Die Coburger Familie Kahl hat seit über zwei Jahren einen neuen Lebensmittelpunkt. Vater Christian arbeitet dort als Projektingenieur für die Firma Brose in Shanghai.
Tscheina", erklärt Mathilda und zeigt mit ihrem Finger auf den großen gelben Fleck mit dem roten Herz in der Mitte. "Da sind wir", sagt die Dreieinhalbjährige stolz und strahlt dabei. Den Countryball, wie sie den Gummiball in Weltkugeloptik nennt, will sie unbedingt haben. "Guck, da ist Deutschland!" Mathilda kennt sich aus. In den vergangenen Wochen hat sie im Kindergarten der Wohnanlage "Shanghai Racquet Club" die Länder der Erde durchgenommen. Sie weiß, dass das Land, wo die Pizza herkommt, aussieht wie ein Stiefel, und dass ihre Freundin Sidonie in "France" geboren ist - der rosafarbene Fleck neben dem blauen Deutschland.
Beautiful Shanghai Seit zwei Jahren lebt die kleine Coburgerin mit ihrer Familie in China.
Papa Christian Kahl arbeitet als Projektingenieur im Bereich Türsysteme bei der Firma Brose und wurde 2012 als so genannter Expatriate (Expat) in das regionale Headquarter nach Shanghai entsandt. Kurz bevor sie umgezogen sind, haben Christian und Grete Kahl mit ihrem Lied "So ist Coburg" ihre Heimatverbundenheit besungen. Mittlerweile gibt es von den beiden ein YouTube-Video mit dem Song "Beautiful Shanghai".
Mathilda besuchte damals die Kinderkrippe im Park 3, ihre große Schwester Frida den Kindergarten dort. Grete Kahl arbeitete als Sozialpädagogin in der Jugendsozialarbeit des Landkreises. Mit dem Umzug nach Shanghai begann ein völlig neues Leben. "China ist eine fremde Welt, auf die wir uns eingelassen haben - voller Neugier und Interesse", sagt die 34-Jährige, die zugunsten ihrer Familie bewusst die berufliche Karriere zurückgestellt hat. "Ich habe mir noch ein drittes Kind gewünscht.
Warum nicht in China?" sagt die frischgebackene Mama rückblickend und stillt dabei den neun Wochen alten Gustav. Ihre Augen leuchten.
Morgens um 7 durch Shanghai Da kommt Frida von ihrem "Playdate" mit Sophie. Die Sechsjährige besucht mittlerweile die deutsch-französische Schule in Shanghai. Sie geht in die erste Klasse. Morgens um 7 steigt sie in den Shuttlebus zur Schule - 40 Minuten durch Shanghai - um 15.30 Uhr kommt sie wieder heim. Dann wird gespielt. Ihre Freundinnen kommen aus aller Welt. Zur Zeit rennt sie aber am liebsten mit Momo aus Berlin um den Block.
Frida liebt alles, was deutsch ist: den Duft, die Sprache, das Essen, Coburg. Und deutsche Bücher. In ihrer Schule gibt es eine große Bücherei. Da kann sie sich jede Woche Bücher, Filme und CDs ausleihen. Ob "Die Hexe Lili", "Die wilden Kerle" oder "Bibi und Tina" - Frida muss auf nichts verzichten.
Nicht mal auf eine Partie Uno mit Oma Siggi in Rödental. Dank Skype!
Fließend Englisch und Chinesisch Bevor sie an die deutsche Schule wechselte, ging Frida auf die britische Schule, die nur zehn Minuten entfernt liegt. Nach nur sechs Wochen sprach sie fließend Englisch - wohl auch, weil ihre Eltern mit ihr in Coburg schon Monate vorher alle Barbiefilme in original englischer Sprache geschaut haben. Chinesisch versteht sie gut, mag es aber nicht so.
Ganz anders ist da Mathilda. Sie isst mit Begeisterung Dumplings und Sushi, geht mit Stäbchen genauso geschickt um wie mit Messer und Gabel. Ihre Erzieherin Lisa redet mit ihr Englisch, die Kinderpflegerin Kathy nur Chinesisch. Kein Wunder also, wenn sie manchmal die Sprachen ein bisschen durcheinander bringt.
"Du hast dein T-Shirt gechanged", sagt sie zu ihrer Schwester und erzählt, wie sie mit ihrer Teacherin heute Eier getrennt und in die Pfanne gehauen hat. Ihre Freundinnen: Louise aus Norwegen, Ruorong aus China, Sidonie aus Frankreich und Talae von den Philippinen.
Wenn Frida und Mathilda ganz ungestört sind und mit ihren Barbies zusammen spielen, unterhalten sich die beiden auf Englisch. "Das ist ihr Spielsprache", sagt Grete, die selbst mittlerweile nahezu fließend Chinesisch spricht. Das hilft ihr, den Alltag besser zu meistern. Ob beim Einkaufen oder im Gespräch mit der Ayi, wie die Haushälterinnen genannt werden, die sich zuweilen auch um die Kinder kümmern.
Inseln suchen Alle Familien im Club haben eine Ayi, manche auch einen Chauffeur. Christian Kahl hat den chinesischen Führerschein gemacht und fährt selbst.
"So können wir am Wochenende auch schöne Ausflüge in die Umgebung machen und das Land ein bisschen erkunden", sagt seine Frau. Sich mitten in der 15-Millionen-Metropole kleine Inseln suchen, ist für die Familie wichtig. Ein Trip in eine der umliegenden Wasserstädte, eine kleine gemütliche Musikbar, das Schweizer Restaurant, in dem es auch mal Spätzle oder Schnitzel gibt, helfen über so manchen Blues hinweg.
Kiri und Schwartau-Marmelade Nicht zu vergessen, die wöchentliche Online-Bestellung beim Lebensmittelmarkt um die Ecke: Da gibt es Schwartau-Marmelade, Dr.-Oetker-Zitronenkuchen und - ganz wichtig - Fridas Lieblingskäse: Kiri. Heute bestellt, morgen geliefert.
Auch der Shanghai Racquet Club, in dem die Familie lebt, ist eine grüne Insel, die sie mit Familien aus aller Welt für eine begrenzte Zeit teilen.
Es gibt In- und Outdoor-Spielplätze, ein Schwimmbad, Tennisplätze, ein großes Clubhaus mit Fitnesscenter, Sauna, Bars, Restaurants und Wellness-Einrichtungen. Mitten in der Stadt zu leben, hätten sich die Kahls mit ihren Kindern nicht vorstellen können. Der Verkehr, der Schmutz, der Gestank, die vielen Menschen sind manchmal nur schwer zu ertragen.
Mit Mundschutz in Kindergarten Den morgendlichen Blick auf die Tabelle mit den aktuellen Luftwerten erspart sich die Mutter. Im Herbst und Winter leuchtet fast täglich "unhealthy" rot auf. Der diesige Himmel ist "normal". Von "Smog" spricht niemand. Auch der Mundschutz, den die Kinder auf dem Weg zum Kindergarten an manchen Tagen tragen, erschreckt nicht mehr. "Ich versuche, nicht ständig daran zu denken."
In ein paar Wochen heißt es Abschied nehmen.
Und auch, wenn sich Grete auf Deutschland freut, um ihren Kindern nicht länger Oma und Opa, Tanten, Onkels und Cousins vorzuenthalten, bereut sie den Schritt nicht. "Es war die richtige Entscheidung. Wir hatten eine tolle Zeit hier mit vielen faszinierenden Eindrücken, interessanten Begegnungen und spannenden Erfahrungen."