Leasen Sie ein Stück Brennholz in Coburg

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Was Gregor Bendel vier Wochen lang im Ketschentorhaus tut, ist schwer zu sagen, aber interessant. Fotos: Carolin Herrmann
Was Gregor Bendel vier Wochen lang im Ketschentorhaus tut, ist schwer zu sagen, aber interessant.  Fotos: Carolin Herrmann
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Es ist hoffnungslos, von Gregor Bendel ein Bild (be)schreiben zu wollen, aber einen Versuch wert. Er verleiht ab sofort Brennholz in Coburg.

Der spinnt doch komplett. Das können Sie in dem merkwürdigen Bäulein neben dem Coburger Ketschentor selbst überprüfen. Da lebt für vier Wochen dieser Gregor Bendel.
Dass er ein echter Spinner ist, das sei aber das Mindeste, was man ihm zuerkennen könne, wackelt er ein bisschen mit seinem Ziegenbärtchen, und stürzt weiter in grandiosen Schleifen durch unendliche Weiten zwischen Makro- und Mikrokosmos. - Der soll bloß aufpassen, dass er nicht verloren geht zwischen Zwergentennisplatz, den er in seiner Heimat hinter Bonn an der Ahr eingerichtet hatte, den Vorstellungen zur Restwärmenutzung von schwach radioaktivem Material (da hätten ihm die Atomleute durchaus interessiert zugehört), dem Buddha der Zukunft, Alchemie, der er als Kunstglaser ohnehin nahe kommt, Kulturgeschichte, Weiterführung von folkloristischen Werken aus Afrika, auch aus Asien, Wissenschaftsethik und Gewässerpflege.

Gelernt hat er, wie gesagt, Kunstglaserei, studiert Malerei und Multimedia-Art. Beim Coburger Glaspreis 1977 war er dabei, im Gegensatz zu manch anderem bereits namenvollen Künstler. In der rheinländischen Handwerker-Familie aus Schreinerschneiderschustern über Generationen hinweg, aus der er stammt, galt aber immer alles erst dem praktischen Tun; und in dem lassen sich Bendel und seine fünf Brüder nicht so schnell Grenzen setzen.


Und wo bleibt die Kunst?

Was Bendel interessiert, eignet er sich an. "Was kommt, wird gemacht", schnoddert er, ob Raumgestaltung, Denkmalpflege, Farbberatung... In Coburg war er Aushilfs-Kunstlehrer im Gymnasium Alexandrinum, ist er Honorardozent für Kunsterziehung an der örtlichen Fachakademie für Sozialpädagogik in Creidlitz. Gearbeitet hat er schon als Briefträger, Dienstmagd, Gastwirt, Hausfrau, Lohschäler, Maurer, Näherin, Posthalter, Zöllner, sagt das Internet. Gartenarbeit und Wirken in der Natur wird ihm immer wichtiger, in letzter Zeit am liebsten mit Stirnlampe im Dunkeln.

Und äh, ja, die Kunst? Ach die Kunst. Die scheint für Gregor Bendel überall zu finden, die lässt er nicht trennen vom Leben. Ein Bild so an die Wand zu hängen, ist ihm zu wenig. Ausstellungen macht er nur noch, in denen er leben kann. Jetzt lebt er für vier Wochen neben dem Ketschentor, da räumt er so lange ein und um - und jeder darf mitmachen - bis er wieder ausräumt. Da betreibt er jetzt mit dem Kölner Kollegen Rolf Habel, der auch vorbei kommt - und weiteren örtlichen Künstlern (mal gucken, wer mitmacht) seinen "Brennholzverleih". Irgendwas Nützliches muss der Mensch, zumindest wenn er Handwerker ist, zwischendurch schon mal tun.

Brennholzverleih? Selbstverständlich ist das absurd. Aber nicht sinnlos.
Nein, ein Antikünstler sei er nicht, wird Gregor Bendel ernst. 100 Jahre Dada, ja, nein, er suche schon redlich, wie und wo er im Gemeinwesen gemein-nützlich werden kann. Und guck mal, so ein Brennholzverleih, der is doch ausgesprochen nützlich: Du kannst Holz, auch im übertragenen Sinne, vielleicht als Kochlöffel, als Spreißel, klafterweise oder ein Würfelchen, hinbringen, kannst bestimmen, wie lange du es ausleihen willst, auf Lebenszeit, bis Weihnachten 2025, wie du es zurück haben möchtest, vielleicht im transformierten Zustand. Das handelst du ganz genau aus.


Fragmente, Listen

Da Bendel vollständig in Listen lebt, Listen von allem anlegt, wohl weil er ja offensichtlich ein Fragmentarist ist, einer, dem auffällt, das unsere (geistig-soziale) Welt immer weiter zerfällt, was nix Schlimmes sein muss, weil vielleicht etwas völlig Neues dabei heraus kommt, und dem kann man sich ja auch einfach überlassen, nur verloren gehen darf man dabei nicht, weil wir ja ein Bedürfnis nach Form und Festigkeit haben, wozu wir aber nicht unbedingt einen Kunststil brauchen, wobei das betont Stillose ja auch ein Stil ist und aufmerksames Zitieren durchaus viel Spaß macht und eine Menge hervorbringt, und da sind Listen schon ganz nützlich, etwa von Gregor Bendels Gestaltungen mit und ohne Auftrag, von persönlichen Maßen und Merkmalen, zoologischer Klassenzugehörigkeit, von allem Prägenden, von beeindruckenden fremden Gedanken, bevorzugten Garungsmethoden, zugestandenen Talenten, Herabwürdigungen und Beschimpfungen - deshalb gibt es auch in diesem Lebens-Kunst-Projekt in Coburg genaue Listen.
Wer was ausleiht, unterzeichnet einen Leasingvertrag und kommt in eine Liste. Hauptsache, man kommt zusammen, und zwar analog, Auge in Auge, handfest wie ein Holzscheit. Dass Künstler, Besucher, Passanten am Ketschentor womöglich mal in Musik fallen, malen, sägen, ausdrucken (es muss eine Druckerei geben, schon für die Listen), stempeln (alles wird akribisch beglaubigt, weshalb der Bendel auch mit der Notariatsvereinigung in Verbindung steht), (vor-)lesen, filmen, spaßen, das kann, soll passieren.
Ach und "Anzündpapier" gibt's auch vor Ort, liegt in Mappen bereit. Wer sich nicht daran stört, dass Bendel über Jahrzehnte hinweg darauf gezeichnet, geschrieben, fabuliert hat - und alles selbstverständlich auch mit Siegel beglaubigt hat - der kann das Papier tatsächlich zum Anzünden verwenden, in dem Fall allerdings gegen eine ordentliche Gebühr, die bei Bendel hinterlegt werden muss. Ansonsten sind Leihnahmen kostenfrei, die Modalitäten sind individuell aushandelbar.

Mit oder ohne Leihgebühr

"Zpi3Brennholzverleih" ist überschrieben, was bis 15. November mit Unterstützung des Kulturamtes und der Niederfüllbacher Stiftung im Ketschentorhaus stattfindet, eine "Ausstellung von Bildern und Objekten der zeitgenössischen Kunst mit Musikinstrumenten-Sammlung, audio-, video und lichttechnischen Installationen, fortlaufend eingerichtet auf zwei Etagen und mehreren Ebenen von Gregor Bendel und Rolf Habel.
Die gleichnamige ergebnisoffene Werktstatt für Texte, Klänge, Bilder, Objekte, andere Kunstformen und Begegnungen finden jeweils durchgehend von Freitagabend, ca 20 Uhr, bis Montagmorgen, ca 2 Uhr, statt. Künstler sind anwesend. Es werde geraucht (...)
In der Einladung/Anleitung samt Geschäftsbedingungen wird unter anderem auf Folgendes hingewiesen: Das Brennholz kann als Späne, Scheite, Klafter, Wurzeln, Äste oder Bäume von jedem Menschen sowohl ge- als auch entliehen werden. Die Leihgeber sind durch die Brennholzvermittler darüber aufzuklären, dass nur geringe Aussicht auf Rückerhalt besteht. Nach Abschluss des detaillierten Leihverfahrens wird das Brennholzteil vom Leihvermittler mit Bleistift handsigniert. Brennhölzer können unentgeltlich oder auch gegen eine auszuhandelnde Gebühr, kurzzeitig, befristet, bis auf Widerruf oder auf Lebenszeit ausgeliehen werden. Auch Erbfolgevereinbarungen sind verhandelbar.
Die Veranstalter betonen:"Es liegt in der Natur des Brennholzverleihens, dass endgültige Transparenz beziehungsweise vollkommen einsehbare Klarheit in Sinn, Zweck und Folgen des Brennholzverleihverfahrens nicht gewährleistet werden können." Es sei augenscheinlich sinnfrei, Brennholz zu verleihen. Aber es könne als gesichert angenommen werden, dass der Brennholzverleih dem Zustandekommen, der Vertiefung oder Wiederaufnahme freundlicher sozialer Beziehungen dient.

Gregor Bendel stammt aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Nach Coburg kam er 2001 der Liebe wegen. Gelernt hat er Kunstglaserei an der Glasfachschule Rheinbach. Von 1980 bis 1987 studierte er Kunst und Design, freie Malerei bei Renate Lewandowski und Multi Media bei Daniel Spoerri in Köln. Die Listen dessen, was er seither geschaffen, getrieben, arrangiert, gelebt hat, sind schier unüberschaubar, im Internet aber einsehbar unter www.gregorbendel.de. Seine - sehr unterschiedlichen - Werke sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten, so ein verbleites Glasrelief in den Kunstsammlungen auf der Veste, das im Rahmen des 1. Coburger Glaspreises 1977 erworben wurde.