Seit Anfang dieser Saison ist es den Schiedsrichtern in Bayern erlaubt, ihr Smartphone mit auf den Platz zu nehmen und alle Spielnotizen elektronisch zu erfassen. Aber ist das auch wirklich praktikabel?
Eine Situation, mehrere tausendmal jedes Wochenende: ein Tor fällt, der Schiri zupft seine Spielnotizkarte aus der Tasche und notiert Spielminute und Torschütze. Künftig wird so mancher Zaungast erst einmal staunen, wenn statt des Kärtchens das Smartphone gezückt wird. Für BFV-Vizepräsident Horst Winkler, im Vorstand für die Online-Entwicklungen zuständig, ist das überhaupt kein Grund, sich zu wundern. Warum, erklärt er im Interview.
Erst hat sich im Bereich der Spielerpässe etwas getan, weil sich im technischen Bereich einiges geändert hat. Jetzt gibt es anscheinend schon wieder etwas Neues...Horst Winkler: Ja, in der Tat. Im Online-Bereich geht es manchmal Schlag auf Schlag.
Ich hatte aber bereits angekündigt, dass es mit den nächsten starken Features in unseren Online- und Mobilangeboten nicht mehr lange dauert.
Sie meinen damit, dass der Elektronische Spielbericht (ESB) jetzt auch in die kostenlose BFV-App für Smartphone und Tablet integriert wurde. Zum Beispiel. Das haben wir ja bereits kommuniziert und ich freue mich, dass es jetzt schon - obwohl der Spielbetrieb ja gerade erst angelaufen ist - bei den Usern so gut ankommt. Mir liegt aber vor allem die Übernahme der Liveticker-Daten in den ESB am Herzen.
Das heißt?Ab dieser Saison ist es den Schiedsrichtern in Bayern erlaubt, ihr Smartphone mit auf das Spielfeld zu nehmen. Erlaubt, keine Pflicht - das ist mir wichtig, klarzustellen. Warum ist es erlaubt? Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Liveticker-Daten nach dem Spiel per Knopfdruck in den ESB zu übernehmen.
Also macht es Sinn, dass auch der Schiedsrichter die Möglichkeit hat, alternativ zur Notizkarte den BFV-Liveticker zu nutzen, um seine Daten zu notieren.
Was ist, wenn der Heimverein bereits einen Liveticker führt?
Das schließt sich nicht aus. Bei mehreren Tickern hat am Ende der Schiedsrichter die Wahl, welche Liveticker-Daten er übernimmt. Er kann aber eben von vornherein für sich entscheiden, ob er statt der Notizen einen eigenen Liveticker führt. Welche Variante die jeweils sinnvollste ist, können die Beteiligten ja problemlos auch kurzfristig vor Ort klären.
Ist das nicht ein komisches Bild, wenn der Schiri auf dem Spielfeld das Handy aus der Tasche zieht?Das mag zunächst komisch aussehen. Aber nur, weil es ungewohnt ist, bisher sogar verboten war.
Deswegen ist es mir wichtig, auch schon so frühzeitig wie möglich zu informieren - die Vereine und auch die Zuschauer. Der Schiedsrichter zieht nicht das Handy aus der Tasche, weil er gerade eine Whatsapp-Nachricht erhalten hat, sondern weil er seinen Job macht - mit modernsten Hilfsmitteln. Dafür gilt es alle Beteiligten zu sensibilisieren.
Ist der Einsatz des Handys denn wirklich eine Erleichterung? Absolut. Der Eintrag auf der klassischen Spielnotizkarte geht nicht schneller als der Eintrag im BFV-Liveticker. Das nimmt sich nichts. Nach dem Spiel ist es mit dem Liveticker aber nur ein Klick für den Schiri, die Daten in den Elektronischen Spielbericht einzufügen. Das geht dann wesentlich schneller, als alle notierten Ereignisse einzeln von Hand einzutragen. Das Smartphone zu nutzen, ist aber wie gesagt keine Pflicht. Wer nach wie vor seine Notizen machen möchte, kann das weiterhin machen.
Es ist schlichtweg eine Erleichterung. Die Technik macht es mittlerweile möglich, also bieten wir es auch an.
Jetzt betrifft es im Wesentlichen aber doch nur die Schiedsrichter. Unterschätzen Sie nicht die Jugendspiele, sage ich da nur. Wir haben insbesondere in der D- und E-Jugend viele Spiele, die nicht mit einem Schiedsrichter besetzt werden können. Hier kommt die neue Funktion ja allen Vereinsverantwortlichen zugute, die im Nachgang statt des Schiedsrichters den Elektronischen Spielbericht ausfüllen müssen. Wenn dann schon während des Spiels alle elementaren Infos mit dem Liveticker gespeichert werden, ist es nachher nur noch ein Knopfdruck, den ESB zu erstellen. Gerade bei einigen Jugendspielen: Wer erinnert sich nach dem Spiel noch genau an alle Tore? Also muss wieder alles genau notiert werden.
Und dann sind wir wieder bei dem Punkt, dass ich dann doch ohne Zeitverlust während des Spiels lieber gleich den BFV-Liveticker bediene, um nach dem Spiel weniger Aufwand zu haben. Natürlich braucht es seine Zeit, bis die Möglichkeit flächendeckend bekannt sein und eingesetzt wird. Aber sie wird sich durchsetzen. Davon bin ich überzeugt.
Das sagen die Schiedsrichter selbst
Thomas Valtin (SR-Gruppe Coburg/Ebern): "Ich persönlich halte es für schwierig, das Handy mit auf den Platz zu nehmen. Manchmal hat man keinen Empfang oder es gibt technische Schwierigkeiten. Und was ist, wenn es stark regnet?"
Günther Reitzner (SR-Gruppe Bamberg): "Wir haben kein Interesse daran. Das ist wieder so eine Zusatzbelastung - genau wie der ESB - , die uns der Verband unter dem Deckmantel der Freiwilligkeit aufs Auge drückt.
Das nimmt uns den Spaß an unserem Hobby."
Gerhard Pech (Bezirks-Obmann Mittelfranken): "Wir nutzen das nicht, weil es unpraktisch ist und es viele auch nicht wollen. Außerdem sind viele Eventualitäten nicht geklärt."
Mobiltelefon versus Stollenschuh - Glosse von Johannes Höllein
Hey, Nummer 9. Du hast gerade die Rote Karte erhalten. :-)
Liebe Grüße,
Dein Schiedsrichter.
Das wär's doch, oder? Der Unparteiische müsste einen Übeltäter nicht mehr wort- und gestenreich zu sich zitieren, um dann mit einem dramatischen Griff zur Gesäßtasche einen Platzverweis auszusprechen. Eine kurze Whatsapp-Nachricht an den Sünder, der sich schon längst getrollt hat, und alle wissen Bescheid. Keine emotionsgeladenen Begegnungen am Mittelkreis, keine flehentlichen Unschuldsbekundungen, keine Rudelbildungen.
Und das Publikum? Schnell das Smartphone gezückt und einen Aha-Moment erlebt.
Schöne neue Welt. Statt Leitungen für den Rasensprenger lieber ein Glasfaserkabel unter dem Fußballplatz verlegt. Warum direkt kommunizieren, wenn der kleine technische Helfer darauf drängt, alles in die Welt hinauszuposaunen?
Der BFV will dem Fortschritt Rechnung tragen, will damit, dass er Schiedsrichtern die Möglichkeit einräumt, der Spielnotizkarte ein elektronisches Pendant entgegenzusetzen, das Tor zu einer neuen Technik-Ära öffnen. Und das in Zeiten, in denen Videobeweis, Torlinientechnik und andere Hilfsmittel noch intensiv diskutiert werden. Ist der Fußball bereit, neue Ufer zu erforschen? Vielleicht.
In Franken allerdings wird dem technischen Fortschritt durch die vielerorts noch löchrigen Internet- und Mobilfunk-Verbindungen schon früh der Garaus gemacht.
Und was ist eigentlich, wenn dem Schiedsrichter bei einem beherzten Sprint das schwere Telefon aus der Tasche rutscht und durch die rohe Gewalteinwirkung eines Stollenschuhs zum Versicherungsfall wird? Dann ist das Geschrei wieder groß. Wer war der Übeltäter, dem dann allerdings nicht mal ein Platzverweis droht? Das Publikum blickt von den Touchscreens auf. Bringt die Realität Aufklärung? Nein. Das Smartphone hat die relevanten Daten mit ins Grab genommen.
Das Vertrauen in Stift und Papier lässt sich zum Glück nur schwer ins Wanken bringen.