Die Nationalsozialisten fühlten sich durch den Zigarrenraucher Leo Abraham provoziert
Der Forchheimer Historiker Rolf Kießling ist Experte für die mehrere Jahrhunderte zurückreichende Geschichte der Forchheimer Juden. Der ehemalige Gymnasiallehrer ist für seine Forschungen und Publikationen mit dem renommierten Obermayer German Jewish History Award ausgezeichnet worden. Im Folgenden beschreibt Kießling die biografischen Hintergründe jener Forchheimer Juden, für die am 16. Juli in Forchheim Stolpersteine verlegt werden:
Der Kaufmann Leo Abraham (* 1875) war mit Jenny Gröschel (* 1877) verheiratet. Das Ehepaar hatte keine Kinder; deshalb wurde Jennys Nichte Irmgard häufig eingeladen. Leo Abraham stammte aus Hohenhausen im Kreis Lippe in Westfalen. Über seinen Lebenslauf ist kaum etwas bekannt. Man weiß allerdings, dass er Zigarrenraucher war und oft rauchend vor seinem Geschäft in der Hauptstraße gesehen wurde. Die Nationalsozialisten fühlten sich dadurch provoziert.
Über die jüdische Familie Gröschel weiß man hingegen sehr viel. Sie stammte ursprünglich aus Wiesenthau. Jennys Großvater war Bernhard Gröschel. Dieser wurde 1814 in Wiesenthau geboren. Er heiratete 1843 Jeanette Oppenheimer aus Aufseß. Seit 1863 wohnte Bernhard Gröschel mit seiner Familie in Forchheim. Er gründete ein Textilwarengeschäft. Jennys Vater war der Kaufmann Philipp Gröschel. Ihre Mutter war Adelheid Rosenbaum. Das Foto (siehe oben) zeigt Philipp Gröschel mit seinen 5 Kindern.
Die Mutter war, als das Foto entstand, bereits verstorben. Jenny Gröschel steht vor ihrem Vater, neben ihr auf dem Stuhl sitzt ihre jüngere Schwester Adelheid.
Das Textilgeschäft von Philipp Gröschel befand sich im Haus Hauptstraße 64. Philipp Gröschel starb 1912. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Baiersdorf bestattet. Sein Sohn Bernhard, ein Bruder von Jenny, führte das Geschäft weiter.
Boykott jüdischer Geschäfte
Später wurde im Haus Hauptstraße 65 ein Geschäft für Damen-Konfektion eröffnet. Dieses Geschäft betrieb Bernhard Gröschel gemeinsam mit seinem Schwager Leo Abraham. 1933 rief die NSDAP zu einem Boykott der jüdischen Geschäfte auf. Betroffen waren auch die Familien Gröschel und Abraham. In der Reichspogromnacht 9./10. November 1938 wurden Bernhard Gröschel und Leo Abraham verhaftet.
Am Tag darauf wurden sie ins KZ Dachau gebracht. Nach seiner Entlassung gelang es Bernhard Gröschel, mit seiner Frau und seiner Tochter Irma aus Deutschland zu fliehen.
Das Ehepaar Abraham wollte Deutschland ebenfalls verlassen.
Leo und Jenny Abraham ließen sich in Bamberg eigens Passbilder anfertigen, die sie für ihren Ausreiseantrag benötigten (siehe Fotos oben). Doch die Ausreise wurde ihnen offenbar verweigert. Das Ehepaar Abraham wohnte zur Miete über dem Geschäft Hauptstraße 64. Die Eheleute mussten in das sogenannte "Judenhaus" Paradeplatz 4 umziehen. Von dort aus wurden sie am 27. November 1941 deportiert. Zusammen mit 6 anderen jüdischen Einwohnern Forchheims.
Die Fahrt im offenen Lastwagen ging nach Bamberg. Einen Tag später nach Nürnberg. Von dort aus nach Riga in das Lager Jungfernhof, ursprünglich ein Gutshof.
Wie genau das Ehepaar Abraham ums Leben gekommen ist, weiß man nicht. War die Todesursache Krankheit oder Hunger oder Erschöpfung? Oder wurden sie in einem nahegelegenen Wald erschossen? Das Ehepaar gilt als "verschollen". red