Vom Leben junger Menschen im Krieg und in der Suche nach der eigenen Identität erzählen die Sieger-Stücke des 3. Coburger Autorenforums.
Das Coburger Forum für junge Autoren wird immer internationaler. Entsprechend saß bei der Pressekonferenz zur Präsentation der Gewinner ein Kanadier am Tisch, Olivier Sylvestre. Dessen Stück "Das Gesetz der Schwerkraft" kommt als deutsche Erstaufführung im Januar 2019 auf die Reithallenbühne. Weil die Jury aber von einem weiteren eingereichten Stück tief beeindruckt war, wurden bei dieser dritten Wettbewerbsrunde zwei erste Preise vergeben, neben Sylvestre an Marisa Wendts "Goldzombies". Es wird als Klassenzimmerstück uraufgeführt in Coburg. Der zweite Preis wiederum ging an einen Amerikaner, Tom Leveen für "Random", ein Stück über Cybermobbing", das in der nächsten Spielzeit im Rahmen eines Autorenwochenendes mit Workshops und Publikumsgesprächen in szenischer Lesung präsentiert werden wird.
Mit dem auf Initiative des Lions Clubs Coburg - bei der Pressekonferenz von Rainer Möbus vertreten - ins Leben gerufenen Autorenforum eröffnet das Landestheater nicht nur Chancen für Nachwuchsautoren. Es setzt gleichzeitig für sich selbst ein Aufmerksamkeitssignal in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Der Lions Club wiederum lässt sich sein kulturelles Engagement 15 000 Euro kosten; die ersten beiden Preise sind mit jeweils 4000 Euro dotiert, der zweite Preis mit 2000 Euro.
Außerdem erfolgt das Coburger Autorenforum in Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding, von der ein Studierender die Regie für Sylvestres Stück übernehmen wird. Im Bereich Ausstattung wird zudem die Zusammenarbeit mit der Hochschule Coburg fortgesetzt.
Das Thema dieses dritten Autorenforums "In der Echokammer" zielte auf die aktuellen Auswirkungen der Social Media auf das Leben von Jugendlichen. Die beiden erwählten Stücke berührten jeweils auf unterschiedliche Weise tief, so der neue Coburger Intendant Bernhard F. Loges, und zwar ohne "Betroffenheitskitsch", ohne pädagogischen Zeigefinger und zudem so, dass Jugendliche wie Erwachsene in besondere Lebenswirklichkeit geführt würden, die zugleich allgemeingültige Reflexion biete. Die Jury, bestehend aus dem renommierten Jugendautor Kristo Sagor, Sophie Becker, stellvertretende Studiengangsleiterin Regie an der Bayerischen Theaterakademie, Rainer Möbus vom Lions Club Coburg sowie Bernhard Loges und Dramaturgin Carola von Gradulewski vom Landestheater, sei sich trotz der Vielzahl der Einsendungen dementsprechend auch sehr schnell einig gewesen.
Preisträger Olivier Sylvestre freute sich sehr, dass es sein Stück "bis nach Deutschland geschafft hat", in der Übersetzung von Sonja Finck
HintergrundMit dem Ziel, neue Stücke für ein junges Publikum zu fördern, hat das Landestheater Coburg gemeinsam mit dem Lions Club Coburg vor vier Spielzeiten das "Coburger Forum für junge Autoren" ins Leben gerufen. Zwei Uraufführungen fanden seither statt: "Klassenkämpfe" von Ruth Johanna Benrath feierte 2015 seine Uraufführung in der Reithalle, und in der vergangenen Spielzeit folgte das Stück "Jihad Baby!" des Schauspielers und Autors Daniel Ratthei, ein Stück über die Radikalisierung eines jungen Mannes, das in der Coburger Inszenierung zum renommierten Festival Kaas und Kappes eingeladen wurde. Nach diesem durchweg positiven Echo wurde der Wettbewerb in der Spielzeit 2017/2018 zum dritten Mal ausgeschrieben. Die 2016 initiierte Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding im Bereich der Regie und der Hochschule Coburg im Bereich Ausstattung wird bei der dritten Ausgabe des Autorenwettbewerbs ebenfalls fortgesetzt.
Die Sieger-Stücke in der Begründung der Jury:OLIVIER SYLVESTRE: DAS GESETZ DER SCHWERKRAFT
(La Loi de la Gravité, ins Deutsche übertragen von Sonja Finck)
Eine Brücke weist den Weg: fort aus der engen Vorderstadt auf die andere Seite des Flusses in eine utopische Stadt, die die Erfüllung aller Wünsche verheißt. Doch den Mut, die Brücke zu überschreiten, müssen Dom und Fred, zwei 14-jährige Jugendliche erst noch entwickeln, denn beide stecken in schwierigen Selbstfindungsprozessen. Dom wurde als Mädchen geboren, kleidet sich aber lieber als Junge und lehnt die gängigen Geschlechterzuschreibungen sowieso ab. Fred ist neu in der Stadt und will einfach nur ein ganz "normaler" Junge sein, der in der Schule akzeptiert wird und Freunde findet. In ihrem Selbstfindungsprozess gehen Dom und Fred gemeinsam, dann verlieren sie sich wieder, sind Diskriminierungen und Ausgrenzung ausgesetzt, um am Ende den Schritt zu wagen und gemeinsam die Brücke zu überqueren.
Mit "Das Gesetz der Schwerkraft" setzt sich Olivier Sylvestre kritisch und differenziert mit einem heteronormativ geprägten Gesellschaftsbild auseinander. Ohne plakative Zuschreibungen verhandelt er mit Humor und Einfühlungsvermögen Themen wie Freundschaft und Selbstfindung überzeugend aus der Perspektive zweier Jugendlicher. Olivier Sylvestre gelingt es, die gerade sehr aktuelle Diskussion zu Genderfragen mit einer Coming-of-Age Geschichte zu verknüpfen und dabei Themen wie Anderssein, Akzeptanz und das Infragestellen von Normen mit einer großen Selbstverständlichkeit und ohne pädagogischen Zeigefinger zu erzählen.
Olivier Sylvestre, 1982 im kanadischen Laval (Québec) geboren, Autor und Übersetzer, hat einen Bachelor in Kriminologie und machte 2011 sein Diplom im dramatischen Schreiben an der École Nationale du Théâtre. Sylvestre unterrichtet Dramatisches Schreiben für kulturelle Aktivitäten an der Universität von Montréal. Seit 2015 leitet er gemeinsam mit der Autorin Nathalie Boisvert und dem Regisseur Frédéric Sasseville-Painchaud die Compagnie de théâtre Le Dôme - créations théâtrales. "La Loi de la Gravité" wurde am 21. September 2017 von der Compagnie La Nuit te soupire uraufgeführt und im Rahmen des Festivals "Perspectives" in Deutschland vorgestellt.
MARISA WENDT: GOLDZOMBIES
"Niemand kann Angst haben die ganze Zeit", so lapidar beschreibt die sechzehnjährige Lissy das Leben in einem der Krisen- und Kriegsgebiete dieser Welt. Und so versucht sie trotz der immerwährenden Bedrohung eine gewisse Normalität aufrechtzuerhalten und das Leben einer ganz normalen Jugendlichen zu führen. Als "Lissy von der Front, live und mit Farbe, Schwämmchen und Pinsel" stellt sie auf ihrem YouTube-Channel ihre Tutorials mit Make-Up-Tipps ein und lässt ihre Follower an ihrem Leben Anteil haben. Schnell wird klar, dass ihre Lebenssituation sich trotz erster Liebe und anderen Erfahrungen, die sie mit gleichaltrigen Followern an anderen Orten der Welt teilt, doch existenziell unterscheidet.
Das fängt schon bei den Utensilien in ihrem Schminkkoffer an: Margarine, Asche und Muskatnuss kommen in Ermangelung handelsüblicher Kosmetika zum Einsatz. Im Kriegsgebiet ist Improvisation angesagt. Noch schlimmer sind Stromausfälle oder Bombendrohungen, die mitunter die Aufnahmen unterbrechen. Selbst als die Bombenabgriffe heftiger werden und Lissy immer öfter den Verlust von geliebten Menschen befürchten muss, obsiegt ihr fast schon trotziger Optimismus, sie bleibt online und überschminkt ihre Wunden, so gut es eben geht.
Der Autorin Marisa Wendt gelingt mit ihrem Monolog "Goldzombies" die völlig unsentimentale Innenschau eines Mädchens, das in einem Kriegsgebiet lebt. Ohne dass der Ort des Geschehens konkret benannt wird, drängen sich Bilder zerbombter syrischer Städte auf. Ein berührendes Stück, das in einer poetischen Sprache von Mut und Witz eines jungen Mädchens erzählt, das trotz widrigster Lebensumstände nicht aufgibt. Marisa Wendt wurde für diesen Text bereits mit dem "Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg 2018" ausgezeichnet.
Marisa Wendt, geboren 1984 in Osnabrück, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik in Leipzig. Sie war zunächst freiberuflich als Schauspielerin an verschiedenen Theatern engagiert. Eigene Regierarbeiten leistete sie ab 2013 als Regieassistentin und Regisseurin am Landestheater Schleswig-Holstein. Derzeit ist Wendt freiberuflich als Autorin und Regisseurin tätig.
TOM LEVEEN: RANDOM (Basierend auf seinem Roman "Ich hätte es wissen müssen")
Tori steht kurz vor einem Gerichtsprozess. Die 16-jährige Schülerin soll am Selbstmord eines Jungen aus ihrer Klasse mitschuldig sein. Es geht um Cyber-Mobbing. Tori selbst, die von ihren Eltern isoliert und von Reportern belagert wird, kann nicht verstehen, warum sie sich verantworten soll: Sie hat den Mitschüler schließlich nicht geschubst! Am Abend vor dem Gerichtstermin meldet sich per Telefon ein Unbekannter bei Tori. Der Anrufer heißt Andy und behauptet, die Nummer rein zufällig gewählt zu haben. Andy bittet Tori, ihm einen einzigen Grund zu nennen, warum er nicht Selbstmord begehen soll. Ausgerechnet Tori! Soll das ein kranker Scherz sein?
Tom Leveen ist Mitgründer von Chyro Arts Venue, einem Kunstraum, der darstellenden und bildenden Künstlern Auftrittsmöglichkeiten bietet. Als dortiger Leiter organisierte er Ausstellungen, Konzerte und Events und führte in mehr als 30 Stücken Regie. Inzwischen ist er hauptsächlich Schriftsteller und hat bereits fünf Jugendromane geschrieben. Leveen stammt aus Arizona.