Wie die Volkszählung einst die Bamberger spaltete

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Oberbürgermeister Paul Röhner und Werner Düring (von links) vor den Erhebungsbögen für 37 000 Bamberger Haushalte. Foto: Emil Bauer
Oberbürgermeister Paul Röhner und Werner Düring (von links) vor den Erhebungsbögen für 37 000 Bamberger Haushalte. Foto: Emil Bauer
Günther Oltsch hat die Volkszählung seinerzeit boykottiert. Foto: Stefan Fößel
Günther Oltsch hat die Volkszählung seinerzeit boykottiert. Foto: Stefan Fößel
 
Werner Düring vor dem ehemaligen Krankenhaus. Foto: Matthias Hoch
Werner Düring  vor dem ehemaligen Krankenhaus.  Foto: Matthias Hoch
 

Mit großem Aufwand sollten 1987 die Bevölkerungsdaten auf den neuesten Stand gebracht werden. Zwei Bamberger erinnern sich.

39 Jahre alt war Werner Düring, als er mit der Leitung der Volkszählung 1987 in der Stadt Bamberg beauftragt wurde - eine Mammutaufgabe. "Zur Volkszählung bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen", erinnert sich Düring, der zuvor 14 Jahre im städtischen Jugendamt gearbeitet hatte und für sein Organisationstalent bekannt war. "Die Umstellung ist mir aber schon schwergefallen. Ich musste ja nicht nur Akten zurücklassen, da ging es auch um Schicksale." Mit zwei Kollegen zog Düring schon im Spätsommer 1986 ins verwaiste alte Krankenhaus, wo noch die Patientenwannen herumstanden.

Wochenlang wurden hier die späteren 840 Zähler in 22 Veranstaltungen geschult. Aufgrund der strengen Vorgaben des Volkszählungsgesetzes musste "eine Erhebungsstelle errichtet werden, die räumlich, organisatorisch und personell von anderen Verwaltungsstellen" abgetrennt sein musste. Da erwies sich das verwaiste städtische Krankenhaus (Bauteil H und das sogenannte Klösterle) als geeignet, denn 1984 war ja das Klinikum bezogen worden.

Einiger finanzieller Aufwand

"Mit einem Kostenaufwand von etwa 100 000 DM wurden die benötigten Büros hergerichtet, ein eigener Eingang von der Sandstraße her geschaffen und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen (zusätzliches Vergittern von Fenstern, Einbau einer Schließanlage usw.)", heißt es dazu im Jahresbericht 1987 der Stadt Bamberg.

Neben der Bevölkerung wurden auch Gebäude, Wohnungen und Arbeitsstätten erfasst. Im November 1986 begannen die Vorbereitungen für die Gebäudezählung, 12 500 Gebäudebögen wurden von 100 städtischen Bediensteten ausgetragen oder per Post versandt. Zugleich rührte man bereits die Werbetrommel für die Volkszählung. Im Februar 1987 wurde die Erhebungsstelle um 35 bis 40 städtische Bedienstete erweitert. Mit Ersatzzählern waren in der Stadt Bamberg etwa 1000 Personen erforderlich, davon 400 Mitarbeiter der Stadt und 270 von Bundes- und Landesbehörden sowie 160 Freiwillige. Als die Volkszählungsunterlagen vom Staatlichen Landesamt eintrafen, mussten sieben Tonnen Papier geordnet, gelagert und teilweise beschriftet werden. In zwei Räumen wurden 204 laufende Meter Regal aufgestellt, um die sortierten Unterlagen verstauen zu können.

Erfolgsmeldung im Jahresbericht

Am 18. Mai 1987 lief dann die Volkszählung an, die Zähler verteilten die Unterlagen an 37 000 Bamberger Haushalte und sammelten sie nach dem Stichtag, dem 25. Mai 1987, wieder ein - knapp ein Drittel wurde mit der Post zurückgeschickt. Im Juni fehlten laut Jahresbericht noch die Unterlagen von 3500 Haushalten, im Juli noch 667. Einigen wurde ein Zwangsgeld angedroht, wogegen sich manche auch mit Klagen vor dem Verwaltungsgericht zur Wehr setzten. Der Jahresbericht der Stadt zählt zum 31. Oktober 1987 noch 18 gerichtsanhängige Verfahren und sechs sonstige fehlende Volkszählungsunterlagen. "Somit hatten in Bamberg bei 37 000 Haushalten lediglich 0,06 Prozent ihre Volkszählungsunterlagen noch nicht ausgefüllt abgegeben", heißt es im Jahresbericht.

"Die gesamte Organisation war schon sehr aufwendig", sagt Düring heute. Er wusste auch von etlichen Volkszählungsverweigerern. "Aber das hat sich in Bamberg im Großen und Ganzen in Grenzen gehalten."

Ein Verweigerer

Zu den Bambergern, die ihre Unterlagen nicht abgaben, gehörte Günther Oltsch, der im Jahr der Volkszählung 36 Jahre alt war und als Medienpädagoge arbeitete. "Wir wollten den Gläsernen Bürger nicht", sagt Oltsch, der die Volkszählung genauso wie Nachrüstungsbeschlüsse, Ausbau der Frankfurter Startbahn West, Kohl-Regierung und die neuen Möglichkeiten der Datenspeicherung ablehnte. Dass das Bundesverfassungsgericht den ersten Versuch in Sachen Volkszählung gestoppt hatte, war Wind in den Segeln der Kritiker. Denn eigentlich hätte die Volkszählung bereits 1983 stattfinden sollen, doch dann gaben die obersten Richter einer Klage dagegen statt. Die Ausführlichkeit der Fragen in den entsprechenden Volkszählungsbögen hätte nach Auffassung des Gerichts Rückschlüsse auf die Identität der Befragten ermöglicht und somit den Datenschutz unterlaufen. Für den Zensus 1987 musste die Befragung daher neu konzipiert werden, personenbezogene Angaben wurden von den Fragebögen getrennt und die Fragen überarbeitet. "Die Bundesregierung musste nachbessern, aber wir dachten: Besser wird es nicht", erinnert sich Oltsch.

Wer Fragebögen zur Volkszählung beiseite schaffen wollte, konnte sie in der Buchhandlung Collibri abliefern. "Das war das Anlaufzentrum, da kamen im Laufe der Zeit Hunderte Fragebögen bei uns an." Angst habe Oltsch zwar keine gehabt, aber für den Fall einer Durchsuchung wollte er trotzdem vorsorgen. Und so versteckte er die Bögen in einem Spind der Uni-Bibliothek. "Auf die Idee, dort zu suchen, ist keiner gekommen."

Das subversive Verhalten sei ohne große Strafen geblieben, bundesweit weiß Oltsch nur von sehr wenigen Verurteilungen wegen Volkszählungsboykotts.

10 Mark pro Einwohner

Etwa eine Million D-Mark musste die Stadt Bamberg für die Volkszählung 1987 ausgeben, davon entfielen gut drei Viertel auf Personalkosten und Zählerentschädigungen. Zwar gab es Zuschüsse von Bund und Land, aber am Ende blieben der Stadt Belastungen von 700 000 D-Mark - das waren damals etwa 10 Mark pro Einwohner. Als die Volkszählung abgeschlossen war, gab es für Werner Düring keine Rückkehr ins Jugendamt - er kam nun ins Rechnungsprüfungsamt und später ins Sportamt.

"Zahlen sind erst belastbar, wenn man sie selbst geprüft hat", sagt Günther Oltsch. Damit bezieht er sich nicht nur auf den Widerspruch zwischen den vielen von ihm versteckten Bögen und der fast hundertprozentigen Erfolgsbilanz im Jahresbericht der Stadt. Oltsch denkt dabei auch an den Steigerwald, durch den er regelmäßig Besucher führt und den er sich als Nationalpark wünscht. Im Auftrag des Bundes Naturschutz hat er dort 8000 dicke Bäume gezählt und vermessen. Eine Volkszählung im Wald gewissermaßen. Dass auch der Staat verlässliche Zahlen braucht, um planen zu können, räumt Oltsch ein. "Aber man kann so was auch anders durchführen als bei der Volkszählung, nicht so mit der Brechstange. Der Bürger wurde nicht gefragt, was er davon hält."

Für Werner Düring war die Volkszählung eine Mammutaufgabe, aber dann doch nur eine Episode in seinem Leben. "Wenn man an die Diskussion von damals denkt, fällt einem aber auch auf, wie sorglos heute manche mit ihren Daten umgehen."