Im Regnitztal in Erlangen wird für die ICE-Strecke München-Berlin der Burgbergtunnel ausgebaut. Dabei spielt nicht nur Technik, sondern auch Aberglaube eine Rolle.
Abergläubisch sind sie auf der Baustelle am Burgberg schon ein bisschen. Auch Mothla Khojanema kennt die ganzen Schauermärchen. Eine Frau verspricht Unglück unter Tage. Das war für Kumpel früher praktisch das erste Gebot und so sicher wie das Amen in der Kirche. "Das ist alles Schnee von gestern", sagt die junge Bauleiterin und läuft ohne mit der Wimper zu zucken auf den Tunnel zu.
Andere Mythen haben sich dagegen bis heute hartnäckig gehalten. Die Geschichte mit den Tunnelpaten zum Beispiel. "Nur weibliche Patinnen kommen im Frage", erzählt die Bauingenieurin und lacht. Hoch über dem kreisrunden Eingang in den dunklen Tunnel hängt das Plakat, auf das die Männer die Buchstaben "Karin" unter zwei sich kreuzende Hämmer gepinselt haben.
"Das ist wirklich eine liebe Patin.
Sie wohnt gleich über dem Tunnel auf dem Burgberg und kümmert sich heute noch immer liebevoll um die ganzen Leute hier auf der Baustelle", sagt Khojanema und erzählt von belegten Broten und guten Worten, wenn es mal wieder spät wird auf der Baustelle und sich der Berg von seiner harten Seite zeigt. Ein bisschen Aberglaube spielt heute immer noch mit, wenn man tiefe Stollen in große Berge treibt.
Seit dem ersten Spatenstich im Februar 2015 ist viel passiert. "Aktuell haben wir genau 200 Tunnelmeter geschafft", sagt Khojanema und schiebt sich den gelben Helm noch tiefer ins Gesicht. Am Eingang zur neuen Tunnelröhre spuckt ein umgebauter Kaugummiautomat grüne Ohrstöpsel auf Kommando aus.
Neue Röhre für zehn Milliarden Euro Hinter einem mannshohen Bauzaun verläuft die alte Bahntrasse von 1844, die jetzt um zwei Gleisspuren und eine neue Röhre durch den Burgberg erweitert werden soll, damit Schnellzüge ab 2017 in weniger als vier Stunden von München nach Berlin donnern können. Mehr Platz soll es dadurch auch für Regional- und Güterzüge geben.
Ein Jahrhundertprojekt und ein verspätetes Geschenk zur Deutschen Einheit. Eine moderne Bahnachse durch die alte DDR. Kostenpunkt: zehn Milliarden Euro.
"Das war hier der erste Eisenbahntunnel überhaupt, den man in Bayern gebaut hat", erzählt die Tunnel-Chefin und zeigt auf das schöne Tunnelportal mit der historischen Fassade. Denkmalschützer werden darauf achten, dass der neue Tunnel genauso schön wird wie der alte Tunneleingang. Dann verschwindet langsam das Tageslicht.
Von der Decke tropft es. Mit jedem Meter steigt der Lärm im Tunnel.
An den Wänden hängen überall Warnhinweise. Auf den blauen Schildern werden Helme, Schutzbrillen und Ohrenschützer getragen. Auf einer anderer Tafel steht in mehreren Sprachen: "Tunnel bei Blinklicht nicht betreten." Blinklichter sind zum Glück nicht zu sehen. Nur ein riesiger Schlauch hängt bedrohlich unter der Decke. "Das ist die Lutte, damit die Männer vom Vortrieb auch Luft bekommen!", brüllt die Tunnel-Chefin, um gegen den Krach anzukommen. Die Männer vom Vortrieb sind für den Tunnelbau das, was Stürmer für eine Fußballmannschaft sind. Nur dass sie keine Tore schießen. Stattdessen fressen sie sich mit Bagger und Presslufthammer immer tiefer in den Berg hinein. Stück für Stück, Meter für Meter.
Spezialisten aus Bulgarien "Unser Vortriebtrupp kommt aus Bulgarien", erklärt Khojanemi und begrüßt die vier freundlich winkenden Männer auf den beiden Baggern am Ende des Tunnels. Das habe weniger mit dem Preis, sondern viel mehr mit dem Können zu tun. "Das sind absolute Spezialisten!", sagt Khojanemi anerkennend, während der Bohrtrupp seinem Namen alle Ehre macht. Wie unbarmherzige Zahnärzte treiben sie den Bohrer immer tiefer in den Felsen hinein. "Die bohren jetzt die Anker rein", erklärt die Fachfrau im gleißenden Licht der Scheinwerfer.
Die Stahlstangen seien nötig, um den Berg vor dem Ausbrechen abzusichern. Damit dem Vortriebtrupp nicht plötzlich ein ganzer Felsbrocken auf die Füße fallen könne. "Die brechen jetzt ungefähr einen Meter ab." Danach komme der "Spitzbüffel" zum Einsatz.
Ein kleines Monster auf vier Rädern. Mit Hilfe des Geräts mit dem tierischen Namen wird der Vortrieb mit Spritzbeton gesichert. Zusätzlich kommen dicke Stahlgitter-Matten in verschiedenen Stärken zum Einsatz, um die Wände zu stabilisieren. Den Berg tragen könnte diese Konstruktion freilich nicht, erklärt die Fachfrau.
Die Bergmänner lassen sich von der Physik helfen, damit der ganze Tunnel nicht unter der Last des Gesteins zusammenkracht. "Das Ausbrechen des Tunnels erfolgt in verschiedenen Ebenen." Im technischen Kauderwelsch der Tunnelprofis nennt sich das Bauverfahren "Neue Österreichische Tunnelbaumethode". Erfunden haben es ausnahmsweise die Tiroler und nicht die Schweizer. Hierbei setzt man auf die Eigentragfähigkeit des Gebirges und versucht nicht wie früher, die Gebirgslast mit allerlei Balken zu stützen. Damit das Prinzip funktioniert, muss der komplette Röhrenquerschnitt peu-a-peu abgetragen werden.
"Das wird alles schön nacheinander gemacht. Erst kommt oben die Kalotte dran, dann die Strotte in der Mitte, schließlich wird die Sole unten ausgeschuttert." Tunnel-Latein mal wieder. Gearbeitet wird rund um die Uhr.
Nicht nur damit die Bauarbeiter den Zeitplan nicht durcheinander bringen. Der Vortrieb erfolgt ohne Pause, damit das entstehende Gewölbe die Kräfte der Gesteinsmassen kontinuierlich und gleichmäßig aufnehmen kann. Den Sand- und Tonstein müssen sie dabei trotzdem Tag und Nacht im Auge behalten. Schließlich wechselt die Festigkeit ständig in diesem Gestein. "Wenn alles gut läuft, fangen wir mit der Strotte in der nächsten Woche an", kündigt die Tunnel-Chefin an. Im Sommer will Khojanema mit dem Tunnel fertig sein. Dann sollen die 307 Meter geschafft und das Licht am Ende des Tunnels erreicht sein. Dann will man auch die Bevölkerung zu einer kleinen Tunnelparty einladen. Natürlich darf dabei die Tunnelpatin nicht fehlen. Von wegen Aberglaube und so. Nur der Termin, der darf noch nicht feststehen. Das ist wieder so ein Ding unter Tunnelbauern. Nur den Tag nicht vor dem Abend loben.