War es schwerer Raub oder eine Kraftprobe unter Männern?

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Eine Verhandlung am Landgericht gab Einblick in den Mikrokosmos einer Asylbewerberunterkunft im Bamberger Land.

Am Ende verließ A. das Landgericht als freier Mann. Mehr noch: Einer der Schöffen fuhr ihn nach Hause, vertraute ganz offensichtlich dem 42-Jährigen, der sich gerade noch in Fußfesseln vor der Zweiten Strafkammer für schweren Raub verantworten musste.

Denn in das Dorf, in dem er lebt, wäre der tschetschenische Staatsangehörige am frühen Abend mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr gekommen: Er wohnt in einer Asylbewerber-Unterkunft im nordöstlichen Landkreis. Ebenso der 39-jährige Russe D., dem A. Geld weggenommen haben soll. Der Kronzeuge war allerdings mit dem Fahrrad gekommen und radelte abends zurück. Dass die Verkehrsmittel ein Thema waren, war so ungewöhnlich wie das Verfahren und sein Ausgang.

In der Anklageschrift las sich alles irgendwie nachvollziehbar. Demnach hat A. am Nachmittag des 4. September seinen ehemaligen Zimmergenossen D.
mit einem gezückten Taschenmesser bedroht und so eingeschüchtert, dass der ihm gestattete, sich an seiner Börse zu bedienen. 135 Euro fehlten danach angeblich.

Weil mit dem Messer eine Waffe im Sinn des Strafgesetzbuchs im Spiel war, ging die Staatsanwaltschaft von einem schweren Raub aus - Mindeststrafe fünf Jahre. Diesen Vorfall, den der Russe auch angezeigt hat, hat es laut A.s Verteidiger jedoch nie gegeben. Fakt ist, belegt auch durch die Angaben des damaligen Hausmeisters, dass die Männer zwei Mal für mehrere Wochen ein Zimmer teilen mussten. Weil beide russisch sprechen, hoffte man, das Zusammenleben gehe gut.

Schwieriges Miteinander

Das tat es nur bedingt. Die ethnischen Unterschiede mögen ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Nach allem, was zur Sprache kam, waren die zwei aber einfach zu unterschiedlich: Hier der praktizierende Moslem A., ein redegewandter Mann auch in deutscher Sprache, der tagsüber viel unterwegs ist und nachts viel an seinem Computer sitzt. D. bezeichnet sich selbst als Atheisten, trinkt gern Alkohol, ist eher still und wollte nachts seine Ruhe haben. Auch über die Frage, ob das Fenster über Nacht offen bleiben soll oder nicht, gab es in der Zwangsgemeinschaft immer wieder Streit, der bis zum Hausmeister drang.

Dieser berichtete als Zeuge auch von zwei Vorfällen, in denen A. ausgerastet sei. Nach Angaben des Hausmeisters hat(te) D. Angst vor A., weshalb die beiden im Lauf des Jahrs 2012 in verschiedenen Zimmern und Stockwerken untergebracht wurden. Der Hausmeister fühlte sich in besonderem Maß für den Russen verantwortlich, weil er ihn für psychisch krank hält und glaubt, dass er allein nicht lebensfähig wäre. Als D. ihm erzählte, dass er von A. mit dem Messer bedroht wurde, hielt er die Angaben seines "Schützlings" für glaubhaft. Sprachlos war der Zeuge, als er bei Gericht erfuhr, dass bei dem Vorfall auch Geld eine Rolle spielte. Er war sich sicher gewesen, dass der Russe ihm das gesagt hätte, wenn es so gewesen wäre.

Noch verworrener wurde alles durch die Zeugenanhörung des mutmaßlichen Opfers. Zwar blieb D. dabei, dass A. ihm Geld weggenommen hat. Doch er beschrieb das Ganze eher als eine Art Kraftprobe unter Männern. Demnach hat er den anderen am Vorabend telefonisch provoziert, indem er über dessen Frömmigkeit gespottet hat. Dass der ehemalige Zimmergenosse erst eine Nacht darüber schlief, ehe er zu D. kam, nötigte diesem Respekt ab. Das spreche für einen "starken Charakter", sagte er.

Spätestens bei seinen Worten, "wir mussten das ja zwischen uns abklären" wurden Gericht und Staatsanwalt hellhörig. Vorsitzender Richter Manfred Schmidt wunderte sich laut über das "etwas archaische" Gebaren, das sich den Prozessbeteiligten offenbarte. Zumal die Männer nach dem Vorfall offenbar noch eine Zeitlang ganz normal miteinander gesprochen haben: "Als ob wir sitzen und eine Flasche Wodka trinken würden", beschrieb das angebliche Opfer wortwörtlich die Situation.

Der Russe schloss nicht einmal aus, dass A. am 4. September Grund hatte, von ihm Geld zu verlangen: Er erhielt oft Tabak von ihm, gab umgekehrt aber nichts ab. Ob der Ältere sich womöglich zunächst nur 5 bzw. 10 Euro borgen wollte, blieb im Raum stehen: Es war in der sehr weitschweifigen Aussage des Kronzeugen zwischendurch so angeklungen.

Gericht stellte Verfahren ein

Nach einer Unterbrechung und Unterredung zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger stellte die Kammer das Verfahren ein. Nicht ohne den rechtlichen Hinweis, dass das nicht aufklärbare Geschehen vom 4. September "nur" eine Bedrohung gewesen sein könnte. Die Absprache zwischen den Prozessbeteiligten beinhaltet den Verzicht des Angeklagten auf Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.