NSU: Schützenhilfe aus Franken

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Besuch aus Thüringen in Franken: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (im markierten Kasten von rechts) 1996 bei einer Neonazi-Demo in Aschaffenburg Foto: p
Besuch aus Thüringen in Franken: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos  (im markierten Kasten von rechts)  1996 bei einer Neonazi-Demo in Aschaffenburg Foto: p
Bodo Ramelow
Bodo Ramelow
 

Das Mördertrio aus Thüringen agierte nicht alleine. Der "Nationalsozialistische Untergrund" verfügte über ein Netzwerk von Helfern auch zwischen Aschaffenburg und Hof. Die Behörden waren ahnungslos.

Nicht nur in Thüringen haben die Behörden über Jahre die rechte Szene und ihre Bereitschaft zur Gewalt unterschätzt. Der braune Sumpf waberte weit über
die Landesgrenzen.

Franken war offenbar mehr als nur ein zufälliger Schauplatz der Neonazi-Mordserie zwischen 2000 und 2006. Ein Jahr nach dem Selbstmord der beiden Haupttäter, der den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) auffliegen ließ, wird immer deutlicher, dass das rechte Netzwerk nicht nur in Thüringen gesponnen wurde. In Franken hatten die Mörder min- destens Sympathisanten, viel wahrscheinlicher aber sogar aktive Helfershelfer.

Für Bodo Ramelow, den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Thüringer Landtag, gibt es ein Jahr nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie der Festnahme von Beate Zschäpe "nicht weniger offene Fragen als 2011, eher mehr". Die "dubiose Rolle" der Ermittlungsbehörden konnte laut Ramelow in den bisherigen Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses in Erfurt "nicht einmal andeutungsweise durchleuchtet" werden. Mindestens zwei V-Leute (verdeckte Ermittler) hatte der Verfassungsschutz in Thüringen in das rechte Netzwerk eingeschleust - trotzdem konnte das Mördertrio untertauchen und sechs Jahre lang eine blutige Spur durch Deutschland ziehen.

Dass die Serie in Nürnberg begann, ist für Ramelow kein Zufall, und auch dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags dämmert es, dass der NSU-Terror kein "Thüringer Problem" war, wie es nach den ersten Sitzungen hieß. Der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD) kritisiert, dass sich auch die bayerischen Behörden zur Rolle möglicher V-Männer in der rechten Szene bedeckt halten. Mindestens einen verdeckten Ermittler hatte der bayerische Verfassungsschutz im NSU-Umfeld installiert, Kai D. aus dem Landkreis Kronach. Was der verdeckt ermittelte, was er den Behörden weitergab und inwieweit er selbst im rechten Milieu aktiv war wie sein "Kollege" in Thüringen, Tino B., sind nur einige der vielen Fragen, die bei der nächsten Sitzung des NSU-Ausschusses in München am 13. November auf den Tisch kommen.

Sollte der Ausschuss sich daran machen, das gesamte rechte Netzwerk rund um den NSU aufzudröseln, haben Schindler und Co. eine gewaltige Aufgabe vor sich. "NSU ist kein Problem in Thüringen. Wir haben eine dicht vernetzte rechte Szene in Thüringen, Sachsen und Bayern, vor allem im nördlichen Franken", sagt Ramelow. Seine Fraktionskollegin Martina Renner sitzt im NSU-Ausschuss in Erfurt, und dadurch hat auch Ramelow tiefe Einblicke in den braunen Sumpf gewonnen, in dem die Ermittler offenbar nie richtig Tritt fassen konnten.

Ramelow bestätigt die Ergebnisse von Recherchen dieser Zeitung: Über Jahrzehnte hat es enge Kontakte zwischen Neonazis in Franken und in Thüringen gegeben. In antifaschistischen Netzwerken wie "Aida" in München (vom bayerischen Verfassungsschutz lange Zeit als linksradikal eingestuft und beobachtet) kursieren Fotos, die Mundlos und Böhnhardt 1996 bei einer rechten Demo in Aschaffenburg zeigen.

"Das war kein Einzelfall", sagt Schindler, während das Innenministerium in München diesen Fotos keine große Beweiskraft zumisst. Sie seien kein Beleg für enge persönliche Kontakte zwischen den späteren NSU-Mördern und der Neonazi-Szene in Franken.


Perfekt getarnt im Internet

Bei jedem Treffen wurden sie freilich auch nicht fotografiert. "Es gab zahlreiche Besuche von fränkischen Neonazis in Thüringen und umgekehrt", sagt Schindler. Rockkonzerte und als private Feiern getarnte Treffen füllen ganze Aktenordner bei Polizei und Staatsschutz.

Dabei entdeckte die rechte Szene das vermeintlich transparente Internet als perfekte Tarnung. "Nicht hinter jedem Aktionsbündnis Sowieso steckt tatsächlich eine ganze Organisation. Oft ist das nur ein Spinner am Computer", sagte der Leiter der Staatsschutzabteilung bei der Kriminalpolizei in Schweinfurt, Klaus Eckelmann, 2011 unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU unserer Zeitung.

Tatsächlich gab und gibt es ein undurchsichtiges Geflecht von rechtsradikalen Seiten im Netz. Kaum wurden Plattformen wie "Blood and honour" verboten, zog die Szene im Netz weiter. "Heimatschutz" in Thüringen und Franken, "Hilfskomitee südliches Afrika" ... Unter Suchbegriffen wie diesen findet man mehrere dutzend Namen fränkischer Neonazis und Spuren aus und nach Thüringen. Was die Ermittler bis heute nicht davon abhält, die fränkische Nazi-Szene als eher überschaubar und harmlos einzustufen.

Inzwischen glaubt niemand mehr, dass die Mörder aus Thüringen zufällig nach Nürnberg gefahren sind. Gleich dreimal. Schießübungen machten sie unter anderem in Kahla in Südthüringen auf einem Grundstück, das der Coburger Peter D. gekauft hatte. Kai D., der bayerische V-Mann, war ein Pionier beim Aufbau der rechten Strukturen im Internet ...

Das alles war den Behörden schon Ende der 90er Jahre bekannt. Der Schwerpunkt der Ermittlungen der Sonderkommission "Bosporus" nach den Morden in Nürnberg ab 2005 lag aber nicht in Thüringen, sondern in der Türkei. "Wir waren angewiesen, ergebnisoffen zu ermitteln", sagt ein Informant aus dem Umfeld der Polizei. "Aber jeder Beamte wusste, welche Ergebnisse gar nicht gern gesehen wurden." Die Soko beendete ihre Arbeit 2008. Ergebnislos.