So eine delikate Offenbachsche Hölle

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Offenbach-Spaß in Coburg: Styx (Thorsten Köhler) himmelt Eurydike (Ana Cvetkovic-Stojnic) an. Fotos: Henning Rosenbusch
Offenbach-Spaß in Coburg: Styx (Thorsten Köhler) himmelt Eurydike (Ana Cvetkovic-Stojnic) an.  Fotos: Henning Rosenbusch
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Am Landestheater Coburg geht Orpheus musikalisch verzaubernd und mit viel Witz in die Unterwelt: Ein herrlicher Operetten-Spaß.

So degoutant und penetrant, charmant, exorbitant. - Dass beim Höllengalopp, später als Cancan jedem vor Augen, die Beinchen fliegen und alles abhebt, erwartet man, wenn Jacques Offenbach ins Spiel kommt. Rhythmische Vielfalt sowieso. Rausch. Doch in Sekundenschnelle unter die Haut gehende, atmosphärische Malereien, Melodien, Melodien, Melodien vom Feinsten, reizvoll zwischen Soloeinsätzen und mächtigem Gesamtklang instrumentiert, klar ausgebreitet, damit der Hörer entspannt und entzückt darin spazieren, tanzen, träumen mag?
Oder ist es vielmehr noch diese wunderbare Interpretation des Philharmonischen Orchesters unter Leitung von Alexander Merzyn, die uns am Landestheater Coburg mit "Orpheus in der Unterwelt" in einen musikalischen Himmel entführt? Während bei diesem herrlichen Theaterspaß, der im vollen Haus bejubelt wurde, auf der Bühne der inszenatorische Einfallsreichtum von Gastregisseur Ansgar Weigner und der
karikierende Witz von Ausstatter Kristopher Kempf blühen, steigen aus dem Orchestergraben immer wieder die zartest empfundenen Geflechte. So wird ein zum Überschäumen neigendes, ja eigentlich verrücktes Musikstück um die völlig verdrehte Mythologie von Orpheus' Gang in die Hölle, um Eurydike zurück zu holen, geschickt auf eine nachhaltigere Wirkungsebene gezogen.
Die freche Parodie der Librettisten Hector Crémieux und Ludovic Halévy von 1858 auf die scheinheilige Doppelmoral der Pariser Gesellschaft lässt sich problemlos im Heute entfalten. Die in ihrem Reichtum übersättigte Göttersippschaft um Jupiter (Salomón Zulic del Canto) stürzt sich auf der Suche nach der entführten Eurydike und nach dem eigenen Vergnügen hechelnd in die Hölle. Dort, in der Pluto GmbH, in der die armen Seelen in Sklavenarbeit am Bande Luxusprodukte herstellen müssen, lässt sich kabarettistisch vergnüglich der Blick auf unsere Gesellschaft lenken.
Wozu Dramaturgin Renate Liedke und Regisseur Ansgar Weigner aus einer Unzahl schlechter Übersetzungen eine spitzfindig intelligente, witzige und aufs Heute pointierte deutsche Textfassung geschaffen haben. Da liest man doch die Geschichte der wirtschaftlich produktiven Kooperation zwischen Himmel und Hölle schmunzelnd auch noch gerne in der Übertitelung mit.


Ein verschimmelter Styx

Höhepunkt darin das textlich, gesanglich und darstellerisch fulminante Kabinettstücklein von Thorsten Köhler als verschimmeltem Styx. Der ehemalige, durch Konsumrausch in Verwesung übergegangene Prinz von Arkadien bewacht Eurydike, die von Ana Cvetkovic-Stojnic mit souverän wendigem, lyrisch innigen Sopran gesungen wird. Eurydike bedauert längst, dass sie ihren langweiligen Stehgeiger Orpheus (David Zimmer) so bereitwillig eingetauscht hat gegen das noch viel langweiligere, fettmachende Luxusdasein in der Unterwelt. Denn der umtriebige Geschäftsmann Pluto hat selbstverständlich kaum Zeit für sie. Dirk Mestmacher mit füllig weichem Tenor singt und spielt eine hinreißende Schäferidylle, bevor er sich an Jupiter vorbei als wirklicher Beherrscher der (kapitalistischen) Welt erweist.


Ach ich habe sie verloren

In Gang kommt die ganze abstruse Entwicklung ja nur durch die von allen gefürchtete Öffentliche Meinung, diese betont heuchlerische Person, von Gabriela Künzler zeitungsgewandtet köstlich impertinent dargestellt. Sie zwingt den mit seinen Nymphen-Schülerinnen ohne Eurydike viel glücklicheren Orpheus dazu, der Welt Glucks "Ach ich habe sie verloren" vorzusingen. Was nicht der einzige musikalisch witzige Querschläger Offenbachs ist.
Und nur ihretwegen reißt sich die ständig ausbüxende Götterschar so weit zusammen, dass ihre kleinen Lust-Ausflüge nach Kythera nicht gar zu offensichtlich werden. Emily Lorini als Venus, Julia Da Rio als Cupido und Anna Gütter als Diana lassen sich da von Göttermutter Juno (Kora Pavelic) nicht weiter einschüchtern. Muss noch betont werden, dass das ganze Ensemble, dem auch Sascha Mai als Merkur, und Costas Bafas/Jan Korab als Mars angehören, samt dem erneut hinreißend gesanglich wie tänzerisch agierenden Chor, für umfassendes musikalisches Wohlgefallen sorgen?

Die Produktion Landestheater Coburg "Orpheus in der Unterwelt". Operette von Jacques Offenbach. Musikalische Leitung Alexander Merzyn, Inszenierung Ansgar Weigner, Bühnenbild und Kostüme Kristopher Kempf, Choreografie Tara Yipp, Choreinstudierung Lorenzo Da Rio/Katharina Eberl, Dramaturgie Renate Liedke.

Darsteller: David Zimmer , Ana Cvetkovic-Stojnic , Gabriela Künzler, Dirk Mestmacher, Thorsten Köhler, Salomón Zulic del Canto, Kora Pavelic, Emily Lorini, Julia Da Rio, Anna Gütter, Sascha Mai. Chor, Ballett und Philharmonisches Orchester des Landestheaters Coburg.

Weitere Termine: 4., 11. November, 1., 8., 11. Dezember, 19.30, 6. November, 15 Uhr.