Eine ungarische Jüdin dokumentierte ihre Erlebnisse im Neustadter KZ-Außenlager schriftlich. Die Übersetzung öffnet den Blick auf eine dunkle Zeit - aber auch auf Menschlichkeit, die trotz allem möglich war.
Ilona Gärtner (von links), Heimatpflegerin Isolde Kalter (Mitte) und Ulrike Györök diskutieren über den Inhalt des frisch übersetzten Tagebuchs von Magda Schwarz, die im Neustadter Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald inhaftiert war.
Cindy Dötschel
Die Wachmannschaft des KZ-Außenlagers Neustadt ist zum Gruppenfoto angetreten.
Madga Schwaz schrieb nieder, wie es ihr im KZ-Außenlager in Neustadt ergangen ist. Jetzt wurden ihre Aufzeichnungen übersetzt - ein Dokument dunkler Neustadter Geschichte.
"Am 7. September wurden wir in Waggons eingepfercht. Wir fuhren in offenen Waggons in Begleitung von Aufseherinnen. Am 9. kamen wir in Neustadt an. Wir waren 400." Diesen Satz schreibt Magda Schwarz 1944 in ihr Tagebuch. Es ist ein Dokument der Zeitgeschichte, das jetzt aus dem Ungarischen übersetzt wurde und viel Licht in ein dunkles Kapitel Neustadter Vergangenheit bringt.
Heimatpflegerin Isolde Kalter beschäftigt sich seit Jahren mit dem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, das im heutigen Gewerbegebiet Süd-West war. "Es gibt alle möglichen Quellen, man muss aber erstmal auf sie kommen." Eine der Quellen war die hebräische Aussage einer Inhaftierten, die in der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel aufbewahrt wird. Eine gebürtige Israelitin, die in Deutschland lebt, konnte die Aussage übersetzen. "Sie hat einen Hinweis gefunden, dass ihre Schwester, die mit ihr gefangen war, ein Tagebuch geschrieben hat." Das Tagebuch war ebenfalls in Yad Vashem archiviert, Isolde Kalter hat sich die Digitalisate schicken lassen - die waren aber auf Ungarisch.
Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Bei einem Vortrag in Haarbrücken hat die Heimatpflegerin Ilona Gärtner kennengelernt. Sie ist in Ungarn geboren und lebt seit 2002 in Neustadt. Über Ilona Gärtner konnte Isolde Kalter noch den Kontakt zu Ulrike Györök herstellen, die 76-Jährige ist mit einem Ungarn verheiratet. Um das Tagebuch zu übersetzen haben Ulrike Györök und Ilona Gärtner zwei Monate gebraucht. "Wir haben stundenlang diskutiert. Erst mussten wir die Schrift entziffern.
Bei einigen Wörtern wussten wir nicht, was sie bedeuten", sagt Ilona Gärtner. Hier war Ulrike Györöks Wissen besonders wichtig. "Ich bin am Ende des Krieges geboren. Unser Geschichtsunterricht war ein ganz anderer." Als die Neustadterinnen mit der Übersetzung des Tagebuchs angefangen haben, konnten sie sich noch persönlich treffen. "Während Corona haben wir dann telefoniert. Ich habe die Sätze vorgelesen und übersetzt und dann haben wir gemeinsam diskutiert ob die Übersetzung zu altmodisch klingt oder beibehalten werden soll", erzählt Ilona Gärtner. Gerade weil Ulrike Györök am Ende des Krieges geboren wurde, war die Übersetzung des Tagebuchs für sie sehr emotional: "Was mich auch sehr nachdenklich gemacht hat, ist die Akribie, mit der die Deutschen buchgeführt haben."
Magda Schwarz schreibt in ihrem Tagebuch von der Arbeit bei Siemens, von Baracken, in denen die Frauen zu je 33 Gefangenen lebten. Und sie beschreibt Menschlichkeit, die sie auch von Vorgesetzten erlebte: "Dort bekamen wir einen lieben kleinen Meister, der meinem Vater sehr ähnelte, und er war auch so gut zu mir." Sie nennt ihn immer "kleiner Vater". Die Verpflegung ist den Umständen entsprechend gut, die Behandlung einigermaßen fair. Dennoch warten alle natürlich voller Hoffnung auf die Nachricht, dass der Krieg endet. Da ist die Aufregung vorstellbar, die im Februar zunächst ein Gerücht verursachte: "Ich hörte heute, dass im Berliner Rundfunk englisch gesprochen wurde. Jetzt glaube ich fest daran, dass das Ende naht. Wir werden alles ertragen, was noch kommt. Der liebe Gott wird uns helfen, weil ich noch leben möchte." Immer wieder gibt es Alarm, die Furcht vor Bombenangriffen ist groß. Die Bedingungen im Lager werden strenger. Häufiger gibt es jetzt Durchsuchungen in den Baracken. Dennoch wird den Frauen auch immer wieder Essen zugesteckt, weil die Rationen ständig gekürzt werden.
Ende März gibt es die ersten Gerüchte, die Frauen kämen in ein anderes Lager. Am 6. April ist es soweit. Am Nachmittag marschieren die Frauen mit einem Teil der Wachmannschaft bis Mitwitz. Es ist der Beginn eines langen Marsches (siehe Grafik). Magda Schwarz beschreibt Begegnungen mit Gruppen anderer Gefangener, die brutal misshandelt wurden. Schlechtes Wetter, kaum Verpflegung und immer wieder marschieren - die Belastung für die Frauen wird immer größer. Dann, am 25. April, notiert Magda Schwarz: "Leider ist jetzt eingetreten, wovor wir schon lange Angst hatten.Die deutschen Soldaten verließen uns."
In kleinen Gruppen versuchen sie nun, sich durchzuschlagen. Sie schreibt: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir komplett verloren sind. Ansonsten ist die Freiheit göttlich." Immer wieder werden sie aufgenommen, bekommen Essen und einen Platz zum Schlafen. Erst am 3. Juni erreichen sie nach Irrwegen durch ein vom Krieg gezeichnetes Land ihr Elternhaus in Ungarn.
Veröffentlichung geplant
Langfristig gesehen sollen das Tagebuch von Magda Schwarz und alle weiteren Informationen rund um das KZ-Außenlager veröffentlicht werden. "Das ist noch viel Arbeit", sagt Isolde Kalter. Unter anderem gebe es noch Aussagen von Inhaftierten aus den 90er Jahren. Bis es soweit ist, könnte sie es sich vorstellen, die vorhandene Übersetzung in der Neustadter Mediathek zum Lesen vor Ort anzubieten.
Ulrike Györök liegt besonders viel daran, dass aus dem Tagebuch etwas gemacht wird. "Wir müssen es für die Nachkommen erhalten. Mich macht es sehr nachdenklich, dass wir wieder eine starke rechte Szene in Deutschland haben."