Diese Liebe ist dem Untergang geweiht - von Anfang an. Denn diese Liebe, die Liebe von Medea und Jason, ist eigentlich etwas ganz anderes. Für Medea ist sie ein Fluchtversuch - und Jason ist ihr Fluchthelfer. Mit ihm will Medea ausbrechen aus der bedrängenden, sie fast erstickenden Enge. Dass sie für diese Flucht Verrat begehen muss, dass sie Vater und Bruder opfern muss - egal.
Vergeblicher Fluchtversuch
Medea will diesem Leben entfliehen und sich an der Seite von Jason selbst verwirklichen.
Doch daraus wird natürlich nichts. Denn ein Stück, auf dem im Titel Medea steht, muss einfach tödlich enden - auch in dieser modernen Version des flämischen Autors Tom Lanoye namens "Mamma Medea", die in gar manchen Punkten entscheidend abweicht von der antiken Tragödie.
Beeindruckend intensives Spiel
Gut zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung erlebte das Drama seine Coburger Erstaufführung. Die Geschichte einer Liebe oder auch einer nur vermeintlichen Liebe in Zeiten des Krieges - diese Geschichte hat wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine eine erschreckende Aktualität bekommen. Diese Art von Aktualität konnte André Rößler so natürlich nicht vorhersehen.
Das zerstörerische Potenzial einer Liebe vor dem Hintergrund eines Raubzug im Namen eines Staates - dieses zerstörerische Potenztial legt Rößlers Regie von Anfang an schonungslos offen.
Juliane Schwabe als Medea (als stumme Medea-Puppe: Lilian Prent) und Tobias Bode als Jason agieren mit schonungsloser Konsequenz in Rößler scharf durchgezeichneter Inszenierung im Zentrum eines beeindruckend intensiv spielenden Ensembles.
Medea und Jason und ihre Geschichte - das ist in André Rößlers Lesart dieser zeitgenössischen Medea-Deutung des flämischen Autors Tom Lanoye die Geschichte eines Ehepaares, dessen Träume in der bedrängenden Monotonie eines Reihenhäuschens ersticken. Vor allem aber ist es die Geschichte eines Ehepaares, dessen Verbindung von Anfang an auf falschen Voraussetzungen fußte.
Moderner Rosenkrieg
Medeas Ermordung der eigenen Kinder wird in Lanoyes Version zur gemeinschaftlichen Tat von Medea und Jason. Das antike Drama - in dieser Fassung erweist es sich als moderner Rosenkrieg, ohne dabei freilich seinen archaischen Gestus, seine Zeitlosigkeit und seine bedrängende Wucht zu verlieren.
Das hat sicher auch damit zu tun, dass Rößler in seiner Inszenierung mit Bunraku-Anleihen agieren lässt, der tradierten japanischen Form des Figurentheaters. Perfekt auf diesen Deutungsansatz abgestimmt ist die Ausstattung von Simone Grassmann, die mühelos die Brücke schlägt zwischen realistisch gezeichneten Gegenwart-Details und zeitlos gültig wirkender Abstraktion.
"Mamma Medea" am Landestheater - das ist ein gnadenlos entlarvendes Familiendrama, dessen unausweichlich tödliches Ende auch deshalb sehr eindringlich wirkt, weil die Geschichte nicht in der Ferne längst vergangener Zeiten spielt. Das Drama von Medea und Jason ist das Drama zweier Menschen, die im Grunde ganz und gar nicht zueinander passen und die trotzdem den Schein einer glücklichen Familie zu inszenieren versuchen. Mit ihrer bisweilen fast schon ironischen Zuspitzung bietet Rößlers szenische Lesart dem Publikum an einigen Stellen eine Art Notausgang - die Chance zum kurzen befreienden Lachen.
Nach fast drei sehr intensiven Theaterstunden löste sich die Spannung erst im bemerkenswert ausdauernden Schlussbeifall.
"Mamma Medea" am Landestheater Coburg
Schauspiel-Tipp "Mamma Medea" von Tom Lanoye - Termine: 3. März, 19.30 Uhr; 13., März, 18 Uhr; 26. März, 19.30 Uhr; 24. April, 18 Uhr; 13., 18. Mai, 19.30 Uhr; 12. Juni, 18 Uhr, Landestheater Coburg
Regie: André Rößler
Bühne und Kostüm: Simone Grassmann
Kostümassistenz / Umsetzung der Kostümentwürfe: Juliane Längin
Lichtregie: Andreas Rehfeld
Dramaturgie: Victor Pohl
Medea - Stimme/Medea: Juliane Schwabe
Medea - Puppe/Kirche: Lilian Prent
Aietes - Stimme/Ägeus: Stephan Mertl
Aieter - Puppe: Nils Liebscher
Chalkiope - Stimme / Kreusa / Kirke - Stimme: Marina Schmitz
Chalkiope - puppe / Kirke - Puppe: Kerstin Hänel
Apsyrtos - Stimme / Kirke - Stimme: Frederik Leberle
Apsyrtos - Puppe: Lean Fargel
Jason: Tobias Bode
Idas / Dienerin: Benjamin Hübner
Telamon / Der Sportlehrer: Florian Graf
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