Als Helmut Maier am Münchner Flughafen der ersten Begegnung mit Margarita entgegenfiebert, ahnt der Senior nicht, wie weit entfernt er vom Liebesglück ist.
Ein Ordner voller Liebesbriefe, Liebesbekundungen, die schwarz auf weiß festgehalten wurden - wer kann das heutzutage noch vorzeigen? Helmut Maier kann. Zwar wurden alle Botschaften virtuell verfasst, der Senior hat aber jede Nachricht vom Herbst vergangenen Jahres ausgedruckt.
Helmut Maier heißt weder im Single-Chatroom noch im wahren Leben wirklich so. Mit diesem Pseudonym soll er aber geschützt werden - vor Gerede, vor weiteren Betrügern, ein Stück weit vor sich selbst. Denn: Mittlerweile ist es ein Ordner, der beweist, wie Partnerbörsen-Betrüger einsame Herzen auseinander nehmen - vor allem ausnehmen.
Muss doch eigentlich eine eindeutige Sache sein, durchschaubar der Betrug, berechenbar die vermeintlichen Absender ... das mag sich jetzt vielleicht der eine oder andere denken und voreilig zu dem Schluss kommen: Darauf würde ich niemals reinfallen.
Das denkt sich Maier immer noch. Aber nicht, weil er denkt, dass er es besser weiß als andere. Vielmehr ist es die Überzeugung: So etwas Gemeines macht doch keiner. Maier lebt in einer kleinen Stadt in Oberfranken. In einem Haus, das der 84-Jährige sich gemeinsam mit seiner Ehefrau aufgebaut hat. Über 50 Jahre war er verheiratet, "glücklich, das kann man sagen". Seit ihrem Tod vor beinahe zehn Jahren verbringt er viel Zeit alleine. "Ich habe mich ja nur mit dem Fernseher unterhalten können", sagt er. Der Rentner ist einsam. Ein Gefühl, das in entscheidenden Augenblicken stärker ist als die Vernunft.
Schulden für die Liebe
"Die Art und Weise, wie sie mit mir die Beziehung aufgebaut hat...", er stutzt, faltet die Hände, lässt sie wieder auf seinen Schoß fallen. Es huscht ein Funken Einsicht über sein Gesicht, dann blitzen seine Augen plötzlich traurig auf, enttäuscht. Eigentlich weiß er, dass da etwas nicht stimmen kann... Doch dieser Gedanke, die Einsicht, verfliegt wieder. Er weiß doch so viel von ihr: Welche Sprachen sie spricht, dass sie sieben Jahre verheiratet war, 1,66 Meter groß und 53 Kilogramm schwer ist und in einem Krankenhaus - einer Art Suchtabteilung - arbeitet. Und sie weiß:
"Ich bin kein Sexprotz und suche keine Frau fürs Bett, sondern für ein harmonisches Miteinander." Er ist älter, deutlich. 39 Jahre und rund 2100 Kilometer trennen sie.
"Guten Tag mein Lieblings Helmut!!!!! Ich möchte wirklich mit Ihnen zu sein, ich will für immer mit dir sein. Ich möchte deine Frau zu sein." Diese E-Mail erreicht Maier am 13. Oktober um 11.49 Uhr. Wenige Zeilen später folgen konkrete Forderungen. Schon wieder. Bereits am 5. Oktober hat Maier 500 Euro nach Russland überwiesen - Adresse Meer 14, Wohnung 32 in Vyborg. Eine Adresse, wie er wenig später erfahren wird, an die man keine Post schicken kann. Doch diesen alarmierenden Hinweis hat er missachtet - will es sogar missachten.
Rita braucht Geld für ein Visum, für Reisekosten, für einen Vertrag... egal, 500 Euro dafür, dass der Senior bald nicht mehr alleine leben muss - für einen echten Kuss, eine echte Umarmung. Doch das reicht noch nicht. Am 13. Oktober fehlen für ein Treffen noch weitere 5130 Euro. Sie werde das Geld sofort zurück überweisen, die Behörden müssten nur sehen, dass sie das Geld auf ihrem Konto gehabt habe. Maier glaubt ihr. Will helfen. Weiß aber auch, dass er eigentlich das Geld selbst nicht hat.
Am 14. Oktober überzieht der Senior sein Konto. Ein Mitarbeiter seiner Bank hilft ihm zum zweiten Mal dabei, den Auslands-Überweisungsträger mit dem Verwendungszweck "Reisekosten" auszufüllen. Aufgehalten wird er nicht. Das ist auch nicht die Pflicht eines Bankmitarbeiters, aber: "Alle Mitarbeiter werden regelmäßig geschult, wie sie Betrug im Zusammenhang mit Überweisungen oder Schecks erkennen können", erklärt der Bamberger Filialdirektor der Commerzbank, Manuel Durlak stellvertretend für solche Szenarien. "Die Mitarbeiter in den Filialen achten verstärkt auf ältere Menschen, die unangekündigt größere Geldbeträge abheben wollen und suchen in diesen Fällen das Gespräch mit dem Kunden."
Aber so ist das eben nicht immer. Nicht jeder erkennt den möglichen Betrug. Nicht jeder traut sich, den Verdacht anzusprechen. Anne Höfer, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Oberfranken, weiß aber, dass in dem einen oder anderen Fall so das Opfer in letzter Sekunde noch vor dem finanziellen Schaden geschützt werden konnte. Höfer spricht bei dieser Masche vom "Geschäft mit den Gefühlen".
Ob Heiratsschwindler, Enkeltrick oder betrügerische Zeitungsanzeige - die Masche der vorgegaukelten Gefühle an sich sei nicht neu. Doch "für Betrüger ist es leichter geworden, sich eine Scheinidentität aufzubauen". Belastbare Zahlen kann und will Höfer nicht nennen - sie spricht von "vereinzelten Fällen" und einer nicht schätzbaren Dunkelziffer. In Schweinfurt ist zum Beispiel 2016 eine Frau um 325 000 Euro betrogen worden. Wie die Polizei mitteilte, hatte der Täter die 44-Jährige auf Facebook kennengelernt und ihr Gefühle vorgespielt. Er gab sich als amerikanischer Ingenieur aus, dessen Sohn in England schwer erkrankt sei. Sie überwies insgesamt zwölfmal Geld für vermeintliche Krankenhausrechnungen nach England, bis sie sich bei der Polizei meldete.
Helmut Maier ist mit seinem Fall noch nicht zur Polizei gegangen. Er hofft noch. Aber er weiß: "Ich kann nicht beweisen, dass Rita anders ist." Anders - und vor allem nicht erfunden, die Bilder nicht geklaut, die Lebensgeschichte einer Frau nur ausgedacht, sein Geld nicht verloren. "Die Geschichten sind schlüssig", sagt Höfer und legt sich fest: "Es ist keiner davor gefeit." Maier hat es besonders erwischt, weniger finanziell, sondern vor allem emotional.
Geschichte ist schlüssig
"Mit ihnen verstehe ich, was Liebe ist (...)" Am 21. Oktober fährt Maier aufgeregt zum Flughafen nach München. Der in der Mail ausführlich angekündigte Flug 2565 ist "überpünktlich in München gelandet", bestätigt Edgar Engert vom Flughafen München. Sowohl die Zeiten als auch die Nummern entsprechen der Realität. Nur eine Margarita ist nie ausgestiegen.
Dafür wartet einige Tage später eine Nachricht in seinem Posteingang. Nicht mehr von Rita, sondern von einer Aziza - einer Freundin. Denn: Rita sitzt im Gefängnis. Geld, viel mehr Geld sei jetzt von Nöten, um sie nicht nur zu sehen, sondern ihr ihre Freiheit, ihr Leben, zu schenken. Denn:
"Es ist wirklich wahrscheinlich, im Gefängnis zu sterben." Überweisen kann der Senior den Betrag nicht:
"Ich bin finanziell am Ende."
Eine Betrugsmasche statt der großen Liebe
Nigeria-Connection ist für das Landeskriminalamt ein Symnoym für Betrügereien. Meist handelt es sich um Vorauszahlungsbetrug. Die Nigeria-Connection verschickt seit 1988 Jahre Briefe, Faxe oder E-Mails, in denen der Empfänger aufgefordert wird, beim Transfer von Millionenbeträgen behilflich zu sein. Als Belohnung werden hohe Summen in Aussicht gestellt. Dabei werden teils dramatische Geschichten geschildert, warum das Geld benötigt wird.
Romance Scamming - so nennt die Polizei die neue Betrugsmasche, wenn Opfer über soziale Netzwerke oder Online-Partnerbörsen herausgesucht werden. " Um sich beim potenziellen Opfer interessant zu machen, legen sich die Scammer ungewöhnliche Lebensgeschichten zu - und sie hinterlassen immer einen seriösen Eindruck", erklärt die Polizei. Tipps der Polizei gibt es
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