Das Wohnhaus des vor 150 Jahren gestorbenen Dichters in Neuses ist ein wunderbarer Ort zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ein Besuch zur Aufmunterung.
Dass der Welt dieser Lebensraum nicht abhanden gekommen ist, freut uns heuer besonders.
Im Gedächtnisjahr sind wir der fast ein bisschen unheimlichen Gestalt Friedrich Rückert, geboren 1788 in Schweinfurt, gestorben 1866 nach über 40 Jahren Leben in Coburg, wieder näher gekommen. Im 19. Jahrhundert war er viel gelesen, dann lange Zeit aber abgetan als einer, der doch allzu viel auch Alltägliches gedichtet habe.
Gerade auch durch die Aktivitäten zum 150. Todestag (31. Januar) wird bewusst, dass Rückert über seine erstaunliche Art hinaus, sein Leben umfassend dichtend zu leben ("Ich denke nie ohne zu dichten und dichte nie ohne zu denken."), als Orientalist wie als Lyriker ein Werk geschaffen hat, dessen Dimension wir tatsächlich erst noch begreifen müssen.
Es ist schwer, einen Überblick zu bekommen
Es hat seinen Grund, warum Musiker nach ihm greifen, warum Rückert-Gedichte so gerne vertont wurden und werden. Doch selbst Literaturspezialisten und Orientalisten tun sich schwer, Überblick über sein Schaffen zu gewinnen.
Da hilft es, statt aufs Ganze zu blicken, sich einen Fixpunkt zu suchen. Und welch sinnfälligeren, berührenderen Ausgangspunkt für die (Wieder-)Entdeckung Friedrich Rückerts gibt es in unserer Region als sein Wohnhaus. Der liegt uns direkt vor der Nase: Das Rückert-Haus im Coburger Stadtteil Neuses, gleich links hinter der Kirche. Es ist nicht nur wunderbar renoviert als Museum zu besuchen, sondern als Lebenshort für Generationen seiner Nachfahren über die Jahrhunderte hinweg bis heute zu erspüren.
Friedrich Rückerts Ururenkel Klaus Rückert hat mit seiner Frau Christel das bis ins späte 20. Jahrhundert tatsächlich landwirtschaftlich genutzte Gut ins 21. Jahrhundert gerettet. Wir dürfen einfach vorbeikommen, wenn einer da ist, macht er auf. "Coburger kommen ja eher selten", berichtet der 84-Jährige. Die auswärtigen Gäste rufen vorsichtshalber vorher an.
Rückert ist noch im Bewusstsein
Aber wie gesagt, Klaus und Christel Rückert zeigen diesen Ort gerne, der ein Tor in die Vergangenheit ist, aber mit Rückerts lebendiger Dichtung in der Gegenwart wirkt, mit Rückerts großem Geschenk, uns durch seine Übersetzungen die Welt aus Tausendundeiner Nacht gebracht zu haben. Die sind uns doch jetzt fest im Bewusstsein! In Friedrich Rückerts Wohnräumen liegen überall Bücher, die auf das Jetzt verweisen, die Kandidaten für den Rückert-Preis, der Katalog zur Ausstellung in Schweinfurt, die im Januar 2017 nach Coburg kommt.
Und die "aktuellen", in Coburg verbliebenen Rückerts sind auch noch Hüter vieler Detailgeschichten, erzählen etwa, dass Bayernkönig Ludwig I. Rückert dieses kunstvolle Tischchen verehrte, als Trost dafür, dass es mit der Münchner Professur nichts wurde. Gemälde im ganzen Haus vergegenwärtigen die Generationen nach Rückert, der mit seiner tüchtigen Luise (1797 - 1857) zehn Kinder hatte. Das Gut in Neuses erwarb er 1838. Rückerts überlebende Kinder gingen in alle Welt.
Sein Sohn August führte als Landwirt mit seiner aus Weimar stammenden Frau Alma die Coburger Rückert-Linie in Neuses weiter. Seine heutigen Nachfahren sind Klaus und Horst Rückert, der sich wiederum auf dem Goldberg niedergelassen hat und dort mit seiner Frau Ulrike das Sommerhaus Rückerts pflegt. Klaus und Horst sind auf dem Gut in Neuses aufgewachsen, da war es noch voll im landwirtschaftlichen Betrieb.
Klaus Rückert ist Jurist, arbeitete im Management von Post und Telekom und später international für eine Consulting-Firma. Da war er viel unterwegs in der Welt, engagiert sich bis heute in der von ihm gegründeten Coburger Initiative Ärzte im Congo". Anfang des 21. Jahrhunderts kehrte er zurück. Sein Sohn und seine beiden Enkeltöchter leben in London.
Beim Dichterriesen zuhause
Derzeit freut sich Klaus Rückert vor allem über den üppig blühenden, rekonstruierten Biedermeier-Rosengarten hinter dem Haus. Im Katasteramt fand man Unterlagen, wie Friedrich Rückert ihn angelegt hatte. Links rauscht die rasche Lauter vorbei. Westlich hinter der schützenden, mächtigen Linie aus alten Bäumen liegt der von der Straße aus zugängliche Rückert-Park mit seinem imposant hohen Denkmal für den imposant zwei Meter großen Dichterriesen.
Im original erhaltenen "Dichterzimmer" mit der blauen Tapete wiederum sind wir Standardkleinen kaum in der Lage, auf die für Rückert gefertigten Möbel, auf Stehpult und Sekretär zu blicken. Dort liegen sogar Original-Handschriften, unter Glas. Im Regal steht Rückerts Handbibliothek, die man aber besser nicht mehr anrührt. "Wir suchen nach einer Möglichkeit, sie zu erhalten", spricht Klaus Rückert eines der konservatorischen Probleme an. "Aber das ist sehr teuer."
Was aber ist das dort oben unmittelbar unter der Decke? Klaus Rückert lächelt. Ja, ein Schwalbennest, tatsächlich aus Rückerts Lebenszeit. Unmittelbar ans Wohnhaus grenzten ja die Stallgebäude. Bei offenen Fenstern zogen die Schwalben ihre Runden durch das Zimmer, blieben dann auch mal. Sehr poetisch. Die schmierigen Mühen hatte Luise...
In zwei weiteren Räumen des ersten Stockes stehen Leihgaben aus Schweinfurt, Möbel aus Familienzusammenhang. Die Tapeten sind den originalen nachempfunden, aber bittschön ohne das damals verwendete Arsen, das die Leuchtkraft für das "Giftgrün" hervorbrachte und gleichzeitig Mücken fern hielt.
So weltläufig der 44 Sprachen sprechende Rückert war, so elementar war ihm sein "Sitz am alten Koburg", seine "kleine Freudenfrohburg, (...) wo die Lauter hell und lauter / meinem Zaun vorüberfließt./ Wo ich, was ich strebt`, erstrebte, / wo ich, was ich rang, errang, / meinen Liebesfrühling lebte, / meinen Liebesfrühling sang."
Rückerts Wohnhaus Der 1788 in Schweinfurt geborene Dichter und Professor für Orientalistik lebte von 1820 bis zu seinem Tod 1866 in Coburg. 1838 erwarb er den Nattermannshof in Neuses. 1992 haben Klaus und Christel Rückert das ehemalige Gut geerbt und mit viel und Liebe saniert. Ein wesentliches Anliegen war es, im Obergeschoss ein Museum einzurichten. Dort befindet sich die Dichterstube. Das Ehepaar bewohnt das Erdgeschoss, ein Abschnitt und das alte Schulhaus sind vermietet. Für die Sanierung wurde das Ehepaar 1997 und 2014 von Stadtbild Coburg ausgezeichnet.
Das Museum Besichtigung nach Anmeldung unter Telefon 09561/66308.