Meiningen huldigt Coburgs Theaterherzog

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Die Oper "Santa Chiara" von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha feiert am Freitag Premiere am Staatstheater Meiningen.Fotos: Jochen Berger
Die Oper "Santa Chiara" von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha feiert am Freitag Premiere am Staatstheater Meiningen.Fotos: Jochen Berger
Regisseur Henrik MüllerFoto Lena Kern
Regisseur Henrik MüllerFoto Lena Kern
 
Blick auf das entsthende Bühnenbild für "Santa Chiara" am Staatstheater Meiningen.Foto: Staatstheater Meiningen
Blick auf das entsthende Bühnenbild für "Santa Chiara" am Staatstheater Meiningen.Foto: Staatstheater Meiningen
 
Büste von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha im Spiegelsaal des Landestheaters Coburg.Foto: Jochen Berger
Büste von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha im Spiegelsaal des Landestheaters Coburg.Foto: Jochen Berger
 
Szene aus dem Bühnenbild-Entwurf von Marc Weeger für die Meininger Neuinszenierung der Oper "Santa Chiara" des Coburger Herzogs Ernst II.
Szene aus dem Bühnenbild-Entwurf von Marc Weeger für die Meininger Neuinszenierung der Oper "Santa Chiara" des Coburger Herzogs Ernst II.
Staatstheater Meiningen

Wie das Staatstheater Meiningen die Oper "Santa Chiara" von Ernst II. von Sachsen-coburg und Gotha zu neuem leben erwecken will.

Viele Jahrzehnte lagerten sie fast vergessen in der reichhaltigen Musikaliensammlung der Landesbibliothek in Coburg - die Noten zu "Santa Chiara". Die einst erfolgreichste Oper von Coburgs Theater-Herzog Ernst II. wird nun am Staatstheater Meiningen zu neuem Leben erweckt. Nach fast einem Jahrhundert Dornröschen-Schlaf erlebt "Santa Chiara" am Freitag, 18. Februar, ihre Neuinszenierung. Im Interview bieten Regisseur Hendrik Müller und Produktionsdramaturgin Claudia Forner Einblicke in die Inszenierung und ihre Hintergründe

Was ist bei "Santa Chiara" mit vielen dramaturgischen Unwahrscheinlichkeiten die besondere Herausforderung für die Regie?

Hendrik Müller: Unwahrscheinlichkeiten im Handlungsverlauf von Opern schrecken mich überhaupt nicht - im Gegenteil! Die Wahrscheinlichkeit ist die aufgeputztere Schwester der Langeweile, zumindest auf der Musikbühne. Das Musiktheater operiert von vorneherein mit der intellektuellen Zumutung des singend sich (ent)äußernden Menschen auf der Bühne. Aber genau das ist doch das größte Pfund der Oper! Den Hang zu vorgeblichen Unwahrscheinlichkeiten teilen Herzog Ernst und seine Librettistin unter anderem mit meinem liebsten Opernkomponisten, Giuseppe Verdi. Auf verschlungenstem Wege begegnen sich die Hauptfiguren beispielsweise in dessen "Macht des Schicksals" immer wieder, in großen Zeitabständen, an gänzlich verschiedenen Orten. Völlig unwahrscheinlich - aber was für ein Denkangebot! Wir sind eingeladen, uns einmal vorzustellen, es käme genauso wie auf der Bühne vorgestellt: Was würde das nun heißen für einen Menschen? Das ist doch ein Geschenk!

Diese Volte teilen übrigens "Santa Chiara" und "Die Macht des Schicksals" - niemand weiß so genau, was alle Chiara-Figuren da in der Gegend von Neapel im letzten Akt wieder zusammenführt (in Zschokkes Novellen-Vorlage geht es übrigens sogar bis Louisiana!), aber für den Showdown muss das nun mal so sein. Wie in so vielen großen Filmen auch.

Die Herausforderungen dieser Oper liegen für mich eher auf anderem Gebiet: Die Verse der Birch-Pfeiffer sind durchaus hölzern und ihre Figurenzeichnung undifferenziert und recht eindimensional geraten. Ich muss mit meinem Ensemble also Charaktere entwickeln, bei denen ich einen ästhetischen Mehrwert daraus gewinne, dass sie sich sprachlich wie musikalisch so seltsam gesucht äußern und in scheinbar äußerst eng abgesteckten Bahnen agieren. Ich möchte vorgebliche Schwächen eines Stücks nie verstecken oder gar vorführen, sondern mit ihnen in dem Sinne arbeiten, dass sie zu einem Gewinn werden. Das ist bei "Santa Chiara" eine nicht unerhebliche Herausforderung - aber eine, mit der wir alle in der täglichen Probenarbeit viel Freude haben und die uns immer wieder ungeahnte Aha-Momente beschert.

Wo liegen die Schwächen, wo die Stärken der Oper?

Hendrik Müller: Eine große Stärke dieser Oper liegt sicher in ihrer originellen Stoffwahl: Der Stoff wartet fast ausschließlich mit historisch verbürgten Figuren auf, interessiert sich aber überhaupt nicht für die Historie, sondern nur für die nachgelagerte Legendenbildung rund um diese Figuren. Und die - rein assoziative - Verknüpfung der Hauptfigur der Prinzessin von Wolfenbüttel mit der Legende der Heiligen Klara von Assisi ist der absolute Clou. Übrigens einer, von dem ich erst im langen Verlauf der Vorarbeit verstanden habe, was für ein Geschenk diese Verknüpfung an die Regie ist. Ich bin mir nicht sicher, ob Herzog Ernst sich dieser Tragweite bewusst war.

Die musikalischen Stärken von Oper und Komponist liegen im Ariosen und Liedhaften: Der Herzog hat einige wunderschöne Ensembles und innige Chornummern geschrieben. Überhaupt hat Ernst sehr wirkungsvolle Melodien erfunden, die auch sogleich ins Ohr gehen und an die man sich gern erinnert. Auf der schwächeren Seite der Partitur liegen die schwungvolleren, aber faden Chornummern, vor allem aber die blechernen Accompagnato-Rezitative. Jenen ein Leben einzuhauchen - daran arbeiten der wunderbare GMD Philippe Bach und ich mit unserem tollen Ensemble in jeder Probe.

Herzog Ernst II. komponiert auf der Höhe seiner Zeit - nicht als Avantgardist, sondern im Sinne einer Bestandsaufnahme dessen, was zu seiner Zeit populär, beliebt und en vogue ist. Und dieser Stilpluralismus - das Schaffen einer deutschsprachigen Grand Opéra aus dem Geiste Meyerbeers mit den musikalischen Mitteln eines Weber, eines Marschner, auch des ernsten Lortzing unter Zuhilfenahme des italienischen Belcanto - gelingt ihm erstaunlich gut.

Ernst und Birch sind stark im Kreieren von Atmosphären, aber schwach im Schaffen von Situationen. Andauernd werden Personen, Vorgänge und Dinge behauptet, die auf der Bühne nicht Tat werden. Ständig geht es um Zar Peter den Großen - der aber nie auftritt. Ein wichtiger dramaturgischer Baustein ist die Geliebte des Zarewitsch - die aber nicht eine Silbe zu singen hat (und vielleicht auch zum allerersten Mal das Licht der Bühne in unserer Inszenierung erblicken wird!). Und dann ist es der Birch und dem Herzog fortwährend daran gelegen - damit schlage ich einen Bogen zur vorigen Frage -, völlig krude Volten der Handlungsführung im Sinne der Wahrscheinlichkeit legitimieren zu wollen. Das geht in jedem Moment vollkommen schief, und da gab es bei manchen Szenen für Philippe Bach und mich im Impetus, das Stück stark zu machen, nur eine Antwort: den Rotstift.

Wie sieht das Ausstattungskonzept aus? Zeitliche Einordnung?

Hendrik Müller: Rot. Der Zarenhof ist im Entwurf von Marc Weeger eine auf der Drehbühne oszillierende Enfilade von roten Räumen, die ständig ihre Funktion und Ausstattung wechseln und die die Figuren in und durch sich vorantreibt, ohne dass es jemals ein Ziel gäbe außer dem nächsten Raum - dem wieder ein neuer Raum folgt. Man kommt niemals an - erst das Grab, der Sarg darf dieses Hamsterrad verlassen und als Memento außerhalb dieses auch unerbittlichen Mechanismus sich behaupten. Katharina Heistinger entwirft dazu Kostüme, die sich wie diese Oper auch stärker an der Legendenbildung, an der Fantasie behaupten als an der Historie selbst. Starke Formen, starke Farben - der Abend wird nichts für Liebhaber des Reduktionistischen.

Der dritte Aufzug führt uns in eine andere Welt, in der sich eine eingeschworene Gemeinschaft um ihr Zentrum versammelt hat, sich exponiert und gleichzeitig nach außen verschließt. Allein die Farbe bleibt dieselbe, die Bewegung wechselt zwar die Richtung, aber alles kreist immer noch um sich selbst - und die Erlösung lässt auf sich warten.

Warum ein Werk von Herzog Ernst II. in Meiningen? Warum gerade diese Oper?

Claudia Forner: Das Werk wurde ausgewählt, da wir neben bekannten Repertoire-Opern auch Raritäten und Ausgrabungen vorstellen möchten. Herzog Ernst II. stellt dabei durch sein benachbartes Herzogtum zudem einen reizvollen regionalen Bezug her. Unter seinen fünf Opern ist "Santa Chiara" von 1854 mit Abstand die erfolgreichste: uraufgeführt unter Stabführung Liszts und über 60 Mal an der Pariser Oper gespielt sowie an weiteren internationalen Bühnen.

Woher kommt das Aufführungsmaterial? Die originale Partitur liegt ja in der Herzoglichen Sammlung in der Landesbibliothek Coburg.

Claudia Forner: Das Aufführungsmaterial (Orchester) wurde eigens für das Staatstheater Meiningen von Peter Leipold (bis Spielzeit 2020/2021 der 2. Kapellmeister des Hausees/jetzt freiberuflicher Komponist) auf Basis der Coburger Partitur erstellt. Sänger und Repetitoren arbeiten nach dem Klavierauszug von Litolff.

Rund um "Santa Chiara" in Meiningen>

Premieren-Tipp "Santa Chiara" -

Romantische Oper in drei Aufzügen von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, Freitag, 18. Februar, 19.30 Uhr, Südthüringisches Staatstheater Meiningen; Regie: Hendrik Müller

Ernst II. wurde am 21. Juni 1818 in Coburg geboren und starb am 23. August 1893 in Reinhardsbrunn bei Gotha. Er war Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha und der älteste Sohn von Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Saalfeld und Prinzessin Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ernsts jüngerer Bruder war Prinz Albert, der spätere Gemahl der britischen Königin Victoria. Ernst II. pflegte intensiven Kontakt zu Musikern und komponierte selbst - unter Pseudonym - insgesamt fünf Opern, die in seinen Hoftheatern in Gotha und Coburg uraufgeführt, anschließend aber auch auf vielen anderen Bühnen aufgeführt wurden. Sein erfolgreichstes Werk wurde die romantische Oper Santa Chiara, die nach der Gothaer Uraufführung unter Franz Liszt im Jahr 1854 über viele große deutschen Bühnen ging.

Buch-Tipp Angelika Tasler: "Macht und Musik - Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha und und das Musiktheater im 19. Jahrhundert", 624 Seiten, 2017red