Wer in Deutschland Hartz IV bekommt, ist arm dran. Weil er nur eine Chance von 25 Prozent hat, da wieder rauszukommen. Und weil seine Kinder nicht am normalen Leben teilhaben können. Der Bamberger Soziologieprofessor Mark Trappmann beschäftigt sich mit den Chancen dieser Menschen.
Laptop im Schlafzimmer, Computer in der Wohnzimmerecke und dazu ein riesiger Flachbildfernseher - so sehen viele Hartz-IV-Wohnungen in Reality-Sendungen des Privatfernsehens aus. Der Bamberger Soziologieprofessor Mark Trappmann erklärt lakonisch: "Bei vier Millionen Bedarfsgemeinschaften in Deutschland finden sich immer welche, die man vorführen und über deren Lebensführung man sich aufregen kann." In der Realität fehle häufig technische Ausstattung. "Einen Fernseher haben fast alle, aber einen Computer mit Internetanschluss, Waschmaschine und Gefrierschrank vermissen viele arme Haushalte."
Arm - was heißt das eigentlich? Weltweit wird Armut häufig mit einer absoluten Zahl definiert: Arm ist, wer unter 1,25 Dollar pro Tag zu Verfügung hat. In entwickelten Ländern wird Armut relativ, im Vergleich zu anderen, betrachtet. "Armutsgefährdet ist, wer weniger als 60 Prozent des Mittleren Einkommens hat."
Was das für die Menschen bedeutet, erforscht der Bamberger Professor für das Institut Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Bei der Befragung "Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung" (PASS) geben Hartz-IV-Empfänger seit Jahren an, dass die Grundversorgung gegeben ist: Die Befragten sorgen sich nicht um Kleidung, eine warme Mahlzeit und ein Dach überm Kopf. Doch reicht das aus?
Nur jeder Vierte schafft es
Ein großes Problem des Systems ist die "fehlende Dynamik" wie der Wissenschaftler es nennt. Anders gesagt: Einmal Hartz, immer Hartz. "Von allen, die derzeit Leistungen beziehen, wird jeder Vierte statistisch gesehen heute in einem Jahr wieder rauskommen." Etwa 770 der etwa 3070 Langzeitarbeitslosen in Coburg, Kronach, Lichtenfels, Bamberg und Forchheim werden also im Sommer 2016 wieder arbeiten. Von deutschlandweit etwa 4,4 Millionen Leistungsempfängern ist eine Million schon seit der Hartz-IV Einführung 2004 dabei. "Andere kamen erst gestern hinzu, die haben bessere Chancen." Doch insgesamt zeigen die Zahlen, dass das System nicht dynamisch genug ist: "Drei Viertel sind ein hoher Verbleib!", sagt der Soziologe.
Gründe sieht er vor allem in den sieben großen "Vermittlungshemmnissen": Älter als 50 Jahre zu sein, Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen, schlechte Deutschkenntnisse, fehlende Schul- bzw. Berufsabschlüsse, gesundheitliche Probleme und lange Bezugsdauer. "Jedes einzelne dieser individuellen Hemmnisse halbiert die Wahrscheinlichkeit, binnen eines Jahres in eine bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit zu kommen. Die meisten haben drei oder vier dieser Probleme."
Vergangenes Jahr hat Arbeitsministerin Andrea Nahles ihr Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufgelegt. In der zweiten Jahreshälfte 2015 sollen die Jobcenter bei Bedarf "Aktivierungszentren" einrichten, in denen Langzeitarbeitslose mit einem persönlichen Coach an ihren Vermittlungshemmnissen arbeiten. "Klingt gut", findet Soziologe Trappmann und ist auf die Umsetzung gespannt.
Ein unlösbares Problem
Die Bundesagentur für Arbeit weiß nicht, ob und wo ein solches "Netzwerk ABC" (Aktivierung, Beratung und Chancen) bereits eingerichtet wird. Der Regionaldirektion Nordbayern ist immerhin bekannt, dass das Jobcenter Nürnberg ein "relativ weit vorangeschrittenes Konzept" dazu hat. Die Programme seien noch zu neu, außerdem könnten die Jobcenter selbst entscheiden.
Frank Bittel, Geschäftsführer des Jobcenters Coburg Stadt, hat entschieden: gegen das "Netzwerk ABC". "Unsere Fallmanager arbeiten ohnehin mit Stellen wie der Sucht-, Schuldner- und psychosozialen Beratung zusammen." Das Coburger Jobcenter nutzt deshalb lieber das Programm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt", das Nahles vor allem für Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung gedacht hat. "Hartz-IV-Empfängern geht es im Schnitt gesundheitlich schlechter als Personen gleichen Alters", sagt Soziologe Trappmann. "Für kranke Menschen ist es schwerer, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Umgekehrt gibt es Studien, die zeigen, dass Arbeitslosigkeit krank machen kann, auch psychisch. "
- auch wenn sie in öffentlichem Interesse liegen. "So was wie ein Ein-Euro-Job kann individuell helfen. Dann kommen eben eben in einem Jahr 28 statt 25 Prozent aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Das löst nicht das gesamtgesellschaftliche Problem." Dieses ist aus Trappmanns Sicht unlösbar - zumindest in der gegenwärtigen Wirtschaftslage. In der Produktion wird die Nachfrage nach geringqualifizierten Jobs weiter abnehmen. "Um ohne Hartz-IV auszukommen, muss einer genug verdienen, um davon zu leben. Der Mindestlohn von 8,50 reicht für einen Alleinstehenden - aber um einen Partner zu versorgen, reicht es nicht und mit Kindern erst recht nicht."
Die Herkunft prägt das Leben
Ob Kinder von Hartz-IV-Empfängern später mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst Hartz-IV beziehen, ist Trappmann zufolge noch nicht umfassend erforscht. Fest stehe aber, dass diese Kinder in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt sind. Hartz-IV-Empfänger geben bei den Befragungen für"PASS" an, was ihnen fehlt: mal Gäste einladen zu können, Essen, ins Theater oder Kino gehen zu können, Urlaub oder auch die Möglichkeit monatlich etwas zu sparen, um beispielsweise mal alte Möbel zu ersetzen. Oder mal neue Klamotten. Genau wie der frühzeitige Umgang mit dem PC sind das Erfahrungen, die für Kinder wichtig sind. "Für den Erfolg im Leben ist in Deutschland die soziale Herkunft sehr wichtig." Trappmann zählt auf, was darunter fällt: genetische Anlagen, Erziehung, Bildungschancen, Schule, Peer Group. "Wenn ein Kind aus einem schlechten Viertel kommt, kommen viele Nachteile zusammen."
Armut in Zahlen: (jeweils Nettoeinkommen)
900 Euro im Monat sind nach der gängigsten Definition das Mindeste, damit ein Ein-Personenhaushalt in Deutschland nicht als armutsgefährdet gilt. Der Betrag entspricht 60 Prozent des Mittleren Einkommen (nicht verfälscht durch Extremwerte wie Milliardäre).
1350 Euro sind per Definition für ein Paar nötig, um nicht an der Grenze zur Armut zu leben. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Zweipersonenhaushalt 1,5 Mal soviel benötigt wie ein Ein-Personen-Haushalt.
1890 Euro Euro sind per Definition bei einem Paar mit zwei Kindern unter 15 Jahren die Grenze zur Armut. Bis zu diesem Alter werden Kinder mit dem Faktor 0,3 eingerechnet, d.h. es wird davon ausgegangen, dass pro Kind zusätzlich 270 Euro benötigt werden.
Klar ist doch, dass der Anteil der von Armut bedrohten Menschen immer gleich bleibt, wenn die angebliche Armutsgrenze willkürlich bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt. Daraus resultiert bei insgesamt steigendem Wohlstand eine "Armut" auf hohem Niveau. Weil bei uns die Unterstützung der Minderbemittelten vergleichsweise hoch ist, wollen ja so viele der viel ärmeren Menschen aus Afrika, Südosteuropa und Asien gerade nach Deutschland. Für die ist das ein Schlaraffenland, weil niemand verhungern und verdursten muss, auch wenn man keinerlei Erwerbstätigkeit nachgeht - aus welchen Gründen auch immer.
Hartz IV mag man als Deutscher kritisieren, tatsächlich bewahrt Hartz IV vor wirklicher Armut: z. B. schlafen unter Brücken, essen vom Müll, trinken aus dem Wasserhahn öffentlicher Toiletten usw.
Wenn erwachsene Hartz-IV-Empfänger klagen, dass sie keine Gäste einladen, nicht ins Theater oder Kino gehen, nicht Urlaub machen und sich keine neuen Klamotten oder Möbel kaufen können, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Die Wirtschaftswunder-Generation hat all dies auch nicht gebraucht. Besorgniserregend für mich sind allein die Folgen für die Kinder, die unter den Mängeln ihrer Elternhäuser leiden. Nebenbei: Es geht diesen Kindern gleichwohl um einiges besser als vielen Kindern, die zwischen 1930 und ca. 1955 geboren worden sind.
Heutige Kinder, die ohne Computer aufwachsen müssen - vor allem dann, wenn die Eltern gerne auch mal Alkohol und Nikotin konsumieren -, sind wegen des Mangels an Chancen gleichwohl zu bedauern. Und dabei wäre gerade ihnen am leichtesten zu helfen. Das wäre doch mal eine schöne Aktion für infranken.de: Um Spenden von gebrauchten, funktionierenden Computern aller Art bitten, um die Geräte an Kinder von Hartz-IV empfangenden Eltern weiterzuleiten. Es finden sich sicher auch Freiwillige, die die gespendeten Geräte testen und neu figurieren. Wer hat noch bessere Ideen? Her damit!
kein schlechter Kommentar. Nur kann ich diese Phrase ".....auf hohem Niveau" nicht mehr lesen! Auch unsere Lebenshaltungskosten bewegen sich "auf hohem Niveau"! Wenn man bedenkt, was man heutzutage noch für 50 € = 100 DM im Einkaufswagen hat und was früher dafür zu haben war!!! Armut "auf hohem Niveau" kann bei den heutigen Preisen gar nicht mehr anders sein!!!!!!!
Und wann fühlt sich eigentlich mal einer bemüßigt, für unsere deutschen Bedürftigen - wirklich Bedürftigen - eine Lanze zu brechen? Ich kann es bald nicht mehr hören, wie für "andere" ständig gejammert wird, obwohl sich gerade diese selbst im Gegensatz zu ihrem Herkunftsland wie im Schlaraffenland fühlen!
Können Sie bitte mal darlegen, welche "wirklich deutsche Bedürftige" Sie meinen? Vielleicht lässt sich daran anknüpfen und wirkliche Hilfe generieren. Verbal oder via Internetkommentar "eine Lanze brechen" hilft ja gar nicht.
Ich kenne etwa ein halbes Dutzend Hartz.-IV-Empfänger näher und stelle fest: Schlecht geht es denen nicht. Zwei davon unternehmen 1 bis 2x jährlich Urlaubsreisen, manchmal sogar Kreuzfahrten, weil sie dafür monatlich etwas zurücklegen. Keiner raucht, keiner trinkt Alkohol. Sie gehen sparsam mit der Raumbeleuchtung und -beheizung um, nutzen die Möglichkeit, sich - oft überraschend gute - Kleidung aus den Kleiderkammern der Hilfsdienste zu besorgen, und holen sich Lebensmittel im Josefslädchen.
Aber es gibt wahrscheinlich armselige Menschen, die einfach nicht mit ihren Verhältnissen klarkommen. Betroffen sind vermutlich in der Hauptsache überschuldete Menschen, die vormals blauäugig, gutgläubig und ein wenig doof in die Schuldenfalle getappt sind. Gravierende Not kann ich mir auch unter älteren Menschen vorstellen,die plötzlich viel Geld für Medikamente und sonstige gesundheitliche Hilfe ausgeben müssen. Vor allem, wenn sie niemand an der Seite haben, der ihre Rechte durchsetzen hilft.
Eine Volksweisheit lautet: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Tatsächlich mag es Menschen geben, deren Bildung nicht reicht, um Sozialhilfe zu beanspruchen. Andere schlafen lieber unter Brücken und suchen im Müll nach Nahrung, bevor sie auf einem Amt um Hilfe bitten. Die sollen sich nicht beschweren.
Überhaupt: das Zauberwort heißt "Bitte!" Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein als Bitte geäußerter Hilferuf an Pfarrer oder Pfarrgemeinden bzw. an die vielfältigen öffentlichen Beratungs- und Hilfedienste verhallt - vor allem, wenn der gute Wille erkennbar ist, alle eigenen Kräfte zu mobilisieren, um eine Notlage zu überwinden.
Da läuft aber was verkehrt, wenn sich Harz IV - Empfänger mehrere Urlaubsreisen im Jahr leisten können. Meine oben genannte Familie kann das nicht!
Da läuft gar nichts verkehrt: Googeln Sie mal "Urlaub 200 Euro" oder schauen Sie in die Reisehefte der Discounter und Sie werden staunen, dass für Preise um 200 Euro sogar Flugreisen angeboten werden (von Busreisen ganz zu schweigen). Nicht in der Hauptreisezeit, nicht die besten Hotels usw., aber es geht "zur Not". Und rund 200 Euro lassen sich z. B. durch 12 x 20 Euro ansparen. So viel kann fast jeder Hartz-IV-Empfänger erübrigen, wenn er entsprechend sparsam lebt und seine Chancen nutzt. Nebenbei: Nicht nur in Bamberg kommen Hartz-IV-Empfänger sogar kostenlos in Theatervorstellungen oder in Konzerte (- im Gegensatz zu so manchem Gesellen, der von 1800 Euro netto gerade seine Familie über die Runden bringt). Ein bisschen anstrengen muss man sich freilich, um als Hartz-IV-Empfänger menschenwürdig zu leben. Nicht alles bekommt nach nachgeworfen. Und vor allem: Wenn man sein noch so bescheidenes Heim in Ordnung und sauber hält - auch das ist mitunter mühsam - fällt einem nicht so leicht die Decke auf den Kopf. Auch nicht zu vergessen: Kleider machen Leute; das Outfit ist wichtig, wenn man als Person wahr- und ernstgenommen werden will. Dabei zählen weniger die Tätowierungen, als die gepflegte Erscheinung vom Scheitel bis zur Sohle...