Baby Gustav bringt Glück in Bamberg

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Grete Kahl besucht mit ihremSohn Gustav zwei Mal in der Woche das Antonistift
Grete Kahl besucht mit ihremSohn Gustav zwei Mal in der Woche das Antonistift
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Grete Kahl hat ein bundesweites Pilotprojekt bei der Sozialstiftung in Bamberg gestartet. Zusammen mit ihrem einjährigen Sohn Gustav besucht sie die Pflegeeinrichtung auf dem Michelsberg, um alten Menschen Freude zu bringen. Die Sozialpädagogin praktiziert Biografiearbeit mit einem ganz neuen Ansatz.

Kunigunda Weininger hat die Butterplätzchen schon bereitgelegt. Und bei Frau Hümmer hängt sein Foto in ihrem Zimmer. Bei den beiden alten Damen im Seniorenzent rum Antonistift war es fast Liebe auf den ersten Blick. Der Auserwählte: Gustav Kahl, ein Jahr alt.



Zusammen mit seiner Mama Grete Kahl besucht er seit April das Pflegezentrum auf dem Michelsberg. "Für jeweils zwei Stunden bringt er pure Freude und Glück ins Haus", freut sich auch die Geschäftsführerin des Seniorenzentrums, Jutta Weigand. Als einen Glücksfall im wahrsten Sinne des Wortes nennt sie das Projekt, das ihr die Sozialpädagogin und dreifache Mutter im Winter vorgestellt habe. "Ich war sofort begeistert und bin gespannt, wie es sich weiter entwickelt", erzählt Jutta Weigand. Wir sprechen mit ihr in der Retro-Ecke des Antoni-stifts. Gustav macht derweil erste Gehversuche am Rollator von Frau Grünberger.

Babys und Kleinkinder im Altenheim kennen die Bewohner höchstens von Besuchen der Angehörigen. Gustav dagegen kommt mit seiner Mama einfach so. Alle Senioren, die gern Kontakt mit einem solch kleinen Sonnenschein haben möchten, dürfen Gustav kennenlernen - auch mal das Fläschchen geben oder mit ihm spielen.
Grete Kahl hat keine Bedenken, dass es ihrem Sohn dabei nicht gut gehen könnte. "Gustav wird so viel Liebe und Glück entgegengebracht", sagt sie und betont, dass natürlich das Wohlbefinden von Gustav an erster Stelle steht. "Aber da muss ich mir keine Sorgen machen. Gustav geht es sehr gut hier!"

Frau Weininger strahlt. Die 86-jährige Bambergerin kann es kaum erwarten, dass Gustav kommt. Sie selbst hat keine Kinder. Heute darf sie ihm das Fläschchen geben. Gustav genießt es in ihren Armen. Seine Augen leuchten. Da kommt auch schon Frau Hümmer vorbei. Sie möchte Gustav und Grete Kahl ihr Zimmer zeigen. Das ist dann exklusive Zeit. Auch Zeit, um ein bisschen aus dem Leben zu erzählen.

Erinnerungen wecken
Grete Kahl hat Sozialpädagogik in Coburg studiert. "Mir ist es wichtig, die eigene Biografie der Senioren (soweit dies möglich ist) mit einfließen zu lassen. Den Senioren die Möglichkeit geben über ihr Leben als Mutter oder Vater, Oma oder Opa zu sprechen. Es soll Raum geben für die eigenen Erinnerungen", betont die 35-Jährige. Sie möchte Gespräche führen über die Erziehung und den Alltag von damals.

Frau Kahl, wie und wann kamen Sie auf die Idee?
Grete Kahl: "Die letzten drei Jahre habe ich mit meiner Familie in Shanghai, China, gelebt. Dort erlebte ich, wie alte Menschen bis zu ihrem Ableben fester Bestandteil der Gesellschaft sind. Sie werden als Reichtum angesehen, obwohl sie keine Leistungsträger mehr sind. Alte Menschen haben genug geleistet, es gibt keine Erwartungen an sie. Mein Anliegen ist es, diese Einstellung in meiner Heimat zu verbreiten.

Welche Wirkung haben Babys auf Senioren? Beschreiben Sie Ihre ersten Erfahrungen mit Gustav.
Als Mutter bin ich in der glücklichen Lage jeden Tag das Glück zu fühlen, welches mir mein Sohn durch seine bloße Anwesenheit schenkt. Das wollte ich gerne teilen.
Babys nehmen andere Menschen ohne Vorurteile an. Gehen davon aus, dass es ihr Gegenüber gut mit ihnen meint. Das Gesicht eines Babys bringt uns zum Lächeln. Babys strahlen eine Hilflosigkeit aus, die anspricht und uns zum Helfen animiert.
An diesem Punkt möchte ich die Brücke zwischen Baby und altem Menschen schlagen. Ich sehe in diesen Lebensphasen viele Parallelen: Alte Menschen sind auch auf die Hilfe von anderen angewiesen. Sie verlernen Fertigkeiten, die für uns selbstverständlich sind (selbstständiges Essen, das Fortbewegen, die tägliche Pflege).
Im Zusammenhang mit Senioren wird diese Art von Verlust in der Gesellschaft fälschlicherweise als Schwäche angesehen. Beim Baby wird die Empathie geweckt, beim alten Menschen kommt es hingegen oft zu ablehnenden Reaktionen.

Wo aber liegt der Unterschied?
Keinesfalls möchte ich ein Baby mit einem alten Menschen vergleichen. Der große Unterschied zeigt sich für mich darin, dass alte Menschen den Schatz ihres Lebens bereits sich tragen. Sie verdienen den Respekt der Gesellschaft, unabhängig von ihrer psychischen und physischen Verfassung. Mit meinem Projekt möchte ich auf den Kreislauf des Lebens aufmerksam machen.
Coburg - Schanghai - Bamberg