochenen Wörter in Kurzschrift auf dem Block festzuhalten, damit war es nicht getan.
Man musste es hinterher im Büro wieder lesen können - und wohlgemerkt später auf der mechanischen Schreibmaschine in Langschrift verfassen, um das Geschriebene dem Richter zum Gegenzeichnen vorzulegen. "Wie ein Lehrer hat er alles gestrichen, was nicht passte", sagt Konrad Obholz.
Eigene Schrift erfunden Die Gefahr, die eigene Steno- Schrift nicht mehr lesen zu können, ist durchaus gegeben und passierte auch dem damaligen Justizassistenten Obholz. Aber er wusste sich zu helfen: "Ich habe ein gutes Gedächtnis, teils langschriftlich mitgeschrieben und meine eigene Kurzschrift erfunden."
Wie man mitschrieb, war schließlich egal, nur hinterher musste es stimmen. Zustimmung erhält Obholz in diesem Zusammenhang von seiner Kollegin Edeltraud Rösch, die seit 31 Jahren am Amtsgericht in Forchheim arbeitet.
Auch sie hat Stenografie in der Schule gelernt.
Ein Eignungszeugnis, das 120 Silben pro Minute bestätigt, musste sie aber mit der Bewerbung beim Gericht vorlegen, um besser eingestuft zu werden. Sie selbst musste aber am Gericht nie stenografieren. "Wenn man gerne stenografiert, wird man es beibehalten", sagt Rösch dennoch.
Geheimer als Facebook Sie behielt es bei, denn die Kurzschrift, in der Wellen, Haken oder halbe Striche mit Wellen für ganze Wörter stehen, gefällt ihr. "Ich habe mein Tagebuch in Kurzschrift geschrieben. Das war geheimer als heute Facebook", lacht Edeltraud Rösch.
In der Schule hat sie gelernt, 80 bis maximal 100 Silben pro Minute zu schreiben. In Kurzschrift. Daneben gab es auch noch die Schnellschrift. "Das war Abkürzung der Abkürzung", erklärt Edeltraud Rösch.
Allerdings nur einige Wörter hat sie davon in der Schule gelernt, weshalb sie sich die Schnellschrift und auch die höhere Silbenzahl der Kurzschrift selbst angeeignet hat.
In der Kurzschrift sah Rösch damals noch einen Vorteil: Man habe viele Fremdwörter wie zum Beispiel "Konversation" oder "Differenz" kennengelernt. Wörter mithin, mit denen Jugendliche damals kaum in Kontakt gekommen sind.
Heute verfasst Edeltraud Rösch zumindest noch ihre Notizzettel in der geheimnisvollen Kurzschrift. Die Justizangestellten brauchen diese schon lange nicht mehr. Die Gerichtsschreiber sitzen heute am Computer, wenn sie die Aussagen protokollieren.