Herr Ates sucht zwei Zimmer

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Wer in Herzogenaurach eine Wohnung sucht und schlecht verdient, hat es schwer. Manchmal kostet eine neue Einzimmerwohnung soviel wie die alte Dreizimmerwohnung. Ein Besuch bei einem, den es betrifft.

Als er hier einzog, das war vor zwei Jahren, hat Yilmaz Ates erst einmal sein Piano aufgestellt. Er tat das nicht deshalb, weil er damit jemanden beeindrucken wollte. Oder, weil er dachte, er würde an diesem Ort für den Rest seines Lebens wohnen bleiben, das nicht. Aber er ahnte, dass es dauern könnte, bis er eine neue Wohnung finden würde. Und außerdem war da ja noch das bisschen Platz an der Wand in dem Zimmer, in dem er kocht, schläft, isst, liest und trainiert. Ates, 60, dachte also: Was soll's.

Ates sitzt auf dem Sofa seiner Einzimmerwohnung im Erdgeschoss. Es gibt hier einen Tisch, zwei Stühle, ein Bett, eine Küchenzeile und ein Fenster mit Blick in das Viertel, in dem sich auch das Firmengelände von Schaeffler befindet, das sich über die Größe mehrerer Fußballfelder hinwegstreckt. Vor kurzem haben sie dort ein neues Gebäude eröffnet. Konferenzräume, Büros, Weltunternehmen halt. Ates lebt in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer und sagt: "Hätten die da nicht ein paar schicke Wohnungen reinbauen können?"

Wohnungsnot nimmt zu

Nicht nur in München oder Berlin ist der Bestand an Sozialwohnungen knapp - auch abseits der Großstädte nimmt die Wohnungsnot weiter zu. In Herzogenaurauch gibt es derzeit rund 75 geförderte Wohnungen, erklärt Marcus Neeser von der Koordinierungsstelle Wohnraum der Lebenshilfe. Allein in den vergangenen zwei Jahren seien bei ihm jedoch gut fünfmal so viele Wohnungsanfragen eingegangen. Dass Neeser davon rund 18 Prozent vermitteln konnte, sei "keine schlechte Quote." Trotzdem bleibe die Lage angespannt. "Es ist ein großes Thema", sagt er.

Neeser weiß, dass die fehlenden Wohnungen nicht nur jetzt ein Problem sind, er weiß, dass das Problem in Zukunft noch viel größer sein wir. Zum einen, weil die Zahl an Sozialwohnungen in Herzogenaurach nur langsam wächst. Zum anderen, weil aufgrund der steigenden Mietpreise immer mehr Berufsgruppen auf den staatlich geförderten Wohnraum angewiesen sind. Sie rufen dann irgendwann bei Neeser an, Krankenschwestern, Kassiererinnen, Verkäufer und sagen einen Satz, den auch Yilmaz Ates damals gesagt hat: "Ich suche eine neue Wohnung."

Bei Ates ist das nun eineinhalb Jahre her. Er war gerade in die Einzimmerwohnung gezogen, die er nur deshalb angenommen hatte, weil er sonst auf der Straße gelandet wäre, sagt er. Ates ist ein eher schmächtiger Mann mit grau meliertem Haar, Pulli und Jeans, der sich so fein ausdrückt, dass man den türkischen Spracheinschlag kaum noch wahrnimmt.

Einzimmerwohnung mit 60?

Seit über 50 Jahren lebt er in Deutschland. Er hat hier seine Jugend verbracht, Freunde gefunden, eine Familie gegründet. Doch wenn er seinen Namen am Telefon erwähnt, sagen die Vermieter immer noch ganz oft: "Wir melden uns bei Ihnen." Gemeldet aber hat sich bislang kaum jemand. Das ist das eine Problem.

Das andere ist Ates' finanzielle Lage. Rund 900 Euro hat er zur Verfügung, womit er in Einkommensklasse 1 fällt, was wiederum bedeutet, dass der Staat etwa fünf Euro je Quadratmeter Wohnfläche zuschießt - wenn man Wohngeld beantragt. Ates hat das Geld vom Staat lange nicht beantragt, weil der Stolz größer war als die Not, weil er zu jener Sorte Mensch zählt, die mit wenig zufrieden ist. Aber eine Einzimmerwohnung mit 60? Er dachte: "Das habe ich doch nicht verdient." Also reichte er das Formular in der Behörde ein.

Vergangenes Jahr lag der durchschnittliche Bruttolohn eines Arbeitnehmers in Herzogenaurach laut der Bundesagentur für Arbeit bei 5160 Euro. Fünf Jahre zuvor waren das noch 600 Euro weniger. Die Stadt hat Puma, Adidas und Schaeffler, weshalb es nicht vermessen wäre, wenn man sagte, dass sie selbst unter reichen Städten noch zu den reicheren zählt. Doch führt der ganze Wohlstand eben auch dazu, dass eine Einzimmerwohnung schnell mal 900 Euro kostet. Und das können sich Menschen wie Yilmaz Ates schlichtweg nicht leisten. Zumindest nicht ohne Hilfe vom Staat.

Ausbildung mit 59 Jahren

Mit 59, das war vergangenes Jahr, hat Yilmaz Ates eine Ausbildung begonnen. Er hatte genug von dem Verkäuferjob bei Puma, wo er zwar nicht schlecht verdiente, dafür aber pausenlos im Laden stand, was Ates irgendwann störte. Also bewarb er sich bei Neeser in der Lebenshilfe für eine Ausbildung zum Heilerziehungspflegehelfer. Elf Monate dauert diese. Wenn er heute seine Klienten besucht und sieht, wie schön sie wohnen, staunt er manchmal. Über die Größe ihrer Wohnungen, über den Platz und ja, er beneidet diese Menschen dann auch.

Denn Ates weiß, was es heißt, eine schöne Wohnung zu haben. Als er noch mit seiner Frau zusammenlebte, wohnten sie mit den Kindern auf über hundert Quadratmetern. Heute wäre er schon mit zwei Zimmern zufrieden, sagt er. Es gehe ihm nicht um Luxus, sondern um einen Ort, zu dem er auch mal Freunde einladen kann. Vielleicht eine Frau auf ein Glas Rotwein und ein kleines Stück auf dem Piano. "Es geht mir hauptsächlich um Lebensqualität, um ein bisschen Glück", sagt Yilmaz Ates.

Manchmal bekommt Ates mit, wenn sein Chef Neeser wieder jemandem eine Wohnung vermittelt hat. So wie bei der Frau letztens, sie war erst ein paar Wochen auf der Suche, da kam bereits die Zusage für eine Wohnung. Ates freute sich für die Frau, weil er weiß, was eine Wohnung für jemanden bedeuten kann. Er hofft, dass auch er irgendwann dieses Glück hat.