Fall Peggy: Freispruch für Ulvi Kulac

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Ulvi Kulac sitzt am Mittwoch vor Beginn des Prozesstages im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bayreuth. Im erneuten Mordprozess um die seit 13 Jahren spurlos verschwundene Peggy wurde der geistig Behinderte Ulvi Kulac vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Foto: David Ebener/dpa
Ulvi Kulac sitzt am Mittwoch vor Beginn des Prozesstages im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bayreuth. Im erneuten Mordprozess um die seit 13 Jahren spurlos verschwundene Peggy wurde der geistig Behinderte Ulvi Kulac vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Foto: David Ebener/dpa
Ulvi Kulac (rechts) sitzt neben seinem Anwalt Michael Euler. Foto: David Ebener/dpa
Ulvi Kulac (rechts) sitzt neben seinem Anwalt Michael Euler. Foto: David Ebener/dpa
 

Das Urteil im Peggy-Prozess war absehbar. Nicht nur der Verteidiger, sondern auch der Ankläger hatten einen Freispruch verlangt. Denn es gibt keinen Beweis, dass Ulvi Kulac das neunjährige Mädchen ermordet hat. Doch wer war es dann?

Der geistig Behinderte Ulvi Kulac ist im neuen Mordprozess um die seit 13 Jahren verschwundene Peggy freigesprochen worden. Das Landgericht Bayreuth hob am Mittwoch die frühere Verurteilung des 36-Jährigen wegen Mordes an dem Mädchen auf. "Er ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen; ein Tatnachweis ist nicht möglich", sagte der Vorsitzende Richter Michael Eckstein. "Natürlich wäre es sehr schön gewesen, wenn wir neue Erkenntnisse erhalten hätten."

Zahlreiche Zuschauer reagieren mit Applaus

Das Gericht folgte damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Zahlreiche Zuschauer im Gerichtssaal reagierten mit Applaus.

Peggy wird seit dem 7. Mai 2001 vermisst. Zwei Jahre später wurde Ulvi Kulac zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Landgericht Hof sah es damals als erwiesen an, dass der Gastwirtssohn die neun Jahre alte Schülerin im oberfränkischen Lichtenberg tötete, um einen sexuellen Missbrauch zu vertuschen. Eine Leiche wurde allerdings nie gefunden.

Im Dezember 2013 ordnete das Landgericht Bayreuth die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Denn ein Belastungszeuge hatte eingeräumt, falsch ausgesagt zu haben. Beim damaligen Prozess war außerdem nicht bekannt, dass die vermutete Tatversion der Ermittler dem Geständnis von Ulvi Kulac ähnlich war. Der Verdacht lag nahe, dass der Angeklagte nur eine ihm vorgegebene Version wiedergegeben hat. Er widerrief später seine Angaben.

"Das Geständnis mit Divergenzen und Ungereimtheiten kann keine Grundlage für eine Verurteilung sein", sagte Richter Eckstein. "Hinzu kommt noch, dass dieses Geständnis mit keinem einzigen Sachbeweis zu belegen ist." Ulvi Kulac habe sein Geständnis in unterschiedlichen Versionen mit zum Teil lebensfremden Schilderungen abgegeben: Dass Peggy auch nach ihrem angeblichen Sturz mit dem Schulranzen weitergelaufen sein soll, "ist für uns schwer nachvollziehbar".

Möglicherweise Parallel-Erlebnisse in Geständnisse eingebaut

Der Angeklagte habe möglicherweise Parallel-Erlebnisse in seine Geständnisse eingebaut, sagte Eckstein. Bei seiner psychiatrischen Untersuchung sei seine hohe Fantasiebegabung aufgefallen. "Er war imstande, detailreiche Geschichten zu vorgelegten Bildern zu entwickeln. Und dies sogar an Folgetagen zu wiederholen", sagte Eckstein.

Seit Sommer 2012 wird in dem Fall neu ermittelt. Eine Spur brachte die Polizei auf einen Mann aus Halle in Sachsen-Anhalt. Der ehemalige Bekannte von Peggys Familie sitzt derzeit wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter in Haft. Er habe eingeräumt, sich auch an seiner Nichte mehrmals vergangen zu haben, gab ein Polizeibeamter an. Auffällig daran ist, dass die Nichte im gleichen Haus wie Peggy wohnte und der Missbrauch wenige Wochen vor Peggys Verschwinden stattfand. In der Haftzelle des Mannes fanden Polizisten ein Foto von Peggy.
Zum Kreis der Tatverdächtigen zählen außerdem der Halbbruder des Mannes und ein Lichtenberger, der bereits wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt wurde.




Chronologie im Fall Peggy

Der spektakuläre Fall Peggy beschäftigt seit Jahren Ermittler und Öffentlichkeit. Eine Chronik der Ereignisse:
07. Mai 2001: Die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg wird letztmalig auf dem Heimweg von der Schule gesehen. Ihre alleinerziehende Mutter gibt noch am Abend eine Vermisstenanzeige auf. Wochenlange Suchaktionen - unter anderem mit Tornados der Bundeswehr - bleiben ohne Erfolg.

August 2001: Der geistig behinderte Gastwirtssohn Ulvi Kulac wird festgenommen. Er gesteht, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.

22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-jährigen Gastwirtsohn als mutmaßlichen Mörder der spurlos verschwundenen Schülerin.

28. Februar 2003: Die Staatsanwaltschaft Hof erhebt Anklage wegen Mordes.

07. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess. Nach fünf Verhandlungstagen platzt er wegen einer fehlerhaften Besetzung der Strafkammer.

11. November 2003: Das Verfahren beginnt erneut.

30. April 2004: Ulvi Kulac wird wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt.

17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge hat seine Aussage widerrufen und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.

04. April 2013: Der Anwalt Michael Euler beantragt beim Landgericht Bayreuth die Wiederaufnahme des Falls.

22. April 2013: Die Polizei sucht wieder nach Peggys Leiche. Hinweise führen die Ermittler zu einem Anwesen mitten in Lichtenberg. Knochen in einer Sickergrube stammen aber nicht von Peggy.

21. November 2013: Ein Mann aus Halle in Sachsen-Anhalt ist ins Visier der Ermittler geraten. Er war ein enger Freund von Peggys Familie und gilt für die Staatsanwaltschaft mittlerweile als Tatverdächtiger. Sein Elternhaus wird durchsucht.

09. Dezember 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ulvi Kulac an.

08. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab. Sie vermuten, dass bei einer Beerdigung im Mai 2001 Peggys Leiche dort abgelegt worden sein könnte. Doch es gibt keine Hinweise auf die sterblichen Überreste eines Kindes in dem Grab.

02. April 2014: Der im Fall Peggy zuständige Staatsanwalt wird auf eigenen Wunsch ausgewechselt. Er hatte einem neuen Verdächtigen bei einer Vernehmung den Anwalt verweigert.

10. April 2014: Prozessauftakt im Wiederaufnahmeverfahren gegen Ulvi Kulac vor dem Landgericht Bayreuth.

07. Mai 2014: Das Landgericht Bayreuth beendet die Beweisaufnahme aus Mangel an Beweisen nach nur sechs Verhandlungstagen vorzeitig.

14. Mai 2014: Ulvi Kulac wird freigesprochen.