Was geschah in den 30 brutalen Sekunden in der Sandstraße?

3 Min
Die Angeklagten (links) und (rechts) mit ihren Bamberger Verteidigern Jochen Kaller (Zweiter von links) und Oliver Teichmann. Foto: Ronald Rinklef
Die  Angeklagten (links) und (rechts) mit ihren Bamberger Verteidigern  Jochen Kaller (Zweiter von links) und Oliver Teichmann.  Foto: Ronald Rinklef

Mehrere Wochen lag ein 36-Jähriger nach der Attacke in der Sandstraße im künstlichen Koma. Die Angaben der Angeklagten gehen in einem Punkt auseinander.

Auch eineinhalb Jahre nach der brutalen Attacke in der Sandstraße hat der heute 36-Jährige mit den gesundheitlichen Folgen zu kämpfen: Er sei unruhig, habe Schlafstörungen und sei leicht reizbar, erklärte er am Dienstag vor dem Landgericht Bamberg. Der Vater von zwei Kindern, der aus dem Landkreis stammt, schwebte in Lebensgefahr und lag nach der Tat mehrere Wochen im künstlichen Koma. Er hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten, das laut Staatsanwaltschaft operativ durch die Implantation einer Schädeldachplastik versorgt werden musste. Der 36-Jährige sagte, er leide unter einem Frontalhirnsyndrom, sei in neuropsychologischer Behandlung. Außerdem hört er auf dem rechten Ohr nichts mehr.

"Ich habe über drei Wochen nicht gewusst, ob er das überlebt", sagte die Ehefrau des Opfers vor dem Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Manfred Schmidt. Sie musste sich in der Zeit, als ihr Mann in Behandlung und Reha war, allein um die beiden gemeinsamen kleinen Kinder kümmern. Und schildert heute, dass ihr Mann durch die Verletzungen ein anderer Mensch geworden sei.

Der Jüngere sitzt in U-Haft

Vor Gericht entschuldigten sich dann auch die beiden Angeklagten bei dem Opfer. Keiner habe gewollt, dass jemand so schwer verletzt wird, sagten sie. Sie müssen sich seit Dienstag wegen des körperlichen Angriffs in den frühen Morgenstunden des 30. Juli 2017 auf den 36-Jährigen und dessen gleichaltrigen Kumpel juristisch verantworten.

So wird dem älteren der beiden Angeklagten, einem 30-Jährigen aus Bamberg, von der Staatsanwaltschaft gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Dem Jüngeren, einem 24-Jährigen aus Bamberg, sogar versuchter Totschlag. Denn die Anklage geht davon aus, dass er dem 36-Jährigen die schweren Kopfverletzungen zugefügt hat. Der Mann sitzt derzeit auch in Untersuchungshaft.

Wie kam Verletzung zustande?

Die beiden Angeklagten räumen die Attacke auf die beiden Kontrahenten weitestgehend ein. Allerdings weichen die Aussagen vor allem in einer wesentlichen Frage voneinander ab: Kann die lebensgefährliche Verletzung des Opfers durch einen Sturz auf den Boden oder durch einen Tritt ins Gesicht zustande gekommen sein?

So schildern beide zunächst, dass es an dem frühen Juli-Morgen zwischen 4 und 5 Uhr zunächst in der Sandstraße zu einer verbalen Auseinandersetzung mit einem der beiden ihnen unbekannten Männern gekommen war. Nachdem einer der beiden Fremden eine jüngere Frau verbal angegangen war, hatte sich der ältere Angeklagte eingemischt. Es soll zu einer Schubserei gekommen sein, dann hat der 30-Jährige den 36-Jährigen mehrmals mit der Faust gegen den Kopf geschlagen, wie der Angeklagte selbst zugibt. Offenbar war die Sache dann aber zunächst für beide Parteien erledigt.

Allerdings trafen die Kontrahenten dann ein paar Meter weiter vor der Justizvollzugsanstalt Bamberg doch noch einmal aufeinander - was die eingangs geschilderten schweren Folgen für das 36-jährige Opfer nach sich ziehen sollte. Dabei haben die beiden deutlich alkoholisierten Geschädigten die Angeklagten wohl zuvor mit Sprüchen provoziert. Dann rannte der ältere Angeklagte auf seinen vorherigen Kontrahenten los und schlug mit der Faust mehrmals auf ihn ein. Auch getreten haben soll er ihn, allerdings laut Angaben des Angeklagten nur auf die Beine.

Dann kam es zu dem entscheidenden Moment, an den sich beide Opfer nicht mehr erinnern können. Der 24-Jährige soll mit Anlauf und angezogenem Knie gegen die Brust des 36-Jährigen gesprungen sein. So schildert es der Mitangeklagte 30-Jährige. "Er ist im 90-Grad-Winkel umgefallen und mit dem Kopf aufgedatzt." Anschließend soll der 24-Jährige das am Boden liegenden Opfer mit dem Fuß von oben ins Gesicht getreten haben. Es sei alles eine flüssige Bewegung gewesen, sagt der Ältere.

Bodycheck mit der Schulter?

Der 24-Jährige, der zum Tatzeitpunkt nüchtern war, schildert den Ablauf anders. So sei er nicht mit dem Knie, sondern mit der Schulter in einer Art Bodycheck gegen den 36-Jährigen gesprungen. Daraufhin sei dieser umgefallen. Er sei total perplex gewesen. Er habe nicht mitbekommen, dass der 36-Jährige so schwer verletzt worden sei, es sei auch nie seine Absicht gewesen, dass jemand so zu Schaden komme. Auch habe er seinem Kontrahenten niemals ins Gesicht getreten.

Nach der Attacke war der 24-Jährige sofort mit dem Fahrrad davon gefahren. Er rief wohl panisch bei dem 30-Jährigen auf dem Handy an, dass sich der Andere nicht mehr bewegt habe und dass er abhauen solle. Doch auch der 30-Jährige ging mit seinen Bekannten weiter, ohne sich um den Schwerverletzten zu kümmern. Er habe die Situation in seinem Rausch nicht richtig wahrgenommen, sagte er vor Gericht. Unter anderem soll er zuvor ein starkes Schmerzmittel und Alkohol zu sich genommen haben. Der ältere Angeklagte war noch am Morgen festgenommen worden und saß dann zunächst in U-Haft.

Auf einem Video, das die Überwachungskamera der JVA Bamberg aufgenommen hatte, ist zwar nicht die Attacke selbst zu sehen, da sie außerhalb des Sichtfelds der Kamera geschehen war, doch sind die beteiligten Personen vor und nach der Tat zu sehen. Alles hat sich innerhalb nur kurzer Zeit abgespielt: "30 Sekunden entscheiden über Ihr Leben und das Leben anderer", machte der Vorsitzende Richter gegenüber den Angeklagten die Sinnlosigkeit der Tat deutlich.

Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt. Vor allem geht es dann um die Aussagen von Zeugen, die bereits wegen Falschaussage verurteilt worden sind.