Antigone: Welches Recht ist das wahre?

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Aus den Proben: Antigone (Anne Rieckhof ) wird von dem Wächter (Thorsten Köhler) davon abgehalten, ihren toten Bruder zu begraben. Foto: Henning Rosenbusch
Aus den Proben: Antigone (Anne Rieckhof ) wird von dem Wächter (Thorsten Köhler) davon abgehalten, ihren toten Bruder zu begraben. Foto: Henning Rosenbusch

Das Landestheater Coburg geht zu den alten Griechen. Euripides "Antigone" kommt in einer Fassung von Konstanze Lauterbach auf die Bühne des Großen Hauses.

Aischylos, Sophokles, Euripides. Die Texte der griechischen Dramatiker sind ein Schatz für die Menschheit, ein großes Geschenk, denn sie gewähren uns Einblick in eine zentrale Stufe der mentalen Menschheitsgeschichte, auf der unsere heutige (westliche) Kultur basiert, ein zentraler Teil unserer Vorstellungen von Moral, von der Beziehung des Menschen zum Übergeordneten und von da abgeleitet, die faktische Organisation der Gesellschaft.
Weil diese Texte nicht nur archäologische Relikte sind, sondern sprachlich überdauernde Kunstwerke, bietet das antike Theater grandiose Vorlagen auch für das heutige Theater. Aber die Stücke bedürfen der Übertragung. Das Landestheater Coburg wagt sich nach langer Zeit wieder einmal an eine griechische Tragödie; am Samstag nächster Woche hat die "Antigone" von Sophokles Premiere auf der großen Bühne. Die Übertragung der antiken Konstellationen, Vorstellungen und Sprache in heutige Verständlichkeit und Relevanz obliegt Konstanze Lauterbach, die in Coburg bereits Horváths Komödie "Zur schönen Aussicht", Tschaikowskys "Eugen Onegin" und Bellinis "Norma" inszeniert hat.
Übersetzung ins Heutige soll aber nicht platte Aktualisierung sein, verspricht Schauspieldramaturgin Carola von Gradulewski. Aus der "Antigone" wurden ja schon schreiende Mordsrevolutionen, was der wahren Wucht der Gedanken, der Verhandlung elementarer Prinzipien meist eher nicht gerecht wurde.
Antigone ist keine auf Massenanimation ausgerichtete Revolutionärin. Sie steht unter dem alten Moralgesetz der Götter, das sie individuell und persönlich verpflichtet, ihren toten Bruder Polyneikes zu beerdigen. Der neue König von Theben, Kreon, der die archaische Gesellschaft durchaus auch befrei en will, indem er dem Staatsrecht Vorrang vor dem schnell zu Zwist und Krieg führenden, früheren Familienrecht einräumt, hatte aber verboten, Thebens Angreifer zu beerdigen. Er verwehrt ihm im alten Glauben den Einzug ins Totenreich und damit ein elementares menschliches Recht. Antigone widersetzt sich, wird lebendig eingemauert, was eine Folge von Selbstmorden zur Folge hat.
Als Kreon zur Einsicht kommt, dass er sein "Recht" in Maßlosigkeit überzogen und das Gesetz der Götter herausgefordert hat, und Polyneikes selbst begräbt, kann er das Entsetzen, den Tod seines eigenen Sohnes Haimon und seiner Frau Eurydike, nicht mehr aufhalten.


Besonnenheit als Ideal

Die Mahnung des Chores an ein neues Ideal der Besonnenheit steht als politisch-gesellschaftliche Botschaft am Ende der Tragödie. "Besonnenheit" kann mit Kompromissbereitschaft, Toleranz, Kommunikation übersetzt werden, ohne die friedliches Zusammenleben nicht möglich ist.
Menschheitsgeschichtlich ist an den griechischen Tragödien der zivilisatorische Schritt von der Bindung an archaische Mythen hin zur Etablierung des modernen Staatswesens mit Gewaltmonopol abzulesen. In ihm wird von Menschen geschaffenes Recht, womöglich sogar demokratisch hervorgebracht, über kleinteiligere Organisation und Verpflichtung im Sippenverband gesetzt.
Die Coburger Produktion soll diese Auseinandersetzung im abstrahierten, freieren Raum darstellen. "Die Bezüge zur aktuellen politischen Lage, zu den heutigen Gefährdungen stellen sich von alleine ein", umreißt Gradulewski den Inszenierungsrahmen.
Es war eine bis heute Ehrfurcht gebietende "politische Kunst", die in der griechischen Tragödie ausgeformt und dann auch lange ausgeübt wurde, wie es der Althistoriker Christian Meier sehr anschaulich beschrieben hat. In einer Entwicklung über tausend Jahre hinweg wurde aus kultischen Formen die geistige Grundlage der attischen Demokratie geschaffen. Alljährlich zelebriert in großen kultischen Festen, deren Besuch demokratisches Recht und religiös-moralische Verpflichtung war, vergewisserten sich die Bürger in den Tragödien ihrer eigenen, noch neuen Gesellschaftsform, noch stark in Rückbindung an die Mythen. Sie demonstrierten dabei die Macht der Polis-Gesellschaft. Höhepunkt war wohl das fünfte vorchristliche Jahrhundert, Sophokles "Antigone" wird auf 442 v. Chr. datiert.
Den Griechen waren der mythische Rahmen und die Vorgeschichte als ständig gegenwärtiges, religiöses Bewusstsein präsent, weshalb die Tragödie mitten im Konflikt einsetzen konnte. Da uns heute dieses Wissen fehlt, hat Regisseurin Konstanze Lauterbach ihrer "Antigone" einen ersten Teil vorgeschoben.


Eine Vorgeschichte

Vor der Pause wird mit Texten aus Euripides "Die Phönizierinnen", die auf dem letzten Teil der Ödipus-Trilogie von Aischylos "Sieben gegen Theben" beruhen, die Vorgeschichte vergegenwärtigt, die ungeheuerliche Abfolge von menschlichen Verstrickungen, unabsichtlicher wie absichtsvoller Vergehen, von Ödipus, der seine Mutter Iokaste heiratet und mit ihr vier Kinder in die Welt bringt. Seine Söhne Eteokles und Polyneikes wollen Theben abwechselnd regieren, was Eteokles dann verweigert. So zieht Polyneikes mit Verbündeten vor die Mauern Thebens, um sein Recht einzufordern. Beide Brüder sterben im Kampf, ihr Onkel Kreon wird König und erklärt den Angreifer Polyneikes zum Staatsfeind. Antigone aber weiß, dass sie zuerst dem verpflichtet ist "was bei den Göttern Ehre hat".

gone. Tragödie nach Sophokles. Fassung für das Landestheater Coburg von Konstanze Lauterbach mit Motiven aus "Die Phönizierinnen". Inszenierung und Kostüme Konstanze Lauterbach, Bühnenbild Ariane Salzbrunn, Bühnenmusik Achim Gieseler, Dramaturgie Carola von Gradulewski

DarstellerAntigone Anne Rieckhof (Antigone), Sarah Zaharanski (Ismene), Nils Liebscher (Kreon), Oliver Baesler (Haimon), Frederik Leberle (Eteokles), Thorsten Köhler (Polyneikes), Dorothea Arnold (Iokaste/Eurydike/Teiresias), Jörg Zirnstein, Niklaus Scheibli. Thomas Straus (Chor).

Premiere Samstag, 14. Januar, 19.30 Uhr im Großen Haus.

Die Regisseurin Konstanze Lauterbach, geboren 1954 in Ronneburg, absolvierte eine Ausbildung als Textilfacharbeiterin, wirkte dann als Requisiteurin in Gera. 1976 bis 1981 studierte sie an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Germanistik und Literaturwissenschaften. In diese Zeit fallen ihre ersten Regiearbeiten. 1987 bis 1990 war sie Regisseurin am Thüringer Landestheater Rudolstadt, 1991 bis 2000 am Schauspiel Leipzig mit Verpflichtungen in Bremen, München und Wien, von 2001 bis 2003 am Deutschen Theater Berlin. "Theater heute" wählte sie 1993 zur Nachwuchsregisseurin des Jahres. 1996 erhielt sie den Deutschen Kritikerpreis. wp