Kein Schmerzensgeld vom Zahnarzt für Coburger

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Für Werner Kratschmann steht fest: Die Fraktur in dem Zahn hätte sein Zahnarzt gleich nach seinem Unfall feststellen müssen. Foto: Christiane Lehmann
Für Werner Kratschmann steht fest: Die Fraktur in dem Zahn hätte sein Zahnarzt gleich nach seinem Unfall feststellen müssen. Foto: Christiane Lehmann

Walter Kratschmann klagte gegen seinen Zahnarzt und verlor. Er will sich nicht geschlagen geben und wirft ihm immer noch einen Behandlungsfehler vor - obwohl ihm die medizinischen Gutachter widersprechen.

Die Bayern sind am glücklichsten mit dem Netz an Haus- und Fachärzten, das ihnen zur Verfügung steht. Das zeigt der aktuelle Meinungspuls der Techniker Krankenkasse, der gestern vorgestellt wurde. "Vier von fünf Menschen hierzulande sind mit dem Gesundheitssystem rundum zufrieden. Bayern nehmen gern lange Wege und Wartezeit für gute Behandlungsqualität in Kauf", heißt es.

Einer, der hier einhakt, ist Werner Kratschmann aus Beiersdorf: "Die Betonung liegt auf ,gute Behandlungsqualität‘", sagt er, und sein Frust ist ihm anzuhören. Er ist nämlich einer, der sich immer wieder als Opfer von Behandlungsfehlern sieht. Erst war es sein Rücken und jetzt hat er gegen seinen Zahnarzt vor Gericht geklagt - und verloren.

In der Berufung vorm Landgericht wurde ihm am Ende nahe gelegt, die Klage zurück zunehmen, da er keine Aussichten auf Erfolg hatte. Er fühlt sich dennoch betrogen und kämpft weiter für sein Recht. Deshalb hat er sich jetzt an die Zeitung gewandt und scheut auch nicht den Kontakt zum Fernsehen.

Ob seine Erwartungen erfüllt werden können? Seriöse Medien recherchieren und kommen an Tatsachen nicht vorbei. Sie können das Dilemma aufzeigen, die Verquickung unglücklicher Umstände schildern, aber den schwarzen Peter werden sie niemanden zuschieben.

Sturz wurde zum Verhängnis

Nun zum Fall, der bis ins Jahr 2010 zurück reicht: Am 3. November wurden Werner Kratschmann vier Zähne von seinem Zahnarzt überkront. Einen Tag später stürzte er allerdings so unglücklich auf seine Frontzähne, dass der in der Notaufnahme des Klinikums behandelt werden musste. Festgestellt wurde eine Gesichtsprellung, die Fraktur der oberen drei Schneidezähne sowie eine Platzwunde an der Unterlippe.

"Geröntgt wurde da nichts, schließlich war klar, dass ich am nächsten Tag zu meinem Zahnarzt gehen muss", stellt Kratschmann fest. Der Zahnarzt röntgte daraufhin die Zähne und führte eine so genannte Vitalitätsprüfung durch. Er konnte keine Fraktur der Wurzel feststellen oder gar auf dem Röntgenbild erkennen.

Schließlich wurden am 17. November die Kronen an den vier Zähnen zementiert. "Die Schmerzen, die ich dabei hatte, interessierten meinen Zahnarzt nicht. Er sagte, das sei erst mal normal. Das Gebiss müsse sich daran gewöhnen." Er habe auch Wochen danach noch nicht darauf beißen können. Schließlich musste er Weihnachten 2010 zum Notdienst, weil ihm die Krone an einem der Schneidezähne herausgebrochen war. Sie konnte von dem Notarzt - ebenfalls ein Coburger Zahnarzt - nicht wieder eingesetzt werden, da der eine erhebliche Wurzelfraktur feststellte. Die Krone hätte an diesem Zahn keinen Halt mehr gefunden. Der Zahn musste entfernt werden.
Da sich der Not-Zahnarzt wunderte, wie solch ein Zahn überkront werden konnte, wurde Werner Kratschmann hellhörig und konsultierte einen Anwalt.

Behandlungsfehler bestritten

Hatte sein Zahnarzt die Längsfraktur am 5. November übersehen? Hätte er den Riss nicht erkennen müssen? Kratschmann klagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Zahnarzt wiederum bestritt einen Behandlungsfehler. Es sei zum damaligen Zeitpunkt keine Fraktur zu erkennen gewesen - weder am 5. noch am 17. November, als er die Krone aufsetzte.

Zunächst wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Auftraggeber war dafür die Krankenkasse von Werner Kratschmann. Die Gutachterin Michaela Meißner bestätigte zwar die sichtbare Fraktur an dem Zahn, nachdem die Krone herausgefallen war, kam aber zu dem Schluss, dass der Vorschaden an dem Zahn zum Zeitpunkt des Einsetzens der Krone nicht diagnostiziert werden konnte. Punkt für den Zahnarzt.

Damit wollte es Werner Kratschmann nicht bewenden lassen. Schließlich hatte er immer noch mit den Folgen zu kämpfen: Der Zahn war ihm entfernt worden, er musste ein Provisorium tragen, das mehrfach ausgetauscht werden musste, teilweise unter Narkose. Es entwickelte sich eine Parodontitis, die zu anhaltenden Schmerzen führte.

Zweites Gutachten

Kratschmann bestand auf einem zweiten Gutachten. Als Sachverständiger wurde Karl-Heinz Lechner vom Universitätsklinikum Erlangen eingesetzt. Lechner ist seit 30 Jahren zahnärztlich tätig und seit mehr als 20 Jahren Gutachter für die Bayerische Landeszahnärztekammer. Er schreibt in seiner Stellungnahme:"Die Überkronung der Zähne im Oberkiefer war, soweit ersichtlich, sachlich korrekt. Das Absterben des Zahnes als Folge des Traumas muss als schicksalhaft bezeichnet werden. Insofern war die Diagnosestellung zum 5. November korrekt."

Wann ist der Zahn gebrochen?

Seiner Meinung nach bestehe durchaus die Möglichkeit, dass der Zahn durch den Unfall eine Fraktur erlitten habe, die sich jedoch bei der Untersuchung am 5. November noch nicht manifestiert hatte. Die Spannungen im Zahn könnten sich im Zeitraum zwischen dem Unfall, der Eingliederung der Krone und der Diagnosestellung durch den Notarzt gelöst und sich erst dann die Fraktur manifestiert haben.

Werner Kratschmann wollte das so nicht akzeptieren. Und als das Amtsgericht Coburg im Februar diesen Jahres die Klage mit der Begründung abwies, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Zahnarztes könne nicht nachgewiesen werden, ging der Beiersdorfer in Berufung. Die Verhandlung am Landgericht Coburg leitete der Präsident und Richter Friedrich Krauß. Doch auch da überzeugten die beiden Gutachten das Gericht mehr als die Aussage des Geschädigten. Um zusätzliche Kosten für den Kläger zu vermeiden, wurde ihm nahegelegt, die Berufung zurückzunehmen. "Ich hab das dann gemacht, weil auch mein Anwalt mir dazu geraten hat," sagt Kratschmann, der es damit aber nicht bewenden lassen möchte.

Sein Anwalt Wolfgang Hörnlein ist Fachanwalt für Medizinrecht und sagt: "Es ist wirklich alles unglücklich gelaufen. Selbst die Gutachterin der eigenen Krankenkasse hat den Fall anders gesehen als Herr Kratschmann." Hörnlein bedauert, dass es keine Richtlinie in dem Fall gibt, wie nach dem Unfall hätte verfahren werden müssen. Dennoch meint er, sei der Fall nicht geeignet, der Justiz die Schuld zu geben. "Der Ober sticht den Unter" kommentiert er die Standpunkte von Gutachter und Geschädigtem.

Auch der Notarzt bedauert, dass man den Fehler einfach nicht nachweisen könne. Er versteht allerdings immer noch nicht, weshalb nach dem Unfall nicht auch die Wurzelspitze geröntgt wurde, um eine eventuelle Wurzelbehandlung vor dem Aufsetzen der Kronen zu machen.

Was bleibt sind gefüllte Ordner und Kosten

Die Bilanz für Werner Kratschmann: Ein prall gefüllter Ordner Korrespondenz zwischen Anwalt, Gericht und Sachverständigen, dauerhafte Schmerzen, alle Kosten, die von seiner privaten Rechtsschutz übernommen wurden, plus die Zusatzkosten für die Kronen und später die Brücke, die eingesetzt werden musste.

Resigniert stellt er einen Vergleich zu seiner eigenen Berufswelt an: "Wenn ich in einer Werkstatt eine Bremsanlage reparieren muss, und der Kunde fährt anschließend gegen einen Baum, kann ich auch nicht sagen, ich habe alles nachgeschaut und es war in Ordnung."