Erlanger Immunologe: "Ohne Masken hätten wir ganz andere Zahlen"

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Foto: adobe stock
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Christian Bogdan Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist darüber hinaus Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Christian Bogdan Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist darüber hinaus Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
 

Macht der neue Impfstoff endlich Schluss mit Maske und Kontaktbeschränkungen? Ein Experte warnt vor überzogenen Erwartungen. Mit Maskenkritikern geht er hart ins Gericht.

Die beiden Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer stellten in dieser Woche einen schon bald verfügbaren Corona-Impfstoff in Aussicht: Wie breit ist der Silberstreif am Horizont?

Christian Bogdan: Die bisher bekannten Befunde sind sehr ermutigend. Nach Angaben der Hersteller senkt ihr Impfstoff das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, um über 90 Prozent. Sollte sich diese Schutzwirkung tatsächlich bewahrheiten, wäre das fulminant.

Wäre eine Schutzquote von 90 Prozent denn ungewöhnlich hoch?

Impfungen gegen Masern oder Tetanus vermitteln Schutz in einem vergleichbaren Ausmaß. Die Schutzquote von Grippeimpfungen dagegen liegt hingegen deutlich darunter.

Welche Fragen sind noch offen?

Es ist bislang noch nicht hinreichend klar, ob der Impfstoff von Biontech und Pfizer bei unterschiedlichen Altersgruppen dieselbe Schutzwirkung entfaltet. Vor allem die Wirksamkeit bei Älteren ist von großer Bedeutung. Denn sie sind durch einen möglichen schweren Krankheitsverlauf besonders gefährdet. Eine weitere offene Frage ist, wie lange der Impfschutz anhält und wie sicher er ist. Bislang handelt es sich lediglich um Zwischenergebnisse - allerdings um ausgesprochen ermutigende.

Merzt ein Impfstoff das SARS-Coronavirus 2 vollständig aus?

Nein, auch ein Impfstoff wird den Erreger nicht eliminieren. Das wäre nur möglich, wenn er, wie im Fall von Masern oder Polio, ausschließlich im Menschen vorkäme. Die Coronaviren kommen jedoch auch bei Tieren vor.

Kommt jetzt der Impfzwang?

Nein. Das ist überhaupt kein Thema, weder in der Politik noch in der Wissenschaft. Wenn es künftig tatsächlich einen oder mehrere wirksamen und zugleich sicheren Impfstoffe geben sollte, dann werden sich genügend Menschen impfen lassen. Da habe ich überhaupt keine Zweifel.

Übergehen Sie in Ihrer Kalkulation nicht Corona-Leugner und Impfgegner?

Nein. Aber diese beiden Gruppen sind meiner Wahrnehmung nach deutlich kleiner, als sie in den Medien dargestellt werden. Es handelt sich um eine lautstarke Minderheit ...

... die das Impfen als großes Verderbnis brandmarkt. Impfen, so heißt es, erhöhe das Risiko von schweren Krankheiten wie beispielsweise Autismus.

Völliger Quatsch. Das ist x-mal in Studien widerlegt worden. Das müssen die Impfgegner endlich auch einmal zur Kenntnis nehmen. Weil wissenschaftliche Erkenntnisse nicht anerkannt werden, drehen wir uns bei der Diskussion ums Impfen ständig im Kreis.

Halten Sie die Impfkritik generell für eine unzulässige Meinung?

Wir können über alles diskutieren. Aber bitte auf Grundlage von wissenschaftlichen Ergebnissen.

Impfen, so sagen Kritiker weiter, befriedige allein die Profitgier der Pharmaindustrie.

Wir können doch froh und dankbar sein, dass sich Firmen - wie im aktuellen Beispiel Biontech und Pfizer - bei der Impfstoffforschung stark engagieren. Sie gehen zunächst ein hohes unternehmerisches Risiko ein. Dass sie im Fall eines Erfolgs mit dem Impfstoff auch Geld verdienen möchten, ist doch legitim. Sonst gäbe es überhaupt keinen Anreiz für die Entwicklungsarbeit. Wo ist das Problem?

Wird der Impfstoff für allemal Schluss machen mit Maske, Kontaktbeschränkungen und Lockdown?

Langsam, langsam. Wir werden jetzt in der Euphorie über einen vielversprechenden Impfstoff nicht schlagartig bewährte Hygienemaßnahmen beenden. Das wäre ein großer Fehler. Wenn tatsächlich wirksame und sichere Impfstoffe zur Verfügung stehen, wird man im Zuge des sukzessiven Impfens bestimmt nach und nach auf einschränkende Maßnahmen verzichten können.

Die Maske bleibt umstritten. Die einen bezweifeln ihre Wirksamkeit, andere denunzieren sie als Symbol der Unterdrückung.

Ich kann das beim besten Willen nicht verstehen. Inzwischen müsste doch jeder am eigenen Leib erfahren haben, dass die konsequente Benutzung einer geeigneten und auch korrekt getragenen Alltagsmaske einen signifikanten Effekt hat. Wenn jeder eine zweilagige Alltagsmaske trägt, wird der Austausch von Tröpfchen praktisch verhindert. Selbst ultrafeine Partikel werden je nach Machart der Maske noch zu 50 Prozent zurückgehalten.

Maskenkritiker gibt es selbst unter Ärzten. Diese berufen sich auf den Mangel an wissenschaftlicher Evidenz.

Das ist falsch und fahrlässig noch dazu. Natürlich gibt es Studien, die eine Wirksamkeit eines Mund-Nasen-Schutzes sowohl unter Labortestbedingungen als auch im gesellschaftlichen Alltag durch Modellierungsanalysen belegt haben. Wer das immer noch bestreitet, sollte sich besser informieren. Ohne Masken wären wir hier in Deutschland mit ganz anderen Infektionszahlen konfrontiert. Welche Studien empfehlen Sie Maskenkritikern zur Lektüre?

Da gibt es mehrere. Zwei aktuelle, im Internet zugängliche Arbeiten, die auch die Wirksamkeit von Alltagsmasken belegen, sind die von Marianne van der Sande und von Eugenia O´Kelly.

Was ist von Attesten gegen die Maskenpflicht zu halten?

Ich habe mir über diese Fragen viele Gedanken gemacht. Mir sind nur wenige Situationen eingefallen, die eine Maskenbefreiung medizinisch rechtfertigen würden.

Lassen Sie hören.

Zum Beispiel ein älterer Mensch, der an einer kardial bedingten Luftnot leidet. Für ihn stellt die Abschirmung des normalen Luftstroms ohne Frage eine starke Belastung dar. In diesem Fall hielte ich ein Attest für gerechtfertigt. Derzeit liegt das öffentliche Leben ein zweites Mal brach. Gab es denn wirklich keine Alternativen zum erneuten Lockdown?

Natürlich lässt sich darüber streiten, ob erneut Hotels, Restaurants und Kulturbetriebe schließen mussten. Man sollte honorieren, dass in manchen Bereichen zum Teil wirklich effektive Hygienekonzepte erarbeitet worden sind. Man hätte diese Bereiche deshalb zumindest in reduziertem Umfang auch weiterlaufen lassen können.

Stattdessen mussten sie alle schließen.

Angesichts steigender Infektionszahlen muss die Zahl der sozialen Kontakte drastisch reduziert werden. Dass die Politik hier bei der Freizeitgestaltung ansetzte, ist nachvollziehbar und angemessen. Der Bereich der Erwerbsarbeit ist mit Hygienekonzepten und Homeoffice bereits stark reguliert.

In drei von vier Fällen ist aktuell nicht nachvollziehbar, wann und in welchen Situationen sich die Menschen mit dem Virus infiziert haben. Ist der Lockdown auf dieser dünnen Grundlage überhaupt wissenschaftlich fundiert?

Die fehlende Nachvollziehbarkeit ist ein großes Problem. Deshalb muss alles daran gesetzt werden, die Zahl der Infektionen zu senken. Der Weg dorthin führt über die Vermeidung von Menschenansammlungen. An diesem Punkt kommen Sportveranstaltungen, Hotels, Cafés und Kulturbetriebe ins Spiel.

Mit der Folge, dass viele ihr Bedürfnis nach Geselligkeit im Privaten ausleben dürften.

Private Feiern entziehen sich bis zu einem bestimmten Punkt der staatlichen Regulierung. Ansonsten müssten Behörden ja konsequent Privatwohnungen durchsuchen, was keiner wollen kann. Ohne Einsicht der Menschen in ein verantwortungsvolles Verhalten lässt sich die Krise nicht in den Griff bekommen. Es braucht die Eigenverantwortung eines jeden.

Verhalten wir uns auch dementsprechend?

Für die große Mehrheit würde ich die Frage absolut bejahen.

Was spräche gegen den besonderen Schutz gefährdeter Gruppen bei gleichzeitiger Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Normalbetriebs?

Dieses Konzept mag sich auf dem Papier ja noch nachvollziehbar lesen. In Wahrheit ist es vollkommen lebensfern. Weshalb? Zum einem erkranken auch jüngere Menschen und Menschen ohne Vorerkrankungen immer wieder schwer. Zum anderen lassen sich die gefährdeten Gruppen nicht vollständig isolieren. Denken Sie nur an Mehrgenerationenfamilien oder an ein Alters- und Pflegeheim. Dort gibt es neben den betagten Bewohnern noch junge Pflegekräfte, Angehörige oder Reinigungskräfte.

Die man regelmäßig testen könnte.

Die dafür nötigen Antigen-Schnelltests sind aber nicht zuverlässig genug. Außerdem stellen alle Tests, auch die PCR-Untersuchungen, immer nur eine Momentaufnahme dar. Die Menschen würden sich in falscher Sicherheit wiegen. Wenn das Privatleben in der momentanen Situation von jeglichen Restriktionen befreit würde, sind Übertragungen von der jüngeren Generation auf gefährdete, ältere Menschen wesentlich wahrscheinlicher.

Was, wenn nach Weihnachten die Infektionszahlen wieder steigen?

Wir müssen unsere sozialen Kontakte einschränken. Das ist so und bleibt so.

Daran ändert auch der Impfstoff nichts?

Nein. Es wird seine Zeit brauchen, bis die derzeit untersuchten Impfstoffe evaluiert, zugelassen und von der Ständigen Impfkommission empfohlen, ausreichend viele Menschen geimpft und dann auch tatsächlich immun gegen das Virus sind.

Wie lange?

Einige Monate, mindestens. Wir brauchen noch etwas Geduld. Das Gespräch führte Christoph Hägele.