Unser Gott will, was auch wir wollen

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m Wut-Labor des Landestheaters Coburg erfolgt der Versuch, nachzuvollziehen, warum Menschen zu Terroristen werden. Fotos: Henning Rosenbusch
m Wut-Labor des Landestheaters Coburg erfolgt der Versuch, nachzuvollziehen, warum Menschen zu Terroristen werden.  Fotos: Henning Rosenbusch
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein starkes Stück Theater: Elfriede Jelineks "Wut" in der einfallsreichen Inszenierung von Axel Sichrovsky in der Coburger Reithalle.

Ja. Nein. Janeindoch. Was soll ich sagen? Oder hören und sehen? - Es herrscht "Wut" in der Reithalle, Elfriede Jelineks "Wut", ihr neues "Stück", ein postdramatisches, wie die verzweifelten Einordner versuchen, der assoziativen Wortflut Herr zu werden. Postdramatisch heißt, man kann es nicht einfach so inszenieren.
Gastregisseur Axel Sichrovsy hat den vieldimensionalen Text, der die Fähigkeit zum mutigen Assoziieren voraussetzt, seine Darsteller und das Publikum in ein Labor gesteckt, wo die unterschiedlichen Textteile in zehn Versuchsanordnungen dann doch auf eine einigermaßen dramatische Bahn geschickt werden. Was denn auch sonst. Das ist spannend, oft skurril, sehr einfallsreich, auch vorsichtig witzig trotz des mörderischen Schreckens unserer Terror-Zeit.
Grob zusammengefasst geht es Jelinek - oder zumindest dem Coburger Gedankenfaden nach, den Sichrovsy sehr geschickt aus Jelineks Wortgeflechten heraus gezupft hat - um den Versuch, sich jener "Wut" zu nähern, die Menschen dazu bringt, eines Gottes wegen massenweise andere Menschen zu eben dem ihren zu schicken. Jelinek hat den Text nach den islamistischen Terroranschlägen von Paris Anfang 2015 geschrieben.
Den toten Zeichnern des Satiremagazins Charlie Hebdo gilt eine Passage. Die Spötter müssen zuerst sterben, weil Spott einmal in die Welt gesetzt, nicht mehr zurückgenommen werden kann und wirkt, sagen die Inhaber der einzigen Wahrheit. Und einige Male kündigen Entschlossene, die den größten Gott überhaupt besitzen, an, in einen Supermarkt zu gehen, um Juden zu töten.
Das Labor, in das Michael Graessner und Moritz Nitsche sehr aufwendig die Reithalle verdreht haben, lässt niemandem ein Ruhebänklein. Keine Sorge, die Zuschauer müssen keine blöden Dinge tun; nur weichen müssen sie das eine oder andere Mal den theatralen Untersuchungen. Auch so sind sie mittendrin und mitgenommen.
Zugelassen sind ohnehin nur 60, mehr passen nicht zwischen den Seziertisch mit erschreckenden Menschenresten aus Pappmaché, zwischen Maschinen, Kompressor, kalten Lichtern, Körpertestvorrichtungen und Synthesizer. Von dem aus steuert Oliver Baesler den einnehmenden Klangraum, denn folgerichtig werden Jelineks Texte auch zu klanglichen Mustern in klangatmosphärischen Räumen, vom quersprecherischen Durcheinander in chorische Wucht.


Vom Archaischen bis heute

Und die Darsteller fallen mehrmals aus den gewohnten Bewegungsmustern in losgelöste tänzerische Gesten.
Nochmal, keine Angst: Versuchsleiter Axel Sichrovsky und das wild entschlossene Laborpersonal, Eva Marianne Berger, Sarah Zaharanski, Oliver Baesler, Thorsten Köhler, Nils Liebscher und Boris Stark, haben sich niederdonnernder Epochaldüsternis verweigert.
Es ist ein satirischer Blick, aus dem heraus sie die zehn Stationen des breit angelegten (Sprach-)Versuches verfolgen, von der archaischen Perrspektive, in der Götter gegeneinander geraten, Menschen das Maß verlieren, das nie genommen wurde, zumindest nicht gemeinschaftlich für alle, zur "Zurüstung" des einzelnen, der willig nach der schlichten Gemeinschaft greift, zur Konstruktion eines Gottes, der absolut gesetzt werden muss, zur Radikalisierung der konstruierten, eigenen Weltsicht, zur psychologischen Rückfrage nach der Selbstachtung, zur Seinsfrage an sich, wo sie uns - mittlerweile auch im Paralleluniversum des Neonazistischen angelangt - uns an die Wand heideggern, bis zur Einsichtsverweigerung: Wie kann ich mich in diese Leute hineinversetzen? Ich kann es nicht, ich tue es nicht. Den Sprengstoffgürtel übergibt die Terroristin am Ende einer Zuschauerin.
Zwei Mal regnen Blätter mit Jelinek-Texten aus dem schwarzen Bühnenhimmel und zugegeben: Darauf lesen wir starke Wortgebilde und Gedankenfolgen, die sich womöglich lesend besser erschließen als so aufwendig bühnenhaft zelebriert. Aber alles in allem ist diese Bühnen-Wut des Landestheaters Coburg ein ganz starkes Stück Theater.
Davon abgesehen, die gesellschaftspolitisch engagierte, sprachmächtige Nobelpreisträgerin selbst zu lesen, jetzt erst recht selbst zu lesen - was hindert uns?

Elfriede Jelinek, geboren 1946, aufgewachsen in Wien, erhielt früh eine umfassende musikalische Ausbildung. Sie studierte Klavier und Komposition am Konservatorium Wien, nach dem Abitur 1964 dann Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien. Nach Abbruch des Studiums 1967 begann sie zu schreiben; sie zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren. 2004 erhielt Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur.
Die Produktion Landestheater Coburg, Inszenierung: Axel Sichrovsky, Bühnenbild und Kostüme: Michael Greassner, Moritz Nitsche, Musik: Oliver Baesler, Dramaturgie: Carola von Gradulewski.

Darsteller Eva Marianne Berger, Sarah Zaharanski, Nils Liebscher, Thorsten Köhler, Oliver Baesler

Weitere Termine , 6. Dezember, 27., 28. Januar, 20 Uhr, in der Reithalle.