Wie die Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Sichtweisen" in der Coburger Reithalle mit Günther Beckstein das Thema Heimat und Fremde ausloten.
Kluge und bedachtsame Spielplan-Gestalter können viele kluge Überlegungen anstellen, spannende Stücke auswählen und werden dann doch von der Wirklichkeit überholt, von der brutalen Macht des Faktischen überrumpelt.
Bestes Beispiel ist die geplante Neuinszenierung von Bohuslav Martinus Flüchtlingsoper "Griechische Passion". Dass dieses Werk plötzlich vor dem Hintergrund der jüngsten Auseinandersetzungen auf der griechischen Insel Lesbos geradezu brennend aktuell erscheinen würde, hätte sich Coburgs Intendant Bernhard F. Loges bei der Gestaltung des Spielplans für die laufende Saison kaum vorstellen mögen.
Theater und Wirklichkeit
Plötzlich aber wurde sichtbar, wie eng Theaterspielen und Wirklichkeit verzahnt sein können. Bei der zweiten Veranstaltung der Reihe "Sichtweisen", vom Landestheater gemeinsam mit der Hanns-Seidel-Stiftung organisiert, ging es mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein um das spannungsgeladene Thema Heimat und Fremde.
Jagd auf Flüchtlingshelfer
Die Ereignisse auf der griechischen Insel Lesbos, wo aufgebrachte Bürger vor wenigen Tagen Jagd auf Flüchtlingshelfer machten, hatte sogar ganz unmittelbare Auswirkungen auf den Abend in der Reithalle. Denn der vorgesehene Moderator, der aus Coburg stammende ARD-Korrespondent Christian Limpert, musste kurzfristig absagen, weil er aktuell von den Geschehnissen auf Lesbos zu berichten hatte.
"Eine absolute Schande"
Die Zustände auf Lesbos mit weit mehr als 20000 Flüchtlingen bezeichnete Beckstein als "eine absolute Schande auch für Europa". Die jetzige Eskalation der Situation sei Ausdruck dessen, "dass die Politik in den letzten Jahren versagt hat."
Gefährdete Nächstenliebe
Hat die Europäische Union mit ihrem Verhalten im Falle von Lesbos ihre Werte verkauft? Bewusst provokant stellte Moderatorin Margarethe Stadlbauer diese Frage in den Raum. Für Dekan Kirchberger sind Werte keine Besitztümer, sonder etwas, "das wir uns immer wieder neu erarbeiten müssen". Und von allen Werten sei die Nächstenliebe am meisten gefährdet.
Tibor Torells Visionen
Gast-Regisseur Tibor Torell, der bereits zwei Inszenierungen am Landestheater zur Premiere gebracht hat, probt derzeit an Martinus "Griechischer Passion". Als Regisseur aus Tschechien, der seit 18 Jahren in Deutschland arbeitet, ist das Thema Heimat und Fremde für ihn keine lediglich theoretische Fragestellung. Torell belebte die Diskussion mit zwei Visionen. Wie würde das Thema Heimat definiert, wenn alle Menschen für fünf Jahre ihre Heimat verließen und in der Fremde leben würden? Und welche Auswirkungen auf politische Entscheidungen hätte es, wenn Politiker verpflichtet wären, zunächst in die Fremde zu gehen, bevor sie sich in ihrer Heimat um politische Verantwortung bewerben dürften?