"Flüchten und fliegen" heißt ein realitätsnaher, faszinierender Roman, der im Jahr 2049 spielt.
Ein Zukunftsroman der ungewöhnlichen Art: Er spielt in Köln im Jahr 2049. So nah schon, und doch ist alles befremdlich geworden. Leider aber sehr nachvollziehbar, denn unsere Welt wurde realistisch nur ein bisschen in eine mögliche Zukunft verlängert.
Der Roman mit dem allein schon merk- und denk-würdigen Titel "Flüchten und fliegen" von Christoph Schmitz ist wieder einer dieser geschickt als Jugendroman getarnten Bücher, die Junge wie Alte fesseln können, wenn man Jugendliche als Hauptakteure akzeptiert. Doch die leben ja schließlich nicht allein. Der Musikwissenschaftler und Philosoph Christoph Schmitz, heute Kulturredakteur und Moderator beim Deutschlandradio in Köln, zeigt sie auf spannende Weise in ihrer, unserer zukünftigen Welt.
Anton Wiemer lebt jetzt mit seinen Eltern im Südturm des Kölner Domes, 533 Stufen hoch.
Von der Aussichtsplattform des Südturms aus, 97 Meter über der Erde, sind ganze Wälder von Windrädern auf den Hügeln des Bergischen Landes zu erkennen, unter ihm die endlosen Flächen der Photovoltaikanlagen. Auf der anderen Rheinseite sieht Anton die Flotte von Cargoliftern, riesigen, ruhigen, fliegenden Schwertransportern.
Antons Eltern, die zum Gewerk der Steinmetze gehören, sind wieder mal "oben", mit den anderen Angestellten der Dombauhütte zuständig für die Erhaltung des Museums Kölner Dom, denn Kirche ist die Kathedrale schon lange nicht mehr.
Mit dem geschickten Kletterer Anton, Milena, die bald schon seine Freundin wird, und den anderen Kindern und Jugendlichen der Dombau-Familien, aber auch über die Lebensgeschichten der Erwachsenen und ihre Aufgaben werden wir in das Leben dieser nach eigenen Regeln unabhängigen, den mittelalterlichen Dombau-Hütten nachempfundenen Gesellschaft eingeführt.
Denn draußen, in der Stadt, im Land herrscht längst ein totalitäres System, dem die Dombauhütte ein Ärgernis ist, das sie systematisch und hinterhältig bekämpft. Noch müssen die Machthaber die Dombauhütte respektieren, doch sie warten nur auf eine Gelegenheit, auch diese letzte gesellschaftliche Enklave in ihre Herrschaft zu bringen.
Die Gelegenheit könnte gekommen sein, wenn es den Dombauern nicht jetzt gelingt, die schwer zugängliche Spitze des Südturmes, von der die Kreuzblume herabzustürzen droht, zu sichern. Eben deshalb sind die als meisterhafte Kletterer und Steinmetze bekannten Wiemers zur Kölner Dombauhütte gekommen.
Die Dombauer leben kostenlos mit ihren Familien in der "Hütte", ohne Bezahlung, aber jeder bekommt, was er braucht, jeder ist für sich und alle verantwortlich.
"Jeder soll frei sein, etwas aus sich zu machen, so wie er es will und kann", erklärt Milena Anton die für ihn neue Lebensgemeinschaft.
Über Brüstungen und Dächer
Das fantastische Element an diesem Roman ist eher die packende Art, wie Christoph Schmitz uns in die Faszination der Dombaukunst, ihre Geschichte, ihre geistige Dimension, ihre architektonische Verwegenheit führt, ohne mit Wissen zu überfrachten. Wir erspüren diese Faszination mit Anton, der die Sorge um das gigantische Baudenkmal kennenlernt und der als geschickter Kletterer auf der Flucht vor der Bande der Schulkameraden in schwindelerregender Höhe über Dachschrägen, durch Baugerüste, über Brüstungen, durch Chöre und Seitenschiffe fliegt.
Es geht um Verrat, Familienlügen und -dramen, den Kampf unterschiedlicher Lebenskonzepte und gesellschaftlicher Systeme, konkret verkörpert in den Handelnden. Die Rettung für den Dom und die dort lebenden Dombauer bringt der Cargolifter aus der Luft.
Christoph Schmitz: Flüchten und fliegen. Roman. Boje Verlag Köln, 220 Seiten, 12,99 Euro.