Gelähmt nach Unfall: Ein Neustadter sucht Pflegekraft über Ebay Kleinanzeigen

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"Traumoase" hat Patrick Heerlein über dem Bett stehen. In seiner Wohnung kann er unter anderem dank moderner Technik selbstbestimmt leben. Fotos: Barbara Herbst
"Traumoase" hat Patrick Heerlein über dem Bett stehen. In seiner Wohnung kann er unter anderem dank moderner Technik selbstbestimmt leben. Fotos: Barbara Herbst
 
Mit dem Metallstift kann Patrick Heerlein das Handy bedienen.
Mit dem Metallstift kann Patrick Heerlein das Handy bedienen.
 

Mit 19 Jahren krachte sein Auto gegen einen Baum. Das veränderte alles im Leben von Patrick Heerlein und seiner Familie. Was das im Alltag bedeutet.

Grandmaster Flash, Kool & the Gang, Michael Jackson. "Die alten Sachen." Patrick Heerlein lächelt. Wenn er über Musik spricht, ist es leicht, sich vorzustellen, wie er als Jugendlicher mit seinen Kumpels Breakdance tanzte. Bis ihm ein Autounfall das Genick brach.

"Im Krankenhaus sind sie damals davon ausgegangen, dass ich nur noch den Kopf bewegen kann. Der rechte Arm ist Plus." Er winkelt ihn an. "Da", er lächelt noch einmal: "Bizeps funktioniert." Die Finger nicht, aber der Neustadter trägt eine Armschiene mit einem Metallstift. Damit kann er die Computertastatur im Wohnzimmer bedienen und das Handy in der Armlehne seines Rollstuhls. "Ich kommuniziere viel über Facebook und Whatsapp", erklärt der 39-Jährige.

Der Unfall

Im Oktober 1998 war er mit einem Freund in Sonneberg in der Disco. "Danach wollten wir an der Aral noch jemanden treffen. Ich saß am Steuer, ich weiß noch, wie ich über die Unterführung gefahren bin. Das Nächste, woran ich mich erinnere ist das Meininger Krankenhaus." Aquaplaning. Das Auto war nicht mehr zu steuern, knallte gegen einen Baum. Der Sicherheitsgurt zog sich an Patrick Heerleins Hals straff. "Da hat es Knack gemacht." Die Halswirbelsäule brach. Reanimation am Unfallort, Hubschrauber, 15 Stunden Operation. Auch sein Freund trug schwerste Verletzungen davon.

Gut ein Jahr später, zwei Tage vor Weihnachten 1999, kam Patrick Heerlein nach Hause. Seine Mutter und seine kleine Schwester waren in eine neue Wohnung gezogen; daneben, verbunden durch einen Durchbruch hatte der nun 20-Jährige seine Wohnung. "Familie und Freunde hatten wie verrückt gewerkelt", erinnert er sich.

Die Mutter

Die ersten Jahre pflegte ihn seine Mutter allein. "Obwohl viele zu ihr sagten, ich solle ins Heim. Ich bin ihr so dankbar!" Nachts habe sie stets bereit sein müssen. "Alle vier bis sechs Stunden muss ich kathetiert werden." Seit sich 2009 herausstellte, dass Heerlein wegen eines Lungenproblems im Schlaf an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden muss, kommt nachts der Intensivpflegedienst.

Seine Mutter hatte vor drei Jahren einen Schlaganfall. "Sie hat ihr Leben, ihren Schlafrhythmus kaputt gemacht." Heute ist sie 60 und wieder relativ fit. "Aber es fällt ihr schwer, behördliche Briefe zu verstehen und zu handeln. Früher war sie da top." Ein vom Gericht eingesetzter Betreuer hilft ihr nun dabei.

"Man muss seine Dinge regeln."

Patrick Heerlein sagt, es kann immer was passieren. "Man muss seine Dinge regeln." Er habe eine Patientenverfügung gemacht. "Auch mit meiner Mutter. Die Gespräche mit Oma und Opas sind auch durch: Sie haben auch eine Vorsorgevollmacht, haben sogar mit einem Beerdigungsinstitut geklärt, wie sie bestattet werden wollen. Sie sind noch fit, aber man sollte sich Gedanken machen. Auch in jungen Jahren."

Er selbst habe sich als Jugendlicher damit schwergetan. Die Mutter hatte ihn gedrängt, eine Unfallversicherung abzuschließen. "Das war teuer, ich hatte andere Interessen." Als er 19 war, wollte er die Police kündigen. Aber er ließ sich überzeugen, den Vertrag nur herabzusetzen. "Einen Monat später war der Unfall."

Mit dem Geld der Versicherung richtete er die Wohnung ein. Das Übliche wie Besteck und Gläser, ein bisschen Luxus wie eine Musikanlage mit CD-Wechsler und besonderen Bedarf wie ein vom Schreiner gefertigtes Bett mit Pflegeeinsatz. "Ich habe nach der Lehre drei Schichten bei Siemens gearbeitet, dadurch bekam ich auch eine gute Erwerbsminderungsrente. Und ich hatte eine Lebensversicherung mit angebundener Berufsunfähigkeitsversicherung. Ich hab' eigentlich ein gutes Leben."

Ebay und das polnische Modell

Nach dem Schlaganfall seiner Mutter genehmigte der Bezirk für Patrick Heerlein eine 24-Stunden-Pflege. Wegen des Personalnotstands im Pflegebereich sucht er über die Internetplattform "Ebay-Kleinanzeigen" selbst Verstärkung für's Team seines Pflegedienstes. "Ich habe schon mal einen Aufruf bei Facebook gestartet, das hatten viele geteilt. Die Resonanz war gut."

Diesmal habe er einige dubiose Anfragen bekommen. Oft sei es um das "polnische Modell" gegangen: 24-Stunden-Betreuung durch eine einzige Person, die nach ein paar Monaten ausgetauscht wird. "Da wird nur der Arbeitseinsatz zusammengerechnet, der Rest zählt als Bereitschaft, nicht als Arbeitszeit." Das sei mit einem seriösen Pflegedienst nicht machbar.

Die Tür gehorcht aufs Wort

"Aufwachen! Tür drei", sagt er betont deutlich und aktiviert damit die Umfeldsteuerung in seiner Wohnung. "Ein bisschen Enterprise für Neuzeitler: Infrarotfernbedienung, die über die Sprache gesteuert wird." Heute, wo es Siri und Alexa gibt, sei das nicht mehr so spektakulär. "Drei!", sagt er noch einmal. Jetzt geht die Tür auf, Patrick Heerlein rollt ins Nebenzimmer. Dort sitzt ein junger Mann, der über sein Handy wischt. "Das ist der Raum für's Pflegepersonal."

Die Wohnung ist modern und freundlich eingerichtet. Heerlein berichtet von der zweiten großen Renovierung. "Das Regal im Schlafzimmer haben wir in der Familie selber gemacht, Holz besorgt und gebeizt. Die Gläser da drüben habe ich mit dem Pflegedienst bemalt. Ich bastle gern." Er grinst ironisch. "Ich lasse basteln. Im Endeffekt mache ich nichts, außer blöde Kommentare abzugeben." Wenn er mit seinem Vater am alten Auto herumschraubt oder mit dem Pflegepersonal für die Familie Braten mit Klößen kocht, kann er nur geistige Beiträge liefern.

"Natürlich hadere ich auch mit meinem Schicksal", räumt er ein. "Wenn es mir schlecht geht, höre ich Musik." In seinem Kopf existiere der Jugendliche, der Breakdance tanzt, immer noch. Aber die Discozeiten sind vorbei: "Ich bin in den letzten Jahren in Discos gewesen. Die Musik ist einfach nichts mehr."