Coburger im Wachkoma - Wie eine Mutter kämpft

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Im Sommer vergangenen Jahres: Heiderose Dietz besucht ihren Sohn Daniel mindestens dreimal im Monat mit dem Zug nach Regensburg. "Seine geliebten lange Haare mussten leider abgeschnitten werden. Das wäre für das Pflegepersonal zu aufwendig." Repros: Christiane Lehmann
Im Sommer vergangenen Jahres: Heiderose Dietz besucht ihren Sohn Daniel mindestens dreimal im Monat mit dem Zug nach Regensburg. "Seine geliebten lange Haare mussten leider abgeschnitten werden. Das wäre für das Pflegepersonal zu aufwendig." Repros: Christiane Lehmann
Daniel Dietz vor seinem Unfall
Daniel Dietz vor seinem Unfall
 

Nach einem Unfall vor zwei Jahren liegt Daniel Dietz (34) immer noch im Wachkoma. Seine Mutter glaubt fest an die kleinen Fortschritte. Dass ihr Sohn leben möchte, davon ist die Coburgerin fest überzeugt.

Geduld ist nicht ihre Stärke. Doch Geduld ist zu ihrer größten Herausforderung geworden. Heiderose Dietz wartet darauf, dass ihr Sohn Daniel aus dem Wachkoma seinen Weg zurück in die Welt findet. Seit zwei Jahren übt sich die 65-Jährige im Warten.
Ihr mittlerweile 34-jähriger Sohn wohnt in der neurologischen Reha am Bezirksklinikum Regensburg und macht Fortschritte - "Millimeter für Millimeter". Mindestens dreimal im Monat fährt die Rentnerin mit dem Zug in die Klinik. "Ich bin bei jeder Untersuchung dabei, ich muntere ihn auf und erzähle ihm von meinem Alltag", sagt die couragierte Frau mit leidenschaftlichem Mutterherz. "Wenn ich mit meinem Stöckelschuhen den Gang entlang klappere, reagiert Daniel bereits. Das war schon in der Intensivstation an seinem Puls messbar."
Der junge Mann, zwei Meter groß, einst aktiver Kraftsportler, lernt gerade seine Mimik zu steuern. Die Augen sind geöffnet, sein Mund verzieht sich manchmal schon ganz leicht zu einem Lächeln, freut sich seine Mutter. Ihre Hand kann er halten und zudrücken. Alles andere liegt noch im Verborgenen.

Zwei Kämpfernaturen

"Wollte Daniel wirklich so leben? Warum schalten Sie nicht einfach die Geräte ab?" Wenn Heiderose Dietz solche Sätze von seinen ehemaligen Freunden hören muss, rastet sie aus. Wie neulich auf dem Marktplatz. "Ihr habt doch keine Ahnung!", schreit sie dann, und der ganze Schmerz bricht aus ihr heraus. Daniel hängt an keinen Geräten. Er atmet selbstständig, lediglich seine Nahrung erhält er über eine PEG-Sonde, da er nicht schlucken kann.
Sein Zustand wird mit Wachkoma der Phase F beschrieben: appalisches Syndrom. Die Therapie ist langfristig und auf Dauer angelegt. "Wir sind zwei Kämpfernaturen", sagt Heiderose Dietz. "Ein gut eingespieltes Team." Das waren die beiden auch schon vor dem Tag, der ihr beider Leben auf so drastische und plötzliche Art für immer veränderte.
Es geschah in der Nacht zum 20. Januar 2013: Daniel wurde um 0.41 Uhr auf der B303 bei Grub am Forst von einem Auto erfasst und lebensgefährlich verletzt. Die erste Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma dritten Gra- des, beide Beine und Arme gebrochen, mehrere Rippenbrüche und Quetschungen. Sofort wurde er auf die neurologische Intensivstation nach Lichtenfels gebracht. Er wurde ins Koma versetzt.

Schädeldecke abgenommen

Nach zwei Tagen schwoll sein Hirn derart an, dass ihm in einer Notoperation die Schädeldecke entfernt werden musste. Es folgten fünf Wochen des Bangens. "Wir wussten nicht, ob er das alles überhaupt überlebt." Nächtelang saß Heidemarie Dietz an seinem Bett, legte ihm die Hand aufs Herz und flehte ihn an: "Leb, komm wieder zu Dir!" Klar war damals schon, dass der Preis wohl hoch sein würde, falls Daniel überlebt. Er schaffte es. Und es folgten vier Wochen Reha in Bad Rodach. "Anfangs gab es gar keine Wachphasen", erinnert sich seine Mutter. Aber Daniel sei ein sehr kämpferischer Mensch und so wurde es immer ein bisschen besser. Daniel konnte sogar schon wieder seinen Arm etwas an den Körper ziehen und seine Hände leicht bewegen.
Doch dann plötzlich sammelte sich Hirnwasser an und der Hirndruck stieg. Alle Reaktionen waren wieder weg. Es musste ihm ein so genannter Shunt gelegt werden - ein Schlauch, der das Hirnwasser in die Bauchdecke abführt.

Daniel sollte in ein Pflegeheim verlegt werden. Pflegeheime sind aber meistens mit alten, oft demenzkranken Patienten belegt. Das kam für Heiderose Dietz nicht in Frage. Sie wollte das Beste für ihren Sohn und reiste quer durch Deutschland: "Ich hab mir alle Heime mit einer neurologischen Abteilung angeschaut, letztendlich bin ich über den Deutschen Wachkoma-Verband an die Adresse in Regensburg gekommen." Die Coburgerin spricht von einem Glücksfall. Daniel hat einen Bezugspfleger und der älteste Mitbewohner ist 45 Jahre alt.
Im Juni 2013 wurde ihm dann der Shunt gesetzt und drei Monate später die Schädeldecke wieder eingesetzt. "Es heißt, dass Menschen sich von solchen schweren Verletzungen erst nach zwei Jahren erholt haben - ganz unabhängig von den Kopfverletzungen", weiß Heiderose Dietz, in deren Wohnung sich mittlerweile medizinische Fachliteratur stapelt. Ihre große Hoffnung ist es, dass die eine Hirnhälfte die Funktionen der anderen langsam aber irgendwann komplett übernimmt. "Noch ist Daniel jung, da ist viel möglich," bestärkt sie sich selbst.
Heiderose Dietz hat in ihrem Leben schon viel erlebt. Die gebürtige Frankfurterin ist vor 30 Jahren der Liebe wegen nach Coburg gezogen. Nach 27 Jahren allerdings war ihre Ehe am Ende und sie hat sich von ihrem Mann getrennt. Die Tochter lebte zu diesem Zeitpunkt schon mit einer eigenen Familie in München - und Daniel und seine Mutter waren ein eingespieltes Team.
Zwei Jahre nach der Trennung nahm die Coburgerin mit dem unverkennbaren hessischen Dialekt ihren mittlerweile demenzkranken Mann wieder auf. Zwei Jahre pflegte und betreute sie ihn , bis er schließlich ins Heim musste. Da passierte der Unfall mit Daniel.

Geld reicht nicht

"Viele Coburger kennen mich als Bedienung in der Burgschenke und aus der Gaststätte ,Tambacher Schloss' oder auch zuletzt als Leiterin der Sozialen Dienste, aber mein härtester Job ist jetzt der als Mutter, die für ihren Sohn kämpfen muss," sagt sie. Denn eins ist klar: Das Geld von der Pflegeversicherung reicht nicht. Und ihre Rente ist auch zu klein, um zusätzliche Therapien zu finanzieren.
Der Unfallfahrer ist in jener Nacht weder zu schnell gefahren noch stand er unter Alkohol. Vor Gericht wurde der damals 20-Jährige freigesprochen, das heißt, da zahlt auch keine Versicherung zusätzliche Behandlungskosten. Den Rollstuhl für Daniel musste Heiderose Dietz in Schweden anfertigen lassen und dementsprechend einen Aufpreis bezahlen. Daniel ist einfach zu groß. "Ich kann mir eigentlich nichts mehr leisten", sagt die 65-Jährige. Sie braucht ihr Geld für die Zugfahrten. Eingerichtet hat sie sich in der ehemaligen Wohnung von Daniel. "Hier ist es zwar klein, aber ich fühle mich ihm nahe", sagt sie und zeigt die Bilder von Daniel vor dem Unfall.
Dass sich der Verursacher bis heute noch kein einziges Mal erkundigt hat, wie es Daniel geht, macht sie wütend und zornig. Da kann sie auch ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.






Die verschiedene Phasen eines Wachkoma-Patienten