Die Klientinnen, die sich bei Claudia Siegritz melden, haben die unterschiedlichsten Erlebnisse hinter sich. Häufig sind es junge Mädchen, die abends weg waren, jemanden mitnehmen oder mitgehen, sich auf der Party bei der Freundin zum Schlafen legen und mit KO-Tropfen außer Gefecht gesetzt werden.
Es sind auch Mädchen, die über Facebook von Modell-Agenturen angeschrieben werden. Dann kommt ein einzelner Mann, fotografiert sie draußen, möchte auch Fotos drinnen machen und plötzlich geht die Tür zu. Siegritz berichtet ebenso von jungen Mädchen, die von Gasteltern misshandelt werden. Andere gehen zur Dorfkirchweih, lernen jemanden kennen und werden dann Opfer sexueller Gewalt.
Manche Opfer melden sich beim Frauennotruf in Erlangen nach drei Tagen, andere erst nach 20 Jahren, wenn der Täter schon verstorben ist. Dann geht es für Siegritz um den Umgang mit der Traumatisierung, "ein anderes Arbeiten als bei aktuellen Geschichten". Die meisten Klientinnen der Beratungsstelle sind zwischen 14 und 70 Jahre alt.
Kurz vor dem Gespräch mit dem FT meldete sich eine 85-Jährige bei Claudia Siegritz. Die leicht sehbehinderte ältere Dame stieg in ein Auto ein, das am Straßenrand gehalten hatte und das sie für das ihres Nachbarn hielt, der sie öfter mitnimmt. Erst im Auto bemerkte sie, dass es nicht ihr Nachbar war. Als der Fremde begann, sie am Bein zu tätscheln, bedrohte sie ihn mit ihrem Stock, woraufhin sie der Fahrer rauswarf. Noch unter Schock stehend wandte sie sich an den Frauennotruf.
Aufforderung zum Hinlangen?
Die Me-too-Bewegung schlägt inzwischen auch auf die Beratungsstelle durch. Siegritz stellt fest, dass sich beispielsweise die Frauen auf der Bergkirchweih immer weniger gefallen lassen. Sie wehren sich, wenn ihnen jemand an den Busen oder unter den Rock fasst. Die Beratungsstelle hilft dann, die Taten anzuzeigen. "Wenn auf der Bergkirchweih ein Dirndl kurz genug ist, sehen es leider manche Männer als Aufforderung, hinzulangen", sagt die Beraterin. Das Vorurteil, dass es sich bei den Tätern oft um Flüchtlinge handelt, kann Siegritz nicht bestätigen: "Die meisten sind Deutsche." Natürlich gibt es aber auch Mädchen, die mit jungen Ausländern Probleme haben.
Bei rund 600 Notrufen wegen sexueller Gewalt im Jahr halten sich die bei der Polizei aktenkundig gewordenen Fälle allerdings in Grenzen. Wie Pressesprecherin Alexandra Federl vom Polizeipräsidium Mittelfranken auf Anfrage des FT mitteilt, wurden im vergangenen Jahr im Stadtgebiet Erlangen 21 sexuelle Belästigungen angezeigt, im Landkreis 7. Dazu kommen in der Stadt elf sexuelle Übergriffe, im Kreis null. Vergewaltigungen gab es in der Stadt 22, im Landkreis 8.