Strategiepapier "Coburger Wirtschaft 2030" vorgelegt

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Spitalgasse Foto: Simone Bastian
Spitalgasse Foto: Simone Bastian
Friedrich Herdan
Friedrich Herdan
 
Thomas Zimmer
Thomas Zimmer
 

Mit dem Strategiepapier wollen die Industrie- und Handelskammer zu Coburg (IHK) und die Handwerkskammer für Oberfranken (HWK) aufzeigen, in welchen Handlungsfeldern die wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre liegen.

Denn so stark der Wirtschaftsstandort Coburg derzeit auch sei: Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels sei der künftige Erfolg "kein Selbstläufer", wie es im Strategiepapier heißt, das die Präsidenten Friedrich Herdan (IHK) und Thomas Zimmer (HWK) am Freitag in Coburg vorstellten. Noch viel wichtiger als das eigentliche Strategiepapier ist aber die Botschaft, die damit ausgesendet wird: IHK und HWK machen gemeinsame Sache; Handwerk und gewerbliche Wirtschaft sehen sich - etwa bei der Suche nach Fachkräften und Auszubildenden - nicht als Konkurrenz, sondern ziehen gemeinsam an einem Strang für die Region.

Gemeinsam werden auch Forderungen gestellt: etwa nach einer Stärkung der Berufsschulen. "Die Berufsschulen sind es, die Hightech vermitteln", sagt Zimmer und verweist auf das erste Handlungsfeld an, die Digitalisierung. Darin würden große Chancen liegen. "Nur wir vom Handwerk können doch zum Beispiel all die digitalen Geräte einbauen, die es in naher Zukunft in vielen Wohnhäusern geben wird", so Zimmer.

Im zweiten Handlungsfeld geht es um den "Innovations- und Wissensstandort Oberfranken". Nachdem mit der Technologie-Allianz Oberfranken (TAO) die Vernetzung der vier oberfränkischen Hochschulen bereits gelungen sei, gelte es, die Wissenschaft mit der Wirtschaft zu vernetzen.


Kompetenzentrum in Coburg?

Beim dritten Handlungsfeld, dem "Bildungsstandort", setzt Herdan auch auf ein "Kompetenzzentrum Maschinenbau", das in Coburg entstehen soll. Es soll - angegliedert an die IHK und besetzt mit eineinhalb Stellen - bestehende Einrichtungen vernetzen und jungen Menschen beim Einstieg in die Branche helfen. Ein Antrag auf Förderung eines solchen Zentrums ist gestellt. Herdan: "Wir sind da guter Dinge!"

Im vierten Handlungsfeld "Wirtschaftliche Stärkung" pochen IHK und HWK auf eine gute Verkehrsinfrastruktur: ICE-Systemhalt, Verkehrslandeplatz, Staatsstraße 2205.

Das Strategiepapier im kompletten Wortlaut:


Präambel

Die Region Coburg ist starker Wirtschaftsstandort und lebenswerter Wohn- und Arbeitsraum. Wir stehen aber vor Herausforderungen, die gemeinsam von Wirtschaft, Verwaltung und Politik bewäl-tigt werden müssen.

Unsere Unternehmen in Industrie und Handwerk, Dienstleistung und Handel haben sich in den vergangenen Jahren als krisenfest, innovativ, international wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert erwiesen. Das zeigen Kennzahlen, wie die überproportionale Entwicklung der Bruttowertschöpfung, die sinkende Arbeitslosenquote sowie die stetig steigende Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter.
Diese Position verdankt die Region der mittelständisch geprägten Firmenstruktur mit innovativen Unter-nehmerinnen und Unternehmern. Die Hochschule Coburg im Verbund mit TAO (Technologie Allianz Oberfranken) sowie diverse Bildungs- und Forschungseinrichtungen bieten gute Voraussetzungen.

Der Gestaltungsspielraum der öffentlichen Haushalte ist jedoch aufgrund knapper Finanzlage deutlich eingeschränkt. Und nicht alle ökonomischen Parameter sind ausschließlich positiv. Die demografische Entwicklung beispielsweise schwächt Zukunftsräume wie die Wirtschaftsregion Coburg sichtlich. Der zukünftige Erfolg unserer Region wird insofern kein Selbstläufer. Wir sind vielmehr überzeugt, dass langfristig nur erfolgreich sein wird, der initiativ ist und selbst handelt.

Um den kommenden Herausforderungen zu begegnen, haben die IHK zu Coburg und die Handwerkskammer für Oberfranken verschiedene strategische Handlungsfelder zur Strukturentwicklung im Wirtschaftsraum Coburg identifiziert.

Konkret geht es darum, die wirtschaftlichen Standbeine nachhaltig zu stärken und insbesondere die Versorgung mit Fach- und Führungskräften in den wirtschaftlichen Kernbereichen sicherzustellen. Die strategischen Betrachtungen schließen in Teilbereichen den nördlich angrenzenden Wirtschaftsraum Südthüringen mit ein.

Die IHK zu Coburg und die HWK für Oberfranken stellen folgende strategische Handlungsfelder zur Strukturentwicklung im Wirtschaftsraum Coburg vor:

• Wirtschaft 4.0 / Digitalisierung
• Innovations- und Wissensstandort Oberfranken,
• Bildungsstandort Oberfranken - Fachkräfte der Zukunft,
• Wirtschaftliche Stärkung der Region - Eckpfeiler: Industrie und Handwerk, Handel und Tou-rismus
 


Handlungsfeld I: "Wirtschaft 4.0 / Digitalisierung"

Für die stark von Industrie, Handwerk und Dienstleistung geprägte Wirtschaftsregion Coburg (Industriedichte: 158, Dienstleistungsdichte: 261,) eröffnet sich durch die Digitalisierung die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen und die herausragende Position der Coburger Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb zu stärken. Denn Wirtschaft 4.0 wird bestehende Geschäftsmodelle nachhaltig verändern und neue, digitale Geschäftsmodelle hervorbringen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung stehen die Erhöhung des Kundennutzens und die erhöhte Vernetzung mit Kunden und Partnern. Dies setzt flächendeckende breitbandige Datenanbindung voraus, die unsere Unternehmen in die Lage versetzt, die neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen. IHK zu Coburg und HWK für Oberfranken appellieren an die Kommunen, ihr Engagement in den Breitbandausbau zu verstärken und unter Nutzung vorhandener Förderinstrumente noch unzureichend versorgte Gewerbegebiete an das schnelle Internet anzubinden.

In der Aus- und Weiterbildung, die die Mitarbeiter auf IT-Technologien wie Big Data, Cloud Computing, Serviceorientierte Architekturen oder Smart Devices vorbereitet, werden IHK und HWK darauf hinwirken, dass sich die Berufsbilder rasch den Anforderungen der Praxis anpassen und inhaltlich insbesondere Aspekte der IT und IT-Sicherheit stärker mit einfließen.

Wirtschaft-4.0-Lösungen sind für viele Mittelständler neu und ziehen einen erheblichen Investitionsbedarf (Technik, IT-Sicherheit) nach sich. Die IHK zu Coburg und die HWK für Oberfranken unterstützen bei den Herausforderungen, indem sie sich beispielsweise für einheitliche Normen und Standards auf europäischer bzw. internationaler Ebene einsetzen und effiziente Regelungen zur Datensicherheit und zum Datenschutz vorantreiben. Aufgrund der umfassenden Bedeutung von Wirtschaft 4.0 / Digitalisierung haben sowohl die IHK zu Coburg als auch die HWK für Oberfranken das Thema aufgegriffen und sensibilisieren ihre Mitgliedsunternehmen mit eigens dafür geschaffenen und geförderten Projektstellen.


Handlungsfeld II: Innovations- und Wissensstandort Oberfranken

Nur erfolgreiche Unternehmen können Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen und sichern, sie investieren, zahlen Gewerbesteuer, bleiben dem Standort treu und tragen damit zum Wohlstand der Region bei. Um diesen Erfolg zu erreichen, muss die Steigerung der Innovationsfähigkeit der oberfränkischen Unternehmen durch Zusammenführung von theoretischer Exzellenz in der Forschung und praktischem Können in der betrieblichen Praxis zentrales Ziel sein. Die oberfränkischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen müssen mit Schwerpunkt auf die anwendungsorientierte Forschung erweitert und konsequent auf eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ausgerichtet werden. So entsteht ein ideales Klima für technischen Fortschritt. Die Institutionalisierung des Wissenstransfers zwischen Wirtschaft und Wissenschaft muss weiter gefördert werden. Die Hochschulen in Coburg und Hof sowie die Universitäten in Bamberg und Bayreuth sind Fundamente, auf denen sich der Wissenschaftsstandort Oberfranken gründet. Im Rahmen der Technologieallianz Oberfranken (TAO) arbeiten sie erfolgreich zusammen. Eine Institutionalisierung der TAO, sowie deren Ausweitung auf den Bereich Gesundheit, neben den Themenbereichen Mobilität und Energie, wird angestrebt. Forschung und Entwicklung erfolgen nicht zum Selbstzweck der Wissenschaftler. Strategisches Ziel muss ein Wissens- und Technologietransfer von der Theorie in die Unternehmenspraxis sein, gerade für die mittelständischen Unternehmen der Region, denen zudem weitere Plattformen für eine stärkere Kooperation und Vernetzung zur Verfügung gestellt werden müssen.


Handlungsfeld III: Bildungsstandort Oberfranken - Fachkräfte der Zukunft

Bereits jetzt fehlen auf dem oberfränkischen Arbeitsmarkt rund 15.000 Fach- und Führungskräfte. Im Jahr 2030 wird der Fachkräftemangel sogar 45.000 Personen betragen. Es gilt, Bildungspotenziale bestmöglich auszuschöpfen. Angefangen mit der frühkindlichen Stärkung der MINT über Verbesserung der Berufs- und Studienorientierung an Schulen, bis hin zur Erhöhung von Praxisanteilen an Hochschulen und der engeren Vernetzung mit den Unternehmen. Menschen mit Migrationshintergrund müssen entlang dieses Bildungsweges begleitet werden. Das Erfolgsmodell "Duale Ausbildung" muss gestärkt werden. Dem Fachkräftebedarf der Zukunft kommt in Oberfranken eine besondere Bedeutung zu. Die Fachkräftelücke wird sich durch abnehmende Zahl der Schulabsolventen zusehends vergrößern. Hier müssen innovative Lösungen gefunden werden, sodass Fachkräfte nicht nur in der Region ausgebildet werden, sondern auch hier bleiben oder den Weg nach Oberfranken finden. Investitionen in die berufliche Bildung von heute sind die unverzichtbare Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft von morgen. Deshalb muss neben der akademischen vor allem die berufliche Bildung weiter gestärkt werden. Die Weiterbildung von Helferberufen zu Fachkräften, von Fachkräften zu Spezialisten und Führungskräften, ist ein innerbetrieblicher Baustein zur Bewältigung des Fachkräftebedarfs. Hierfür muss der Zugang zu Weiterbildungsangeboten geebnet, Lernmethoden modernisiert und flexible Arbeitszeitmodelle für die Dauer der Weiterbildung ermöglicht werden. Die Durchlässigkeit der Bildungswege in Bayern bildet dafür eine hervorragende Grundlage, der Meisterbonus der Staatsregierung einen willkommener Anreiz.


Handlungsfeld IV: Wirtschaftliche Stärkung der Region -
Eckpfeiler: Industrie und Handwerk, Handel und Tourismus

Die Zukunft Coburgs als attraktiver Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensraum wird durch den wirtschaftlichen Erfolg seiner Unternehmen bestimmt. Denn dies bedeutet Beschäftigungswachstum und schafft Spielräume zur Steigerung der Lebensqualität, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der weiteren Prosperität der Region. Ziel der strategischen Strukturentwicklung muss es deshalb sein, bestmögliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund und auch wegen der überregionalen Bedeutung engagieren sich die IHK zu Coburg und die Handwerkskammer für Oberfranken für den bedarfsgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, wie ICE-Systemhalt, Verkehrslandeplatz, Staatsstraße 2205. Mit Blick auf den Einzelhandel und handelsorientierte Handwerksbetriebe, die beide vor großen Herausforderungen stehen (Konzentrationsprozesse, Verkaufsflächenwachstum, neue Vertriebsformen, Wettbewerbs- und Preisdruck), ist es gemeinsames Ziel, die Entwicklung und Stärkung der Innenstädte als attraktive Zentren und Wirtschaftsstand-orte zu fördern. Dabei kommt es auch auf das Zusammenspiel von Einzelhandel, Handwerk, Gastronomie, Hotellerie und Veranstaltungsangeboten (z. Bsp. Sommer-Events) an. Wachstumspotenziale ergeben sich auch für die Tourismuswirtschaft. Deshalb wird die überregionale Tourismusarbeit mit Südthüringen ausgebaut mit dem Ziel, die touristische Marke "Coburg.Rennsteig" für die Destination zu etablieren. Wichtiger strategischer Schritt ist die Verknüpfung von Tourismus, Einzelhandel und Handwerk, um bestehende Synergien zu erschließen