Josef Eberhardt (rechts) mit seiner Familie bei einem Besuch auf dem Friedhof seines Geburtsortes: Rudolfsgnad Fotos: pr
Ein donauschwäbischer Flüchtlingstreck im Jahr 1944 aus der Gemeinde Sarwasch im Nordosten des heutigen Kroatien auf dem Weg in den Westen. Foto: Donauschwäbisches Zentralmuseum/Bestand Gassenheimer
Eine Aufnahme vom 16-jährigen Josef Eberhardt Foto: pr
1946 kam Josef Eberhardt nach Franken - als Donauschwabe, der aus seiner Heimat geflüchtet war. Er erzählte uns seine Geschichte.
Es ist Weihnachten - und es sind die Tage zwischen den Jahren, die viele Menschen an die Zukunft, aber auch Vergangenes denken lassen. Das ist bei Josef Eberhardt nicht anders, der sich gerade auch angesichts der Flüchtlingskrise an die Zeit zurückerinnert, in der er mit seiner Mutter nach Franken kam - vor 70 Jahren: "Ich selbst war damals ein Flüchtling - aus dem Banat. Und hatte meine Heimat verloren."
Flucht vor der Roten Armee
Aus Rudolfsgnad, einem heute in Serbien liegenden Ort, stammt der Wahlfranke. Als im Oktober 1944 die Flucht der Donauschwaben vor der heranrückenden Roten Armee und den serbischen Partisanen begann, verließen auch in Rudolfsgnad rund 1000 Menschen Haus und Hof, ihre Kirche, die Schule, Felder und Gärten. Sie packten ihr Hab und Gut in wenige Koffer, die auf Pferdewagen gestapelt wurden. "Wer blieb, landete in einem Großlager von bis zu 11 000 ,Volksdeutschen', von denen viele durch Seuchen und Misshandlung starben", berichtet Josef Eberhardt.
Himmel voller Ballons
Der heute in Hallstadt lebende Wahlfranke hatte mit seiner Mutter, die als Küchenkraft bei der Wehrmacht arbeitete, Rudolfsgnad zuvor schon verlassen. Von Belgrad aus reisten beide in einem Güterwaggon, wo die Menschen auf dünnem Stroh lagen, Richtung Wien. "Und ich weiß noch, wie ich in Budapest am Himmel all die Fesselballons sah, die Angriffe von Tieffliegern verhindern sollten".
Hunger
Hunger, das war das alles bestimmende Gefühl in den kommenden Monaten. "Meine Mutter arbeitete nach unserer Ankunft in Wien bei der Volksdeutschen Mittelstelle, während man mich in einem Heim für Jugendliche unterbrachte." Mini-Äpfel von einem Baum im Hof, zwei Scheiben Wurst, die ein mitfühlender Metzger dem Flüchtlingsjungen in die Hand drückte - waren für den 15-Jährigen in diesen Tagen Köstlichkeiten. "Als ich kurzfristig die Schule besuchen durfte, ging's ans Ausheben von Schützengräben."
Etliche Banater Flüchtlings-Trecks sah Eberhardt in diesen Tagen. Elendszüge. "Inzwischen kamen Kolonnen von Bauernfamilien mit Planwagen. Einen Monat lang waren die Menschen schon bei Regen und Kälte unterwegs."
Ein Gewehr in die Hand
Wenig später machte man den Flüchtlingsjungen und etliche andere Schüler in seinem Alter zu Kindersoldaten, Hitlers Kindersoldaten. "Erst verpasste man uns die Reichsarbeitsdienst-Uniform, dann bekamen wir alte Gewehre aus dem Ersten Weltkrieg in die Hand", sagt der heute 87-jährige pensionierte Volksschullehrer. "Ich weiß noch, wie wir von Budweis aus der Front entgegen zogen, nachts, im Schutz der Dunkelheit." Was glücklicherweise nur dazu führte, dass die Jugendlichen bei Rosenheim in amerikanische Gefangenschaft gerieten. "Angst hatten wir nicht, hofften eher, mal wieder was in den Magen zu bekommen."
Monatelange Suche
Einige Wochen und einige Lager später kam der Entlassungsschein "mit der Angabe unserer Berufe: Pupils/Schüler". Wohin aber, nachdem es kein Zurück mehr in die alte Heimat gab? "Mit einem Kameraden marschierte ich Richtung Salzburg, wo sich ein ,Lager für Menschen aus Jugoslawien befand - auch uns ,Volksdeutsche'." Wieder Hungern und Betteln. Ja, auch zu betteln hatte der Donauschwabe gelernt. Tatsächlich aber sollte Eberhardt in Salzburg seine Mutter wiedersehen. "Sie hatte über Monate nach mir gesucht und nahm mich nun mit nach Bruckberg bei Ansbach, wohin man viele Flüchtlinge transportiert hatte."
Im Tanzsaal untergebracht
So landete Josef Eberhardt vor 70 Jahren in Franken. In Bruckberg hatte man die Banater Flüchtlinge in den Tanzsälen dreier Gasthäuser untergebracht. "Hier schliefen anfangs alle auf Strohsäcken. Später gab es Betten, die man sich zu zweit teilen musste." Etwa 20 Stockbetten befanden sich in dem Saal, in dem der Flüchtlingsjunge und seine Mutter schliefen. "Dazu gab's eine Kochstelle für all die Menschen - und dementsprechend viele Streitereien."
Bomben räumen
Zum Bombenräumen setzte man die Flüchtlinge bald nach ihrer Ankunft ein. Ab ging's zum Arbeitseinsatz in der "Muna" Neuendettelsau. ",Wer sich weigert, steht mit einem Bein im Zuchthaus', hieß es. Wir nannten uns spöttisch das ,Himmelfahrts-Kommando." Einmal sei beim Beladen eines Lasters eine scharfe Bombe zu Boden gekracht. "Wir standen sekundenlang wie angewurzelt, bevor wir wegrennen konnten." Glücklicherweise kam's nicht zur Explosion.
Grausiges Erlebnis
Ein anderes grausiges Erlebnis machte dem mittlerweile 17-Jährigen nach Arbeitseinsätzen für eine Ansbacher Hoch- und Tiefbaufirma zu schaffen: Der Fund eines schon halb verwesten verschütteten Soldaten, der bei der Bombardierung der Bahnanlage gestorben war. "Im Urlaubsschein des Toten stand sein Heimatort - keine 50 Kilometer von der Stelle entfernt."
Soldaten wurden wieder zu Abiturienten
Erst 1947 begann für den späteren Volksschullehrer wieder der reguläre Unterricht - an einem Würzburger Internat. ",Strohsack mitbringen!' stand auf der Postkarte, die ich nach bestandener Aufnahmeprüfung erhalten hatte." Erst nach und nach aber füllten sich die Schlafsäle und quollen über, nachdem mehr und mehr entlassene Soldaten eintrafen, die wieder zu Abiturienten wurden.
Heizkörper abgedreht
Auch in Bruckberg blieb die Zeit nicht stehen: Die Tanzsäle wurden geräumt, die Banater Flüchtlinge in Wohnhäusern untergebracht. "Meine Mutter und Großmutter erhielten ein beschlagnahmtes Zimmer des evangelischen Pfarrhauses. Eine Badmitbenutzung bot man uns nicht an, die vorhandenen Heizkörper wurden eigens abgedreht." In nahezu allen größeren Häusern des Ortes seien Flüchtlinge einquartiert worden - "und das nicht nur für kurze Zeit, sondern mehrere Jahre".
Keine deutsche Staatsbürgerschaft
Ja, an diese Zeit denkt der 87-Jährige angesichts der vielen Menschen, die heute in Deutschland Zuflucht suchen, zurück. Und möchte mit seiner Geschichte dazu beitragen, dass das Schicksal der einst in Jugoslawien siedelnden Deutschen, Vertriebenen aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern oder dem Sudetenland in Erinnerung bewahrt wird.