66 Jahre nach Verlassen der Schule kamen in Seßlach frühere Klassenkameraden zusammen. Auch ihr ehemaliger Klassenlehrer nahm teil.
Für ihn war es eine harte Bewährungsprobe: Mit gerade mal 22 Jahren übernahm Erhard Hümmer 1950 in Seßlach seine erste große Klasse. Rund 50 Schüler zählte damals die aus dem siebten und achten Jahrgang bestehende Klasse in der Alten Schule in der Luitpoldstraße. Nun kehrte der fast 90-jährige Zapfendorfer zum Klassentreffen an seine alte Wirkungsstätte zurück. Mit dabei waren 19 ehemalige Schüler aus den Jahrgängen 1936 bis 1938.
Der Autenhausener Anton "Toni" Paul nahm seinen früheren Lehrer am Geiersberger Tor in Empfang, um ihn zur Stadtpfarrkirche zu geleiten. Dort zelebrierte Pfarrer Norbert Lang einen Gottesdienst. Beim Mittagessen in der Gaststätte "Altstadthof" tauschten die früheren Klassenkameraden dann mit dem rüstigen Pädagogen Erinnerungen an die alten Zeiten aus. Dass Hümmer sich noch heute sehr zufrieden mit seiner damaligen Klasse zeigte und sie überschwänglich lobte, verwunderte Paul sehr. "Das kann gar nicht sein, wir waren doch eine sehr verrufene Klasse", blickte er schmunzelnd auf seine Schulzeit vor über sechs Jahrzehnten zurück.
Den schlechten Leumund kann Rosemarie "Rie" Girschke bestätigen. Sie führt ihn darauf zurück, dass die Klasse zu drei Viertel aus Burschen bestand. "Bei uns ging es ganz schön laut zu, und vor allem die Jungs hatten viel Unsinn im Kopf ", erzählt sie.
Die heute 78-Jährige gehörte 1982 zu den sechs Initiatoren des ersten Klassentreffens. Akribisch hatten die Seßlacher die Adressen ihrer Mitschüler und Lehrer ausfindig gemacht. An der Wiederholung nahm ein Jahr später selbst eine in Kanada ansässige Ehemalige teil. Dieses Mal hatte Marga Bender (geb. Autsch) aus Wallhausen (bei Bad Kreuznach) die weiteste Anreise. Zu Beginn des fünften Treffens gedachten alle der mittlerweile 22 verstorbenen Mitschüler.
Wie sehr sich ihre Schulzeit von der heutigen unterschied, fasste Rosa Klüglein für ein Treffen in Versform zusammen. Als Erstes lernten die 1943 und 1944 Eingeschulten den Hitler-Gruß. Das war ein Muss. Statt Papier und Heften gab es Tafel und Griffel. Das Lesebuch teilten sich jeweils drei Schüler. Ob Erd- und Naturkunde, Religion oder Geschichte: Der ganze Schulstoff musste auswendig gelernt werden. Strafarbeiten wurden auf die Innenseite alter Tüten geschrieben. An schönen Tagen mussten die Schüler während des Krieges Kamille, Lindenblüten und Brombeerblätter als Tee für die Soldaten sammeln. Und weil noch kein Schulbus fuhr, kamen selbst aus Krumbach, Rothenberg oder Eckersdorf die Schüler zu Fuß. Als 1945 die Amerikaner im Schulhaus ihr Lager aufschlugen, fiel der Unterricht lange Zeit aus. Auch an Sperrstunden, Feldarbeit, Schulspeisungen und einen nach Jungen und Mädchen geteilten Pausenhof erinnert sich Klüglein. Unter den 50 Schülern waren viele Vertriebene.
Hümmer freute es, dass seine ehemaligen Schüler sich nach so langer Zeit gern an ihn erinnern und ihn zu ihren Treffen einluden. "Dieses Zusammenkommen ist für mich immer ein Erlebnis, normalerweise wird der Lehrer ja nicht so verherrlicht", sagte er lachend.
Selber denkt er gern an seine erste bedeutende Stelle zurück. Zuvor hatte der Junglehrer lediglich Mischklassen an kleineren Dorfschulen unterrichtet. "Statt zu strafen habe ich lieber das Positive hervorgehoben, um den Schülern Erfolgserlebnisse und Anerkennung zu verschaffen", betonte der 89-Jährige. Dies habe die soziale Kompetenz der anfangs verängstigten Klasse gesteigert. Seine Ex-Zöglinge verehren ihn dafür noch heute, das wurde bei dem Treffen klar. Girschke erinnerte sich: "Er war der erste Lehrer, der uns nicht bestrafte, sondern versuchte Konflikte mit anderen Mitteln zu lösen." In Zeiten, in denen die Schüler von anderen "Paukern" noch den Rohrstock zu spüren bekamen, bedeutete diese Behandlung eine Zäsur. Wie Hümmer reagierte, wenn gerade die Buben ihn immer ärger in Verlegenheit oder Weißglut brachten, beschrieb Klüglein so: "Sein Kopf wurde oft wie ein Radieschen so rot, doch die Burschen lachten nur, wenn er sich das verbot." Trotz allen Ärgers, so hob sie hervor, sei Hümmer stets ohne Schläge ausgekommen.
Bevor sie die Volksschule verließen, erlebten die Jugendlichen den jungen Pädagogen ein oder zwei Jahre lang. Da Hümmer 1952 in Seßlach seine zweite Lehramtsprüfung bestand, geriet das hiesige Engagement zu einem wichtigen Meilenstein in seiner Berufslaufbahn. Umso mehr genoss der Rektor im Ruhestand das Wiedersehen mit seinen Seßlacher Ex-Schülern. Diese verabschiedeten Hümmer unter großem Beifall.